Beiträge zu dem Skandal, dass Deutschland keine Reparationszahlungen an Griechenland leistet (Bernhard Thiesing)

Berliner Heuchelei (22.3.2014)

Bundesregierung betrachtet Begleichung der Kriegsschulden gegenüber Griechenland als abgeschlossen. Gezahlt hat Deutschland aber nicht
von Heike Schrader, Athen
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http://www.jungewelt.de/2014/03-22/038.php


Gesendet: Samstag, 8. März 2014 19:36

 Pressemitteilung zum Gauck-Besuch in Lyngiades
AK Angreifbare Traditionspflege / Neue Folge

 Pressemitteilung zum Gauck-Besuch in Lyngiades

 Von Lyngiades nach Elmau / Mittenwald

 Wir möchten den Besuch von Bundespräsident Gauck in Lyngiades zum Anlass nehmen, ein paar Hinweise zum Umgang der deutschen Justiz mit den NS-Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger zu geben.

 Als Expert*innen in Sachen „Mörder unterm Edelweiß“ bemühen wir uns seit 2002 um die Strafverfolgung der Gebirgsjäger und die Beendigung des alljährlichen Kriegsverbrecher-Treffens in Mittenwald. Bereits 2003 sprach der Bremer Historiker Christoph Schminck-Gustavus, der als erster deutscher Historiker den Kontakt zu den Überlebenden suchte, über das ungesühnte Massaker von Lyngiades auf unserem Hearing in Mittenwald. 2004 besuchte Panajotis Babousikas, der das Massaker in Lyngiades als Säugling schwer verletzt überlebt hat, den bayrischen Ort, in dem sich auch die Mörder von Lyngiades jährlich zu Deutschlands letzter großen Veteranenfeier treffen.

Auch wenn wir seit 2002 regelmäßig die Strafverfolgung der Mörder in Gebirgsjägeruniform anmahnten und auch Listen mit Tatverdächtigen veröffentlichten, haben die deutschen Justizbehörden nie ernsthaft ermittelt.

 Vorneweg: Es ist natürlich insbesondere für die Überlebenden der deutschen Massaker in Griechenland  wichtig, dass jetzt endlich die Leidensgeschichte der Menschen in Lyngiades einer breiten Öffentlichkeit auch in Deutschland bekannt wird.

 Aber: Uns wird speiübel, wenn der (groß)machtbewusste Gauck heute in Lyngiades Betroffenheit heuchelt und sogar die griechischen Opfer um Verzeihung und Vergebung bittet, während die deutsche Regierung, egal in welcher parteipolitischen Zusammensetzung, seit Jahren die berechtigten Entschädigungsforderungen der griechischen Opferverbände mit großer Arroganz zurückweist.

 Wir grüßen und unterstützen daher ausdrücklich die Freund*innen des griechischen Nationalrates und insbesondere den Widerstandskämpfer Manolis Glezos.

 Und wir grüßen natürlich die Überlebenden des Gebirgsjäger-Massakers aus Lyngiades, insbesondere Panajotis Babousikas, der bei unseren Demonstrationen gegen das NS-Kriegsverbrechertreffen  in Mittenwald Pfingsten 2004 unser Gast war.

 „Täter haben sich nie entschuldigt“

 Bundespräsident Gauck ist natürlich ein Profi in Sachen Betroffenheit und Vergebung: „Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung“, so Gauck bei dem heutigen Besuch des nordgriechischen Bergdorfs Lyngiades. In einer kurzen Ansprache am Mahnmal äußert Gauck sein Bedauern darüber, dass sich die Verantwortlichen des Verbrechens nie selbst zu ihrer Schuld bekannt hätten. „Ich wünschte so sehr, längst hätte einer gesagt, der damals Befehle gegeben und ausgeführt hat: ‚Ich bitte um Entschuldigung.‘ Oder: ‚Es tut mir so unendlich leid.‘ Oder: ‚Ich bereue, dass ich verbrecherischen Befehlen gefolgt bin.'“

 Es ist schon erstaunlich, dass sich Gauck so bekümmert zeigt, dass sich die Mörder in der Gebirgsjägeruniform nie für ihre Mordtaten entschuldigt haben. Die Frage nach dem weiteren Lebensweg der Mörder von Lyngiades und nach einer etwaigen  Strafverfolgung aber stellt sich weder der Bundespräsident noch die Presse.

Eine Antwort auf diese Frage führt uns (wieder)  ins bayrische Mittenwald.

Dort treffen sich am Hohen Brendten seit 1952 die ehemaligen Gebirgsjäger bis heute zur größten Veteranenfeier Deutschlands. Hier könnte Gauck ausgiebig bei den greisen Gebirgsjäger-Veteranen Motivforschung betreiben…

 Ehrlich gesagt interessieren uns die Motive und die mögliche Reue der Mörder erst dann, wenn man ernsthaft versucht, die Täter einer Bestrafung zu zuführen. Das ist im Fall Lyngiades und bei vielen anderen NS-Verbrechen wie in Kommeno und Distomo nie geschehen.

 Ein paar sachdienliche Hinweise

 Soweit wir informiert sind, verjähren auch die Morde von deutschen Gebirgsjägern nicht. So ist es nie zu spät, die Ermittlungen doch noch aufzunehmen…

Daher ein paar Ermittlungstipps: Der arbeitsteilige gemeinsame Mord an den Frauen, Kindern und Greisen von Lyngiades könnte als gemeinschaftlicher Mord an 82 Zivilisten „gewertet“ werden. Die Mörder der 82 griechischen Zivilisten in Lyngiades waren nach Aktenlage aus dem Bundesarchiv in Freiburg übrigens Angehörige der 1. Gebirgsdivision. Genauer gesagt hieß die Einheit:  Geb. Jg. Feld-Ersatz.Bat. 79. Sie stand zum Tatzeitpunkt unter dem Kommando von Hauptmann Alfred Schröppel. Schröppel blieb bis zu seinem Tod im Jahre 2005 leider vollkommen unbehelligt.

Aber es gibt noch ein paar Chancen: Viele der Soldaten aus diesem Bataillon waren zur Tatzeit noch sehr jung und wären wegen gemeinschaftlichen Mordes möglicherweise noch greifbar…. Die Namen der Mörder sind bei etwas gutem Willem in der Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin und in alten Ausgaben der Zeitung „Gebirgstruppe“ zu recherchieren.

Neben dem Verbrechen in Lyngiades finden sich in den Akten des Militärarchivs in Freiburg folgende Eintragungen:  Am 17.9.1943 „säubert“  das Geb. Jg. Feld Ersatz Batallion 79 die Orte Awgo, Aetorachi, Krybowon, Theriakision:  30 „Banditen“ getötet und etwa 30 gefangen genommen. Am 27.11.1943 zerstörten das Feld-Ersatz Btl. 79 (Hauptmann Schröppel) zusammen mit dem 1. Jäg. Regiment 724 die Orte Polene, Savtar, Goskova, Gionomath, Voskopoje und töten insgesamt  120 Menschen. Auch diese Tötungen waren nicht mal ein Ermittlungsverfahren wert.

 Wir sind gespannt, ob sich nach dem Gauckschen Gedenktrubel in Lyngiades noch eine Staatsanwaltschaft findet, die zeitnah „neue“ Mordermittlungen aufnimmt.

Diese Ermittlungen könnten übrigens zügig bei dem nächsten NS-Kriegsverbrecher-Treffen in Mittenwald  am 25. Mai 2014 in Mittenwald aufgenommen werden. Wer dort noch selbst im hohen Alter zum Feldgottesdienst pilgert, ist auch noch nach 70 Jahren nach der Tat noch verhandlungsfähig…

 P.S.

Wir freuen uns übrigens schon auf 2015! In diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal die Befreiung Deutschlands von der Nazibarbarei und wir planen  mindestens zweimal auf unserer Liberation-Tour nach Mittenwald zurückzukehren. Wenn im Vorfeld des G8- (oder  G7-Treffens) in Elmau/Mittenwald die Gebirgsjäger-Kameraden wieder zur Soldatenfeier nach Mittenwald rufen, werden wir zur Stelle sein und erneut für die Bestrafung der NS-Täter und für die Entschädigung der NS-Opfer streiten. Und wenn Anfang Juni 2015 die Mächtigen der Welt im benachbarten Elmau ihr G8 –Treffen abhalten, wird ein Demonstrations-Finger sicherlich vom Gebirgsjäger-Denkmal  am Hohen Brendten die wenigen Kilometer zum Tagungslokal ziehen und 70 Jahre nach der Befreiung auf  die Verbrechen der Gebirgsjäger in Griechenland, in der Ukraine, in  Slowenien, Serbien und Italien und auf die ungelösten Entschädigungsforderungen hinweisen. Vielleicht wird dann auch Manolis Glezos mit uns durch die Berge demonstrieren…

 Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!

Bestrafung der Täter – Entschädigung der Opfer

 Für eine starke Mobilisierung! 2015 – auf nach Mittenwald und Elmau!

 AK Angreifbare Traditionspflege / neue Folge  7. März 2014

 Dokumentation:

 Am 3. Oktober 1943 ermordeten die Gebirgsjäger des Feldersatz Bataillon 79 in der Ortschaft Lyngiades 83 Zivilisten, darunter einjährige Säuglinge und 90-Jährige. Das sollte die Rache der Deutschen für Josef Salminger sein, der am 1. Oktober 1943 in eine Straßensperre der Partisanen geraten war und erschossen wurde. Der Befehlshaber des Gebirgsarmeekorps Hubert Lanz würdigte in einem Tagesbefehl den Tod des „in hundert Schlachten (…) bewährten Bataillons- und Regimentskommandeurs“ und befahl: „Ich erwarte, dass die 1. Gebirgs-Division diesen ruchlosen Banditenmord  (…) in einer schonungslosen Vergeltungsaktion rächen wird.“

In dem Gefechtsbericht der Mörder unter dem Edelweiß hieß es: „Ostwestlich Jannina-See, im Raum Struma-Lingiades, wird Tragtierverkehr der Banditen beobachtet. Hierauf angesetztes Felders. Btl. 79 nimmt Lingiades und die Höhen 1015 und 1277 gegen schwachen Feindwiderstand. Die Ortschaften Lingiades und Strumy werden zerstört, 50 Zivilisten erschossen.“

 (Gefechtsbericht der Gruppe Dodel Feldersatz-Batallion 79, 3.10.1943)

 Die Überlebenden des Massakers haben andere Erinnerungen:

 „Sonntag, 3. Oktober 1943. Ein sonnenstrahlender Tag, ein Tag für leichte Arbeiten. Die meisten Dorfbewohner sind unterwegs. Die einen sind [ins] Nachbardorf gegangen, um dort mit langen Stöcken die Nüsse von den Walnussbäumen zu klopfen. Andere sind in den Feldern. Eine Gruppe von Frauen ist talwärts mit Tragtieren unterwegs, um von der Quelle Wasser zu holen, da es im Dorf keine Wasserstelle gibt. Die Frauen sind auf dem Rückweg. Während sie noch bergauf steigen, fallen die ersten Salven. (…) Die Leute sehen von oben, dass in Joannina fünf Lastwagen losgefahren sind, gefolgt von zwei Sanitätsfahrzeugen. Die Wagen halten am Fuß des Berges an drei verschiedenen Punkten. Soldaten springen herunter und steigen in drei Gruppen den Berg hinauf, denn es führen drei Fußwege nach Lyngiades. (…) Oben angekommen schließen die Soldaten das Dorf ringsum ein und stellen Posten auf. Unterdessen schlagen ringsum Salven ein, ohne Unterbrechung. Niemand soll flüchten können. Nur alte Männer, Frauen und Kinder sind in den Häusern geblieben. Das Dorf soll nicht verlassen erscheinen. Die Leute hatten befürchtet, es werde sonst als Partisanendorf niedergebrannt. Nur die Jungen sind beim Angriff der Soldaten in die Berge geflüchtet. Als die Soldaten den höchsten Punkt über dem Dorf erreicht haben, lassen sie eine Leuchtrakete steigen. Das ist das Zeichen zum Ausschwärmen. Jetzt werden die Leute aus den Häusern geholt und vor der Schule zusammengetrieben. Alle müssen raus, auch die kleinen Kinder. Wer sich weigert, wird mit Fußtritten und Kolbenschlägen misshandelt. Etwa 90 Menschen stehen auf dem Platz vor der Schule. Alte Männer, Frauen, Mütter mit kleinen Säuglingen auf dem Arm, kleine Kinder. Sie werden von zwei oder drei Soldaten bewacht, Maschinenpistole im Anschlag. Der erste der Soldaten schwärmt aus, um zu plündern. Nach einiger Zeit werden die drei Wachposten abgelöst, damit auch sie sich ihren Teil aus den Häusern holen können. Die Soldaten tragen ihre Beute auf dem Schulhof zusammen: Kleider, Decken, Teppiche, Kisten, Aussteuer, Käse, Butterfässer, Kupferkessel, Hausrat, Schachteln mit Zuckerzeug, Nüsse, Mandeln, Ziegen, Hühner, Lämmer, Schafe.

 Nach einiger Zeit gibt der Anfuhrer ein Zeichen und wechselt ein paar Worte mit dem Unteroffizier. Die Dörfler verstehen nicht, was sie sagen, denn sie sprechen deutsch. Dann, wortlos, gibt der Anfuhrer wieder ein Zeichen mit der Hand. Jeweils drei Mann trennen jetzt mit Kolbenstößen kleine Gruppen ab. Jeweils zehn Frauen und Kinder, ungefähr. Sie führen sie vom Schulplatz weg, bergauf, in Richtung der Häuser. (…)

 Die alten Männer werden gesondert abgeführt. Fußtritte, Kolbenschläge, Geschrei – sie werden in den Keller gestoßen und dort mit Maschinengewehrgarben umgemäht. Auch die Frauen und Kinder werden in die Keller verschiedener Häuser gestoßen und dann ebenfalls mit Maschinengewehren niedergemacht. Anschließend zünden sie die Häuser an. (…) Eine Kugel traf meinen Geldbeutel. Sie prallte an den Münzen ab und traf meinen kleinen Alexis am Kopf. Ich hatte ihn auf dem Arm. Sein Blut platschte mir ins Gesicht und lief mir über Hals und Brust. Ich war über und über voller Blut. Mehrmals kamen sie noch zurück und schossen wieder in den Haufen, weil sie irgendwo noch jammern hörten. Auch ich war hingestürzt, in meinen Armen das Kind mit dem verstümmelten Kopf. In einer anderen Ecke sah ich mein anderes Kind liegen.“

 (Aus der Dorfchronik von Lyngiades .Übersetzung Christoph Schminck-Gustavus / Abschrift Hearing Mittenwald 2003)

 Seit 1953 versammeln sich die Überlebenden des Massakers, die die Nüsse im Nachbarort geschlagen hatten und das brennende Dorf von weitem sahen, zu einer Gedenkfeier auf dem Dorfplatz. Das Dorf war jahrelang unbewohnt und bis 1989 hat es noch Wellblechdächer gehabt, die Häuser waren nicht wieder korrekt aufgebaut worden.

 Tipp: Christoph U. Schminck-Gustavus: Feuerrauch. Die Vernichtung des griechischen Dorfes Lyngiádes am 3. Oktober 1943, Verlag J.H.W.Dietz, Bonn 2013, 336 Seiten, 24,90 Euro.

 https://linksunten.indymedia.org/de/node/107873

 Liebe Leute, sehr geehrte Damen und Herren,

 vgl. auch das Interview von Oliver Das Gupta mit Christoph Schminck-Gustavus in der Online-Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ vom 7. März 2014: „Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland. Lyngiades – ausgelöscht von deutschen Gebirgsjägern“ (mit Fotos)

 http://www.sueddeutsche.de/politik/verbrechen-der-wehrmacht-in-griechenland-wie-deutsche-gebirgsjaeger-lyngiades-ausloeschten-1.1902678  

 http://www.heute.de/bundespraesident-gauck-in-griechenland-historiker-schminck-gustavus-ueber-ns-vergangenheit-und-deutsch-griechisches-verhaeltnis-32234832.html (mit Videos) sowie http://www.tagesschau.de/ausland/gauck-in-griechenland104.html und  http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-gauck-entschuldigt-sich-fuer-verbrechen-der-wehrmacht-a-957535.html

 Und hier noch ein Kommentar zum Gauck-Besuch von „Eagle Starbird“ auf sueddeutsche.de:  

„Hat der Mann nicht neulich auf der internationalen Tagung der Kriegsgewinnler in München die Fortsetzung gerade dieser deutschen Traditionen gefordert, die er hier krokodilsmäßig bedauert, und in einem Atemzug Menschen, die sich für den Frieden einsetzen, als ‚Hasenfüße‘ herabgewürdigt?“

Beste Grüße

Bernhard (Thiesing)


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leute

aus Anlass des heutigen Gauck-Besuchs im griechischen „Märtyrerort“ Lyngiádes nachfolgend zwei Artikel aus dem „Neuen Deutschland“ von heute, außerdem ein Interview mit dem Rechtsanwalt Martin Klingner vom Hamburger Arbeitskreis Distomo. 

Beste Grüße

Bernhard (Thiesing)

Gesten und Geister
Uwe Kalbe über Joachim Gaucks Besuch in Griechenland

Joachim Gauck plante für seinen Besuch in Lyngiádes eine spontane Umarmung des Staatspräsidenten, wie es bereits im Vorfeld hieß. Lange habe Griechenland auf solch eine Geste warten müssen, so die verhaltenen, aber bereits gerührten Kommentare des noch ungeschehenen Ereignisses. Dies ist erstaunlich, denn eine Umarmung von Gauck kann man leicht als Zumutung empfinden.

Forts. http://www.neues-deutschland.de/artikel/926166.gesten-und-geister.html

„Schreib alles auf, damit es nicht vergessen wird“

Christoph U. Schminck-Gustavus berichtet über das deutsche Massaker im griechischen Dorf Lyngiádes 1943

Es war ein Sonntagnachmittag, als die Wehrmacht den Ort einschloss, die Bewohner aus ihren Häusern trieb, die Männer von den Frauen und Kindern trennte, erst die Männer erschoss und die Frauen und Kinder in Keller zwang, um dann auch sie dort niederzuschießen und anschließend die Häuser abzufackeln.

Zwei Tage zuvor hatte sich Oberstleutnant Salminger, Günstling des »Führers«, nach einem feuchtfröhlichen Gelage in Joánnina nachts und gegen alle Warnungen ohne Geleitschutz von seinem Fahrer zu seinem Einsatzort zurückbefördern lassen. Mit seinem Horch-Geländewagen krachte er in eine Straßensperre und wurde von Partisanen erschossen. Als Vergeltungsaktion befahl daraufhin der kommandierende General Lanz das Erschießen aller Einwohner und Niederbrennen aller Dörfer »in 20 km Umkreis der Mordstelle«. Anders als im benachbarten Stroúni, wo dieser Befehl mit Rücksicht auf die Jungvieh- und Schafbestände nicht mit bestialischer Grausamkeit durchgezogen wurde, gab es im griechischen Bergdorf Lyngiádes kein Erbarmen. Auf der Gedenktafel im Ort für die am 3. Oktober 1943 Ermordeten sind ein noch ungetauftes Kind der Familie Tsiríkis, mit zwei Monaten das jüngste Opfer, und Theódoros Lóllis mit 100 Jahren als ältestes Opfer verzeichnet.

Wie durch ein Wunder hatten einige Wenige das Massaker der Deutschen überlebt, darunter der 14-jährige Charílaos Lioúris, der von Toten zugedeckt war. Die Kugeln der Mörder trafen das Kind in den Arm. »Also, schreib Du alles auf, damit es nicht in Vergessenheit gerät«, bat er Jahrzehnte später den aus Bremen Angereisten, und das tat er: Christoph U. Schminck-Gustavus, Professor für Rechtsgeschichte, hat behutsam und einfühlsam die noch auskunftsfähigen Zeitzeugen befragt – in Lyngiádes, aber auch in Karyés, Joánnina, Athen-Áno Lióssia, Eleusís.

Zum Verständnis zitiert der Autor Karl Jaspers, aus dessen Sicht die Deutschen unmittelbar nach dem Krieg erst einmal mit eigenem Leid und eigener Not beschäftigt waren und nicht mit Schuld und Reue beladen werden wollten. Bald schon habe sich ein Schleier des Vergessens über die Untaten gebreitet. Als Folge der NS-Herrenmenschenpropaganda stellte sich für die meisten Täter die Frage der Reue niemals, selbst bei gläubigen Menschen nicht.

Der Jurist konstatiert, es habe durchaus Ermittlungen seitens der bundesdeutschen Justiz wegen Verletzung des Völkerrechts gegeben. Aber: »Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I hat mit Einstellungsverfügung vom 18. September 1972 Lanz und andere an Kriegsverbrechen Beteiligte außer Verfolgung gesetzt. Bei der Lektüre dieser Verfügung fragt man sich, ob man sich vielleicht verlesen hat, oder ob damals in den Amtsstuben der Münchener Staatsanwaltschaft Gebirgsjäger aus Mittenwald gesessen haben. Die Vernichtung von Lyngiádes wird beispielsweise als ›eine unvermeidbare und damit notwendige Folge des Land- oder Luftkrieges‹ bezeichnet … Hiernach war auch ein Massaker an der Zivilbevölkerung keine verfolgbare Straftat.«

Angesichts dieser justitiellen Komplizenschaft können die Opfer und deren Angehörigen nur auf eine neue Generation deutscher Juristen hoffen. Als einer ihrer Sachwalter fordert der Autor, dass die Göttin der Gerechtigkeit endlich wieder in den ihr gebührenden Rang eingesetzt werde.

Christoph U. Schminck-Gustavus: Feuerrauch. Die Vernichtung des griechischen Dorfes Lyngiádes am 3. Oktober 1943. J. H. W. Dietz Nachf., Bonn. 336 S., geb., 24,90 €.

URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/926182.schreib-alles-auf-damit-es-nicht-vergessen-wird.html [nur mit Abonnement; mit Dank an Harald Neuber]

Vgl. auch das Interview von Miltiadis Oulios mit Christoph U. Schminck-Gustavus:

http://www.funkhauseuropa.de/sendungen/radiopolis/feuerrauch100_akk-a1-1_tag-01012014.html

Hat „die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren“? Jüdische Gemeinde von Thessaloniki und Opfer des NS-Massakers von Lyngiades fordern deutliche Worte von Gauck. Interview mit Martin Klingner

http://www.freie-radios.net/62327


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leute,

 aus Anlass des Gauck-Besuchs im Anhang eine aktuelle Erklärung des Nationalrats aus Lyngiades für die Einforderung von Kriegsschulden Deutschlands gegenüber Griechenland (mit Dank an Professor Christoph Schminck-Gustavus).

04 Erklärung Nationalrat (doc)

 Außerdem von Eberhard Rondholz der Beitrag „Blutspur in Hellas. Die lange verdrängten deutschen Kriegsverbrechen im besetzten Griechenland 1941-1944.“

blutspur in hellas (pdf)

 Beste Grüße

 Bernhard (Thiesing)


German Foreign Policy:  Erbe ohne Zukunft

Christoph Schminck- Gustavus: Deutschlands unerledigte Altlasten

vgl. auch http://www.fr-online.de/politik/bundespraesident-gauck-in-griechenland-historische-schuld,1472596,26462108.html

Eberhard Rondholz: „Eine längst vergessene Geschichte. Warum Johannes Rau um die Jüdische Gemeinde von Thessaloniki einen so großen Bogen gemacht hat“

Hagen Fleischer im Gespräch mit Christiane Kaess: Gauck-Besuch in Athen Warten auf das Wort Verzeihung

[mit Dank an Manfred Klingele]

Klick an:

 


Pressemitteilung des AK-Distomo (Hamburg), 1. März 2014

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Am 5. März 2014 wird Bundespräsident Gauck zum Staatsbesuch nach
Griechenland reisen.

Dort wird er unter anderem das von deutschen Truppen zerstörte Dorf
Lyngiades in der Region Epirus besuchen. Am 3. Oktober 1943 ermordeten
Angehörige der 1. Gebirgsjägerdivision dort 82 Menschen, vor allem
Frauen und Kinder. Lyngiades war eine von Hunderten Ortschaften, in
denen Wehrmacht und SS während der deutschen Besatzung Griechenlands
Massaker an der Zivilbevölkerung begingen.

Die Menschen aus den Orten deutscher Verbrechen in Griechenland erwarten
und fordern, dass die deutsche Regierung endlich, nach mehr als 70
Jahren ihre Verantwortung anerkennt und die Opfer und die
Hinterbliebenen der Ermordeten finanziell entschädigt. Doch im Gepäck
wird der Bundespräsident vermutlich nicht viel mehr als Worte des
Bedauerns haben. Bereits im italienischen Sant´Anna di Stazzema erklärte
Gauck zur unterbliebenen strafrechtlichen Verfolgung der Mörder: „Es
verletzt unser Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn Täter nicht
überführt werden können, weil die Instrumente des Rechtsstaates dieses
nun einmal nicht zulassen.“ Tatsächlich wurden 10 der Mörder vom
italienischen Militärgericht La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger
Haft verurteilt. Allerdings hat keiner der Verurteilten die Haft angetreten.

Ähnliche Falschaussagen sind vom Präsidenten auch zur Frage der
verweigerten Entschädigung zu erwarten.

Die jüdische Gemeinde Thessaloniki klagt seit langem gegen die
Bundesrepublik auf Entschädigungsleistungen für die erlittenen
Verbrechen durch die deutsche Besatzungsmacht und hat jüngst Beschwerde
vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg
erhoben. Bundespräsident Gauck erklärte in Sant´Anna di Stazzema: „…es
gibt Schuld, auch wenn ein Gericht für diese Dimension von Schuld nicht
zuständig ist.“ In Griechenland allerdings haben Gerichte Deutschland
rechtskräftig verurteilt. Davon sollen wohlfeile Reden über Versöhnung
ablenken.

Martin Klingner vom Arbeitskreis Distomo aus Hamburg erklärt:
„Deutschland wurde im Fall des Massakers in Distomo von griechischen
Gerichten bereits im Jahr 1997 rechtskräftig zur Zahlung einer
Entschädigungssumme von ca. 28 Mio. Euro verurteilt. Bis heute
verweigert Berlin die Anerkennung dieses Urteils und die Auszahlung der
Summe an die Opfer. Dies stellt eine fortgesetzte Demütigung der
Überlebenden und der Angehörigen der Ermordeten dar. Deutschland
torpediert mit allen politischen und juristischen Mitteln die
Verpflichtung zur Leistung von Entschädigungszahlungen. Dies gilt auch
für alle anderen anhängigen Fälle. Der Arbeitskreis Distomo fordert die
Entschädigung aller NS-Opfer durch die Bundesrepublik Deutschland. Dies
muss die Konsequenz aus den Verbrechen des Nationalsozialismus sein.“

AK-Distomo

Hamburg, den 2.3.2014

AK-Distomo
Hamburg, den 1.3.2014
Kontakt: Martin Klingner Tel. 040-4396001 oder 040-4396002 oder 0162-1698656

Weitere Informationen: http://ak-distomo.nadir.org/