Paolo Casciola über A.Ciligas „Wie Tito die jugoslawische kommunistische Partei eroberte“

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Zu den Ursprüngen des „Titoismus“ und des jugoslowischen Trotzkismus
Geschrieben von von Paolo Casciola

Montag, 7. März 2011

Dokumentation- 1961 veröffentlichte ein italienisches
sozialdemokratisches Magazin, Corrispondenza Socialista (Nr. 7, Juli
1961), unter dem Titel „Wie Tito die jugoslawische kommunistische Partei
eroberte“ einen sieben Seiten umfassenden Artikel des ehemaligen
jugoslawischen Trotzkisten Ante Ciliga. Dieser Artikel wurde 28 Jahre
später in Quaderni del Centro Studi Pietro Tresso (Serie: „Studi e
ricerche“, Nr. 12, Februar 1989) unter demselben Titel
wiederveröffentlicht. Das Centro Studi Pietro Tresso in Umbrien, benannt
nach dem gleichnamigen italienischen Trotzkisten, beschäftigt sich mit
der Geschichte der revolutionären Bewegung und wird von dem
italienischen trotzkistischen Historiker Paolo Casciola geleitet.
Casciola verfaßte eine Einleitung zu Ciligas Artikel und brachte diese
später selbst in eine adaptierte englische Fassung. Aus letzterer wurde
diese Einleitung von Franz Drexler mit Casciolas freundlicher Zustimmung
ins Deutsche übersetzt.

Die gesamte frühe Geschichte der jugoslawischen Kommunistischen Partei
(KPJ) ist durch einen andauernden Kampf zwischen ihren linken und
rechten Flügeln gekennzeichnet, ebenso wie durch die Intervention der
Dritten, Kommunistischen Internationale (Komintern), die auf eine
Beilegung dieses Zustandes des chronischen Fraktionalismus gerichtet
war. Von 1923 an und besonders nach 1925 nahm die Intervention der
Komintern jedoch immer mehr die Züge eines Versuches an, das immerfort
brutalere stalinistisch-bucharinistische Diktat der jugoslawischen
Partei aufzuzwingen.

Vor diesem Hintergrund sollte der dritte nationale Kongreß der KPJ, der
vom Exekutivkomitee der Komintern (EKKI) seit April 1925 einberufen war,
den Anstoß dazu geben, die aussichtslose Lage des Fraktionalismus, die
durch antikommunistische staatliche Repression verschärft wurde, zu
überwinden. Genau zum Anlaß dieses Kongresses, der vom 17 bis 22 Mai
1926 in Wien stattfand, vertraute die bürkratisierte Komintern die
Führung der KPJ (Politbüro) dem rechten Flügel der jugoslawischen Partei
an, der von Sima Markovic geführt und durch das Zentrum um zwei
Gewerkschaftsführer, Djuro Salaj und Jacob Zorga, gestärkt wurde.

Zu dieser Zeit legte die von Bucharin ausgearbeitete Politik der
Komintern für Jugoslawien großes Gewicht auf die Arbeits- und
Gewerkschaftskämpfe und vernachlässigte die nationale Frage. In diesem
Zusammenhang war Markovic, der der Wortführer der
serbisch-nationalistischen Strömung innerhalb der KPJ war, der richtige
Mann am richtigen Platz. Die großserbisch zentralistische Orientierung,
die unter ihm angenommen wurde, sollte kaum zwei Jahre später zur
politischen Niederlage jener werden, die innerhalb der Reihen der
jugoslawischen Partei versuchten, die serbisch-kroatischen
Streitigkeiten und alle anderen nationalen Konflikte in Jugoslawien zu
überwinden. Letztendlich führte dies zur Niederlage der Führer des
linken Flügels der KPJ.

Innerhalb eines Jahres hatte sich die rechte Führung in den Augen der
Partei allerdings derart diskreditiert, daß das Herbstplenum 1927 des
Zentralkomitees beschloß, den politischen Sekretär des Politbüros,
Markovic, zu entlassen und eine neue Führung zu bilden. Die Stelle des
Sekretärs des Politbüros wurde mit Djuro Tzvjijc besetzt, einem Führer
des „historischen linken Flügels“ der KPJ, das heißt der Tendenz, die
seit 1921 gegen den reformistischen Flügel der KPJ gekämpft hatte,
obwohl sie das mit einer eingeschränkten Perspektive tat, sich nur auf
jugoslawische Probleme konzentrierte und jegliche Koordination mit
anderen linken Gruppierungen, die innerhalb von nationalen
kommunistischen Parteien im Ausland existierten, vermissen ließ. Der
„historische linke Flügel“ wurde übrigens durch die dem Zentrum
angehörigen Gewerkschafter gestärkt, die sich ihm angeschlossen hatten.

Die Zagreber Organisation der KPJ, die eine Bastion des linken Flügels
darstellte, akzeptierte diese Wendung, die ohne vorhergehende
Vereinbarung mit Moskau erfolgt war und die den bucharinistischen Kurs,
der zu dieser Zeit in der Komintern aufstieg, zurückwies, vollkommen.
Als Antwort darauf hob Bucharin, unterstützt von Manuilsky und Josip
Cizinsky (Milan Gorkic), die Beschlüsse des jugoslawischen
Zentralkomitees auf und löste in autoritärer Weise das neue, linke
Politbüro auf.

Milan Gorkic, ein Mitglied der Gruppe junger Bucharinisten, war die
Schlüsselfigur der jugoslawischen Operation, die von Bucharin
durchgeführt wurde. Da es unmöglich war, der jugoslawischen KP die
Marcovic-Führung wieder aufzuzwängen, wurde beschlossen, ein neues
Politbüro einzusetzen, gebildet aus sorgfältig „bolschewisierten“
jugoslawischen Kommunisten, die sich in Moskau befanden und die nach
Jugoslawien geschickt werden sollten, um die „mitte-links“ Leitung
endgültig hinauszuwerfen und die Führung der Partei zu übernehmen.

Diese Operation bestand darin, einige speziell ausgewählte Leute nach
Jugoslawien zu schicken, deren Aufgabe darin bestand, die lokalen
KPJ-Sektionen davon zu überzeugen, eine Intervention der Komintern in
die innerparteilichen Angelegenheiten zu verlangen, und die Autorität
der mitte-links Führer zu unterminieren, um so den Weg für die
„spontane“ und „demokratische“ Einsetzung eines neuen Politbüros
made-in-USSR frei zu machen.

Unter den ersten „jugoslawischen Agenten“ der Komintern, die in
Jugoslawien eintrafen, waren Djuro Djakovic, der Leiter der
bucharinistischen Operation und Sekretär der
Metallarbeiter-Gewerkschaft, und Mathias Brezovic, der zum Sekretär der
kroatischen Sektion der KPJ berufen worden war, der aber unmittelbar
danach als Spion der jugoslawischen Polizei ausgeschlossen wurde. Die
Kontakte zwischen Djakovic, der sich in Zagreb aufhielt, und
Gorkic-Bucharin in Moskau wurden über Jovan Malesic (Martinovic), der zu
diesem Zweck nach Wien geschickt wurde, aufrechterhalten.

Bei dieser Operation kam ein weiteres junges Mitglied der KPJ zum
Einsatz. Sein Name war Josip Broz, der künftige Marschall Tito. Er war
kroatischer Herkunft und Unteroffizier der österreichisch-ungarischen
Armee bis 1915, als er von den zaristischen Truppen gefangen genommen
und inhaftiert wurde. Er schloß sich dem Bolschewismus erst 1919-20 an,
kämpfte dann in der Roten Armee bevor er 1925 nach Jugoslawien
zurückkehrte. Durch Djakovic für die jugoslawische Operation gewonnen,
wurde Tito zu einem ihrer Hauptprotagonisten, der eine enorm wichtige
Rolle bei der Umsetzung von Gorkics und Bucharins Plänen spielte – eine
Umsetzung, die bis zu ihrer Durchführung mehrere Monate in Anspruch nahm.

Als Organisationssekretär des Zagreber Komitees der KPJ führte Tito
einen harten politischen Kampf gegen die linke Mehrheit dieses Komitees,
das es ablehnte, vor den jugoslawischen Manövern Moskaus in die Knie zu
gehen. Dieser Kampf gipfelte in der Achten Konferenz der Zagreber
Sektion der KPJ, die in der Nacht vom 25. zum 26. Februar 1928
abgehalten wurde. Auf dieser Konferenz präsentierte Tito einen
Gegenbericht zu jenem des politischen Sekretärs, Dusan Grkovic, in
welchem er den Fraktionalismus, der die Arbeit der Partei unter den
Massen behindern würde, anprangerte. Titos Demagogie schlug ein, und die
Mehrheit der Delegierten nahm seinen Minderheit-Gegenbericht an und
wählte einen neuen politischen Sekretär, nämlich Tito selbst. Für Tito
war das der erste Erfolg bei seinem Aufstieg zur Spitze der
jugoslawischen Partei.

Nachdem Tito die Zagreber Organisation der KPJ in seine Hand gebracht
hatte, machte er einen Schritt weiter, indem er das Zagreber Komitee
dazu brachte, den Vorschlag, eine Intervention der Komintern in die
internen Angelegenheiten der Partei zu fordern, anzunehmen. Das Komitee
sandte in der Folge einen Brief an das EKKI über die Situation in der
Partei und die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Fraktionalismus in
ihren Reihen. Im April 1928 berief das EKKI die „Moskauer“ Führer der
KPJ zu einer Beratung ein, im Zuge derer ein offener Brief des EKKI an
die jugoslawische Partei angenommen wurde. Dieser Brief prangerte den
Fraktionalismus hart an und hob die Notwendigkeit hervor, der Partei
eine neue nationale Führung zu geben, die sie befähigen würde, aus ihrer
Krise zu herauszukommen. Zu diesem Zweck beschloß die Komintern die
„fraktionalistische“, „mitte-links“ Führung der KPJ abzusetzen und
ernannte ein dreiköpfiges privisorisches Politbüro unter der Führung von
Djakovic. Die neue Führung wurde damit betraut, eine Diskussion über den
offenen Brief des EKKI in allen lokalen Organisationen einzuleiten, die
Säuberung von „fraktionalistischen Elementen“ zu beginnen und den
Vierten Nationalen Kongreß der KPJ vorzubereiten.

An dieser Stelle scheint es angebracht, einige Bemerkungen zur Frage des
Fraktionalismus einzubringen. Nach der Achten Konferenz der Zagreber
Organisation im Februar 1928 begann die „Moskauer“ Gruppierung sich
selbst als „anti-fraktionalistische“ Strömung, die sowohl den rechten,
als auch den linken Flügel beämpfte, darzustellen. Tatsächlich war die
Djakovic-Tito-Gruppierung aber selbst eine Fraktion, eine Fraktion, die
immer die Tendenz hatte, im Bündnis mit dem rechten Flügel der Partei
gegen ihren linken zu kämpfen.

In dieser Hinsicht muß auf die Besonderheit der politischen Landschaft
der jugoslawischen Arbeiterbewegung eingegangen werden. Gemäß der in
Jugoslawien üblichen Terminologie, verstand man unter dem „linken
Flügel“ nicht dasselbe wie unter der russichen Linken Opposition. Dieser
Begriff wurde verwendet, um die antireformistische Tendenz, die in der
KPJ seit 1921 aufgestiegen war, zu bezeichnen. Es scheint, daß die
fundamentale politische Scheidelinie zwischen dem linken und rechten
Flügel der KPJ in ihren untschiedlichen Einschätzungen der nationalen
Frage in Jugoslawien bestand – und somit in einem kritischen Punkt der
jugoslawischen Revolution. Der linke Flügel stand im Namen des
proletarischen Internationalismus gegen die großserbischen
nationalistischen Tendenzen, die innerhalb der Partei existierten und
durch Sima Markovic, dem Führer des rechten Flügels, representiert
wurden. Die von Djakovic geführte „anti-fraktionalistische“ Fraktion,
die eigentlich aus dem historischen linken Flügel der Partei kam, nahm
faktisch dieselbe großserbische, zentralisierende Orientierung an wie
der rechte Flügel.

Im politischen Kampf innerhalb der jugoslawischen Partei, der in der
Periode von 1926-28 ausgetragen wurde, spielte die nationale Frage
tatsächliche eine bedeutende Rolle. Wie bereits erwähnt legte die
(bucharinistische) Politik der Komintern besonderes Gewicht auf die
Gewerkschaftsarbeit und den gewerkschaftlichen Kampf – die in
demagogischer Weise als Allheilmittel gegen den linken „Fraktionalismus“
verkauft wurden – und ignorierte die nationale Frage, obwohl diese einer
der Hauptgründe der fraktionellen Auseinandersetzungen war. Natürlich
begünstigte dieser bucharinistische Workerismus das Zentrum und den
rechten Flügel, die in den jugoslawischen Gewerkschaftsorganisationen
fest verankert waren.

Die Niederlage der mitte-links Führung, die vom Winter 1927 bis zum
Frühling 1928 über die Bühne ging und durch die Allianz des historisch
rechten Flügels mit der von der Komintern in Moskau geschaffenen
„antifraktionalistischen“ Fraktion herbeigeführt wurde, markierte daher
den Sieg der großserbischen zentralistischen Orientierung.

* * *

In der Periode, die dem Sieg der Komintern-Statthalter und des rechten
Flügels der Partei über ihren linken Flügel folgte, traten einige
unerwartete Ereignisse ein, die den Verlauf der Dinge innerhalb der KPJ
maßgeblich beeinflußten: die Ermordung von Radic, Bucharins Hinauswurf
aus der Komintern-Führung und der monarchistische Putsch in Jugoslawien
vom 4. Jänner 1929.

Am 20. Juni 1928 kam es in der Skupstina (dem jugoslawischen Parlament)
zu einem Schußatentat, bei dem Punisa Racic, ein montenegrinischer
Abgeordneter mit panserbischen Idden, zwei Abgeordnete der (kroatischen)
Bauernpartei erschoß, und Stjepan Radic, den Führer der Bauernpartei,
tödlich verletzte. Dieser Anschlag in Belgrad legte die unerträglich
gewordenen Spannungen, zu denen der Konflikt zwischen Serben und Kroaten
geführt hatte, bloß und stellte die nationale Frage unmittelbar auf die
Tagesordnung. Die stalinisierte Komintern konnte die
Nationalitätenprobleme in Jugoslawien nicht länger ignorieren, und sie
machte tatsächlich eine 180-Grad-Wendung, indem sie die nationale Frage
in den Vordergrund stellte und die Frage des sozialen Kampfes in die
zweite Reihe drängte.

All dies geschah in einer Periode des verschärften politischen Kampfes
innerhalb des Landes, in einer Periode, in der das jugoslawische
Parlament dabei war, die Nettuno-Übereinkommen mit Mussolinis Italien zu
ratifizieren. Neben der KPJ stellte die demokratische Bauernkoalition
die Vorhut der antiimperialistischen Demonstrationen, die sich ebenso
gegen die großserbische Vorherrschaft richteten. Die Krise des
großserbischen, zentralistischen Jugoslawiens verstärkte sich mehr und
mehr. Das Attentat vom 20. Juni war der Funke, der das Pulver entzündete.

Belgrad wurde zum Zentrum der Agitation. Die KPJ stellte eine eigene
militärische Organisation auf, weil sie offensichtlich glaubte, daß aus
der kroatischen nationalen Revolte heraus eine kommunistische Revolution
ausbrechen könnte. Gerade in der Zeitspanne, die dieser Periode folgte
und bis 1936 dauerte, betrieb die KPJ eine ablehnende Politik gegenüber
der serbischen Vorherrschaft und nahm eine positive Haltung, ja sogar
einen Standpunkt der offenen Unterstützung, zum Nationalismus und
Chauvinismus der Kroaten und anderer nicht-serbischer Völker ein.

Am 4. August wurde Tito im Rahmen einer Razzia unter KPJ-Mitgliedern
verhaftet, die von der jugoslawischen Polizei aufgrund von Informationen
des Spitzels Brezovic und anderer Spione, die sich in der Partei
festgesetzt hatten, ausgeführt wurde. Zu fünf Jahren Haft verurteilt,
konnte Tito nicht am Vierten Nationalen Kongreß der KPJ, der im frühen
November 1928 in Dresden stattfand, teilnehmen. Die Ergebnisse des
Kongresses waren zweifelsohne von der Wendung, die die Komintern bei
ihrem Sechsten Weltkongreß vom August bis zum September desselben Jahres
vollzog, beeinflußt. Der Kongreß war unter dem Schlagwort des Endes der
relativen Stabilisierung des Kapitalismus und dem Beginn der „Dritten
Periode“ gestanden.

Nachdem der linke Flügel schon geschlagen war, ging der Vierte Kongreß
der KPJ – die zu dieser Zeit in etwa 2000 Mitglieder zählte – dazu über,
den von Markovic geführten rechten Flügel zu attackieren. In
Übereinstimmung mit dem von Stalin diktierten Schwenk zur Dritten
Periode nahm die KPJ eine ultralinke, abenteuerliche Orientierung an,
die das unmittelbare Aufsteigen revolutionärer Krisen kommen sah und die
Gleichsetzung der Sozialdemokratie mit dem Faschismus theoretisierte.
Innerhalb dieses allgemeinen politischen Rahmens argumentierte die KPJ,
daß eine bürgerlich-demokratische Revolution in Jugoslawien unungänglich
war und daß diese bald in eine proletarische sozialistische Revolution
umgewandelt werden würde. Die taktische Folge dieser kurzfristigen
strategischen Perspektive schloß den Boykott reformistischer
Gewerkschaften und eine abstrakte, sektiererische Konzeption der
Einheitsfront-Politik mit ein.

Kurze Zeit nach dem KPJ-Kongreß setzte König Alexander von Jugoslawien
unter dem Vorwand der Regierungskrise vom späten Dezember 1928 und im
Bündnis mit den bürgerlichen Parteien die Verfassung von 1921 außer
Kraft und löste die Nationalversammlung auf. Im Anschluß daran (6.
Jänner 1929) errichtete er ein bonapartistisches Regime, indem alle
Macht in den Händen des Monarchen zentralisiert war. Er bildete eine
neue Regierung, die von General Petar Zivkovic angeführt wurde und aus
dem Monarchen treuen Politikern bestand. Desweiteren erließ er die
Auflösung der KPJ, die schon seit einiger Zeit verboten worden war, und
errichtete eine Herrschaft des Terrors über das ganze Land.

Die KPJ, tief in die Politik der Dritten Periode versunken, antwortete
auf diese Ereignisse mit der Annahme der abenteuerlichen Losung für
einen bewaffneten Aufstand. Diese Politik wurde auf die Einschätzung der
Situation als einer der verallgemeinerten (staatlichen, ökonomischen und
politischen) Krise des ganzen Systems der Herrschaft der serbischen
Bourgeoisie gestützt. Gleichzeitig wurde die Partei aber von der
staatlichen Repression skrupellos zerschlagen. Djakovic war einer der
hunderten kommunistischen Führer und Mitglieder der KPJ, die in dieser
Zeit vom jugoslawischen weißen Terror ermordet wurden, während sich die
Gefängnisse füllten.

Die Politik der Dritten Periode, die von Milan Gorkic & Co nach dem
Putsch vom 6. Jänner verfolgt wurde, führte somit dazu, daß viele
Kommunisten in den Tod geschickt wurden. Diese abenteuerliche Politik
führte unter jenen KPJ-Mitgliedern, die sich in Moskau aufhielten, zur
Entstehung einer starken Opposition, vor allem innerhalb der Gruppierung
des linken Flügels, die zu dieser Zeit cirka 50 Leute umfaßte. Diese
Opposition hatte ihr Zentrum in der KPJ-Schule in Moskau und hatte die
Gorkic-Bucharin-Unternehmungen von Beginn an kritisiert.

Im Februar 1929 berief die Komintern eine Generalversammlung der
„Moskauer“ Jugoslawen ein, um die Auseinandersetzungen beizulegen. Nach
einer heftigen Diskussion erklärte die Versammlung, daß der von der
Komintern erbrachte Bericht nicht zufriedenstellend wäre, und lehnte die
von der Komintern selbst vorgelegte Resolution ab. Stattdessen wurde mit
90 zu 5 Stimmen eine Gegenresolution angenommen, die der Leitung der
KPJ-Führer die Schuld gab, und somit indirekt eine Ablehnung der
Komintern-Politik beinhaltete. An der Spitze dieser Opposition stand die
jugoslawische trotzkistische Gruppe in Moskau, die im Herbst/Winter 1928
auf der Grundlage von Differenzen gebildet wurde, die sowohl die innere
Politik der Sowjetunion (Agrarfrage, Bürokratisierung der Partei) als
auch die Poltik der Komintern auf internationaler Ebene
(Anglo-Russisches Gewerkschaftskomitee, Chinesische Revolution von
1925-27) betrafen.

* * *

Neben ihrer Kritik an der russischen Partei und der Komintern führte die
jugoslawische trotzkistische Gruppe in Moskau in dieser Periode eine
tiefgehende Diskussion über den Charakter der jugoslawischen Revolution.
Der historisch linke Flügel der KPJ war in den vergangenen Jahren
(1924-25) dafür eingetreten, das den Nationalitätenproblem auszunutzen,
um die Perspektive der sozialen Revolution zu fördern. Unter der neuen
KPJ-Führung wurde seit 1928 jedoch eine neue Orientierung angenommen,
die darin bestand, die KPJ in den Dienst des bürgerlichen Nationalismus
der national unterdrückten Minderheiten in Jugoslawien zu stellen. Die
jugoslawische trotzkistische Gruppe in Moskau trat entschieden gegen die
Unterordnung der proletarischen Avantgarde unter die Bourgeoisien der
unterdrückten Nationalitäten auf. Sie konnte für diesen oppositionellen
Standpunkt nahezu alle linksorientierten Jugoslawen gewinnen, die zu
dieser Zeit in Moskau lebten, d.h. die überwiegende Mehrheit der in der
Sowjetunion aktiven jugoslawischen Kommunisten.

Die jugoslawische trotzkistische Gruppe in Moskau, die die revolutionäre
Tradition des historisch linken Flügels der KPJ fortsetzte, mußte ihre
Aktivitäten in der vom stalinistischen Bonapartismus aufgezwungenen
Illegalität entfalten. Diese Gruppe umfaßte etwa 20 Mitglieder und hatte
eine aus sechs Mitgliedern bestehende Leitung. Ihre Führer waren: Stanko
Draghic (russisches Pseudonym: Y.V. Kowalew), Sekretär des
jugoslawischen trotzkistischen Führungsteams in Moskau, der Mitglied des
Zentralkomitees der KPJ und Sekretär des lokalen Zagreber Komitees
gewesen war; Mustapha Dedic (russische Pseudonym: Victor Solowiew), der
Sekretär der Gewerkschaftskommission in Mostar, Herzegowina, gewesen
war; Stepan Heberling (russisches Pseudonym: V. Suslow), der Mitglied
der lokalen Führung der KPJ der Vojvodina in Novi Sad gewesen war; Ante
Ciliga und zwei russische Kommunisten – Victor Zankow und Oresty Glibowsky.

Die Leitung stand in Kontakt mit der russischen trotzkistischen
Organisation in Moskau. Die Aktivität der jugoslawischen trotzkistischen
Gruppe in Moskau konzentrierte sich hauptsächlich auf die Arbeit unter
den Arbeitern der Moskauer Fabriken und die jugoslawischen Kommunisten,
die in Moskau lebten. Jene jugoslawischen Trotzkisten, die in den
moskauer Fabriken arbeiteten, hatten Kontakt zu Arbeitern, die mit der
russischen Linken Opposition sympathisierten. Auf der anderen Seite
bestand die auf die KPJ-Mitglieder gerichtete Aktivität der
jugoslawischen trotzkistischen Gruppe hauptsächlich in der Verurteilung
der von der Komintern verfolgten Politik und ihrer konkreten Anwendung
auf Jugoslawien. Somit wurde eine dirkete Verbindung zwischen den
Fehlschlägen in Jugoslawien und der abenteuerlichen Politik der
stalinistischen Komintern hergestellt.

Das einzige führende Mitglied der jugoslawischen Linken Opposition, über
das nähere biographische Einzelheiten bekannt sind, ist Ante Ciliga. Er
wurde 1898 in Istrien als Sohn einer kroatischen Bauernfamilie geboren.
1918 trat er der kroatischen Kommunistischen Partei bei und war als
eines der Gründungsmitglieder der KPJ von 1919 bis 1921 in Jugoslawien,
der Ungarischen Räterepublik, der Tschechoslowakei und in Italien aktiv.
Er wurde zum Sektetär der kroatischen Sektion der KPJ bestellt und war
seit 1922 laufend für die Partei im Ausland tätig. 1924 trat er in den
Komintern-Apparat in Wien und danach in Prag ein. Im April 1925 wurde er
in das Zentralkomitee der KPJ und ihr Politbüro gewählt. 1926 wurde er
aus Jugoslawien ausgewiesen und war anschließend vorerst in Wien tätig.
Im selben Jahr noch kam er in der Sowjetunion an, wo er Mitglied des
„Auslandsbüros“ der KPJ war, welches er auch im Balkansekretariat der
Komintern in Moskau vertrat. Er war für drei Jahre Leiter der KPJ-Schule
in Mokau und nahm 1928 am Sechsten Kongreß der Komintern teil. Ante
Ciliga war eines der Gründungsmitglieder der jugoslawischen
trotzkistischen Gruppe in Moskau und unterrichtete ab 1930 an der
Kommunistischen Universität in Leningrad, wohin die Leitung der Gruppe
übersiedelt war.

Dieser Transfer stand im Zusammenhang mit der Entscheidung der
stalinistischen Komintern, mit der Liquidierung der jugoslawischen
trotzkistischen Gruppe Ernst zu machen. Der erste Schritt in diese
Richtung war die Schaffung einer eigenen Kommission, die damit
beauftragt war, über den Fall der jugoslawischen linken Opposition zu
urteilen, mit dem Ziel, diese auszuschließen. Nachdem diese Maßnahme
fehlschlug, wurde eine weitere Kommisssion, die aus Mitgliedern des
Zentralkomitees der KPJ und Führern der Komintern bestand, aufgestellt.
Ihren Vorsitz führte der Ex-Menschewist N.N. Popow. Die Kommisssion
beendete ihre Arbeit sechs Monate später und berief eine Versammlung
ein, um ihre Schlußfolgerungen bekannt zu geben. Der Antrag zur
Billigung dieser Schlußfolgerungen wurde von einer Mehrheit von 21 gegen
17 Stimmen getragen, doch die beachtliche Minderheit suchte beim
Zentralkomitee der KPJ um eine Überprüfung der ganzen Angelegenheit an.

Einige Tage später trat eine Kontrollkommission unter der Führung von
Soltz zusammen, um die Repression gegen die jugoslawischen
Linksoppositionellen zu organisieren. Das Ergebnis dieser Sitzung war
der Ausschluß Ante Ciligas und zweier jugoslawischer Studenten von der
KPJ-Schule für ein Jahr. Desweiteren wurden andere Studenten dazu
gezwungen, Moskau zu verlassen, um dabei „zu helfen, die inneren
Streitigkeiten in der jugoslawischen Partei beizulegen“. Zusätzlich
bekamen einige dutzend Studenten scharfe Verwarnungen. Diese
bürokratischen Maßnahmen wurden in Kombination mit dem Versuch der
politischen und finanziellen Korruption durchgeführt, um die
jugoslawischen Trotzkisten für die stalinistische Dorktrin zu gewinnen.
Damit einher ging eine Lockerung der Repression für eine bestimmte Phase.

In der Zwischenzeit, kurz nach der Annahme der disziplinären Maßnahmen,
wurde eine Versammlung der jugoslawischen trotzkistischen Gruppe, an der
etwa zehn Mitglieder teilnahmen, abgehalten. Diese Versammlung beschloß,
den Kampf unter der KPJ-Mitgliedschaft fortzusetzen – wenn nötig auch in
der Illegalität. Die jugoslawischen Linksoppositionellen begannen mit
der Zirkulation von Dokumenten, in denen die vom Zentralkomitee der KPJ
verfolgte Politik scharf kritisiert wurde. Später, gegen Herbst 1929
übersiedelte die Leitung der Gruppe nach Leningrad.

Die Ereignisse in der Sowjetunion der Jahre 1929-30 brachten innerhalb
der Führungsgruppe der jugoslawischen Trotzkisten einige Differenzen zum
Vorschein. Während die Mehrheit (Draghic, Heberling, Ciliga und die zwei
russischen Genossen) ein energischeres Vorgehen gegen die KPJ forderte,
trat Dedic für eine moderatere Orientierung ein. Aus Ciligas Aussagen
geht jedoch hervor, daß auch innerhalb der Mehrheit unterschiedliche
Nuancen existierten: Während Glibowsky „rechts“ stand und Zankow
„links“, bildeten Draghic, Heberling und Ciliga selbst mehr oder weniger
das „Zentrum“, dem eine Zwischenstellung zukam.

Im April 1930 waren die jeweiligen Positionen abgeklärt. Dedic verließ
die Gruppe. Die anderen Führer waren aber von diesem Austritt nicht
entmutigt, sondern wie nie zuvor bereit, ihre linksoppositionelle
Tätigkeit fortzusetzen. Ciliga verließ daher am 1. Mai 1930 Leningrad
und fuhr nach Moskau, um mit der Leitung der russischen trotzkistischen
Organisation die existierenden Differenzen innerhalb der jugoslawischen
Führungsgruppe zu diskutieren. Die Stimmung in Moskau war aber
keineswegs für theoretische Diskussionen geeignet. Die Moskauer
Bolschewiki-Leninisten waren zu dieser Zeit vollauf damit beschäftigt,
eine großangelegte Aktivität in den Fabriken zu entfalten.

* * *

Nachdem Ciliga am 10. Mai nach Leningrad zurückgekehrt war, wurde er elf
Tage später verhaftet. Dedic wurde ebenfalls am 21. Mai festgenommen,
während Draghic untertauchen konnte und erst drei Monate später
verhaftet wurde. Dasselbe Schicksal wurde Heberling, Zankow, Glibowsky
und weiteren cirka zwanzig unbekannten jugoslawischen
Linksoppositionellen, die in Moskau oder Leningrad lebten, zuteil.
Draghic, Ciliga, Zankow, Glibowsky und Dedic wurden in das politische
Isolationslager von Werchneuralsk geschickt. Die beiden russischen
Genossen waren die ersten, die dort ankamen, um ihre Strafe von drei
Jahren abzusitzen. Ciliga und Dedic, die ebenfalls zu drei Jahren
verurteilt wurden, trafen etwa zwei Monate später in Werchneuralsk ein.
Unmittelbar danach kam Draghic an. Die Gulag-Tragödie hatte also auch
für die jugoslawischen Linksoppositionellen begonnen.

Sie waren alle aktive Mitglieder des Bolschewistisch-Leninistischen
Kollektivs in Werchneuralsk. Nach Ciligas Zeugnis existierten unter den
Trotzkisten in Werchneuralsk zu dieser Zeit drei Strömungen: (a) die
„rechte“ Tendenz, die stärkste, die von E. Solntsew, G. Yakowin und G.
Stopalow auf der Grundlage des „Programm der Drei“geführt wurde und der
auch F. Dingelstedt angehörte; (b) eine kleine „Mittelgruppe“, geführt
von Trotzkis Schwiegersohn Man Nevelson und Aaron Papermeister, die auf
der Grundlage des „Programms der Zwei“ stand; und (c) eine „linke“
Fraktion, der Pushas, Kamenetsky, Kwatciadze und Bielensky angehörten
und die auf der Grundlage der „Thesen der kämpfenden Bolschewiken“
stand. Die rechte und die Zentrums-Tendenz gaben ein gemeinsames Organ
Pravda v tyurme (Die Pravda in der Gefangenschaft) heraus, während die
linke Fraktion das Organ Voinstvuiscy bolshevik (Der kämpfende
Boschewik) produzierte. Diese Journale, die aus einer Reihe
handgeschreibener Notizbücher bestanden, erschienen monatlich oder
zweimonatlich und wurden mit einer Auflage von drei Stück hergestellt
herausgebracht – je eine für eine Isolationsabteilung.

Im Jahr 1930 drehten sich die Diskussionen unter den Trotzkisten in
Werchneuralsk um die Haltung, die gegenüber der von Stalin begonnenen
„linken“ Politik (Fünfjahresplan, verstärkte Industrialisierung und
Kollektivierung der Landwirtschaft) einzunehmen wäre. Die rechte Tendenz
argumentierte, daß der Fünfjahresplan trotz der Methoden, mit denen er
durchgeführt wurde, den Wünschen der Linken Opposition entsprach.
Während die Rechten zwar die Methode der offiziellen stalinistischen
Wirtschaftspolitik kritisierten, riefen sie daher dennoch zu ihrer
Unterstützung auf. Die linke Fraktion, der sich Ciliga angeschlossen
hatte, war anderer Meinung. Sie meinte, daß eine Reform der
Sowjetökonomie von unten kommen müßte und daß es notwendig wäre, sich
selbst auf die Arbeiterklasse zu stützen – mit der Perspektive, die
Partei zu spalten. Nach Ansicht jener linken Bolschewiki-Leninisten
waren sowohl der Fünfjahresplan als auch die stalinistische
Wirtschaftspolitik ein Bluff. Was die internationale Situation betraf,
so wiesen sie die offizielle Ansicht, daß man sich in einer weltweiten
ökonomischen Krise und einer für die Revolution günstigen Lage befand
zurück, und griffen so die ganze Konzeption der „Dritten Periode“ der
Komintern scharf an.

Der politische Kampf innerhalb des Bolschewistisch-Leninistischen
Kollektivs in Werchneuralsk verschärfte sich zunehmends. Die rechte
Tendenz und die Mittelgruppe, die sich weitgehend verschmolzen hatten,
stellten der linken Fraktion ein organisatorisches Ultimatum: Entweder
sie ließen ihre Fraktion auf und stellten ihr Organ ein oder sie würden
vom Kollektiv ausgeschlossen werden.

Schließlich kam es im Sommer 1931 zur Spaltung, aus der zwei
verschiedene Gruppen hervorgingen: das Bolschewistisch-Leninistische
Kollektiv der Mehrheit (75-78 Mitglieder umfassend) und das linke
Bolschewistisch-Leninistische Kollektiv (51-52 Mitglieder umfassend).
Einige Mitglieder blieben außerhalb der beiden Gruppen und riefen zu
ihrer Versöhnung auf. Das linke Kollektiv begann ein eigenes neues
Organ, Bolschewik-Leninist, herauszugeben, dessen Redaktion sich aus N.
P. Gorlow, V. Densow, M. Kamenetsky, P. Pushas und Ante Ciliga
zusammensetzte. Ciliga brach allerdings später mit dem linken Kollektiv
und beteiligte sich an der Gründung der „Föderation linker Kommunisten“,
die die Anhänger Myasnikows, die „Decisten“ und einige Ex-Trotzkisten
zusammenschloß. Die wesentliche politische Position dieser Gruppe war
die Ablehnung, den Charakters der Sowjetunion als den eines (wenn auch
degenerierten) Arbeiterstaates anzuerkennen. Der stalinistische
Sowjetstaat wurde stattdessen als „staatskapitalistisch“ definert – eine
Position, die auch von den Menschewisten geteilt wurde.

* * *

Die jugoslawischen Linksoppositionellen wurden am 22. Mai 1933, als ihre
Haftzeit zu Ende war, nicht entlassen. Nach einem 23 Tage dauernden
Hungerstreik wurden sie, ohne Verhandlung und ohne Bekanntgabe der
Anschuldigungen, zu zwei weiteren Jahren Gefangenschaft verurteilt.
Ciliga wurde über Tscheljabinsk nach Jenisseisk (im Distrikt Irkutsk,
Ostsibirien) deportiert; Dedic wurde in das Dorf Kolpaschewo (im
Distrikt Narym, Ostsibirien) geschickt; Draghic wurde nach Saratow an
der Wolga deportiert; Heberling wurde von Gegängnis zu Gefängnis bis zum
Ural hinauf geschickt. Draghic gelang 1934 die Flucht. Er wurde an der
russisch-polnischen Grenze aber wieder gefangengenommen und in einem
geheimen Kerker auf den Solowezkije-Inseln eingesperrt. Zwei Jahre
später wurde ihre Deportation von der stalinistischen GPU um weitere
drei Jahre willkürlich verlängert.

Ciliga konnte aus seiner italienischen Staatsbürgerschaft einen Vorteil
ziehen. Dank des Drucks, den seine Verwandten im Ausland ausübten,
gelang es ihm, seine Strafe in Ausweisung aus der Sowjetunion zu
verwandeln. Er ging anschließend nach Paris, wo er für einige Zeit aktiv
an der trotzkistischen Bewegung teilnahm, mit der er in Prag auf seinem
Weg nach Frankreich durch zwei tschechische Trotzkisten – Wladislaw
Burian und Jan Frankel – in Berührung gekommen war. Ciliga arbeitete am
russischsprachigen Organ der trotzkistischen Bewegung dem Biulleten
Oppozitsii mit und begann eine Korrespondenz mit Trotzki.

Seine Mitgliedschaft in der Bewegung dauerte allerdings nicht lange.
Anfang Juni 1936 publizierte das menschewistische Journal
Sotsialistichesky Vestnik einen Artikel von Ciliga mit dessen
Einverständnis. Dies veranlaßte Trotzky zu schreiben, daß Ciliga ein
„Ultralinker“ wäre, der sich dem menschewistischen Opportunismus
angenähert hätte und mit dem jede weitere Zusammenarbeit unmöglich wäre
(Biulleten Oppozitsii, Nr. 51, Juli-August 1936). In einem Brief an das
Internationale Sekretariat vom 22. Juni 1936 drückte Trotzki seine
Ansicht über Ciliga in folgender Weise aus:

„… Wir wissen nicht, wie die politische Entwicklung von Ciliga in der
kommenden Periode sein wird. Während wir nicht beabsichtigen, die
Bedeutung seiner Arbeit auf dem Gebiet der reinen Information
herabzusetzen, müssen wir dennoch klar sehen, daß er uns weit entfernt
steht, sofern theoretische und politische Fragen betroffen sind, und uns
sogar feindlich gegenübersteht, wenn wir ihn aufgrund dessen, was er
schreibt, beurteilen … wir müssen nicht nur den Schluß ziehen, daß
Ciliga kein Bolschewik-Leninist ist (er selbst sieht sich andererseits
auch gar nicht als solcher), sondern auch daß er kein Marxist ist. Bis
1929 war er ein stalinistischer Intellektueller, wie man sie überall auf
der Welt finden kann: halbliberal im Denken, humanistisch, idealistisch,
sicherlich sehr aufrichtig auf seiner Weise, aber unfähig, den Marxismus
und die Gesetze der proletarischen Revolution zu verstehen. Während der
stalinistischen Zickzacks der Jahre 1928-29 veranlaßte ihn seine
intellektuelle Aufrichtigkeit, gegen den offiziellen Kurs in Opposition
zu gehen und uns nahe zu kommen. Er entdeckte plötzlich, daß die
B[olschewiki]-L[eninisten] schon seit langer Zeit vorhergesehen hatten,
was passieren würde, und sogar ein System politischer Maßnahmen
vorgeschlagen hatten. Diese Entdeckung war aber dennoch nicht
ausreichend, um die Art und Weise, in der er die Realität betrachtete,
zu ändern. Selbst im Isolator blieb er, was er immer schon war: ein
Idealist, fanatischer Demokrat, der, stalinistisch wie er war,
anti-Stalinist wurde, aber kein Marxist. Er merkte plötzlich, daß er auf
unserem linken Flügel stand, da er der Sowjetunion jeglichen
fortschrittlichen Charakter absprach und sie mit jedem anderen
Ausbeuterstaat gleichsetzte. Aber sein Ultralinkstum sollte im Ausland
auf die Probe gestellt werden. Dann begann er die Position zu
verteidigen, daß wir auch die verfolgten und eingeschüchterten
Menschewiki verteidigen sollten. Er tat das auf den Seiten des Journals
der Menschewiki, wo er uns auf der politischen Ebene aufklärt, d.h.
kritisiert.

Bevor er diesen Schwenk machte, hatte ich ihn darauf aufmerksam gemacht,
daß seine Zusammenarbeit mit den Menschewiki automatisch seine
Zusammenarbeit mit uns verhindern würde. Er antwortete mir in einem
langen und sehr wirren Brief, der im wesentlichen auf Folgendes
hinauslief: Wenn ihr die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes mit den
Sozialdemokraten gegen den Faschismus anerkennt, warum verbündet ihr
euch dann nicht mit den Menschewiki gegen Stalin? Dies ist ein
klassisches Beispiel, wie der ultralinke Formalismus in den Sumpf des
ärgsten Opportunismus führt. Die parlamentarische Demokratie mit ihren
Blums repräsentiert, wenn auch nur für eine kurze Zeitspanne, im
Vergleich zum Faschismus tatsächlich ein kleineres Übel, und wir sind
bereit, ein solches kleiners Übel gemeinsam mit den Sozialdemokraten zu
verteidigen. Der kleinbürgerliche Menschewismus ist aber nicht im
geringsten ein kleineres Übel verglichen mit dem stalinisierten
sowjetischen Staat, den wir durch unseren kompromißlosen Kampf immer
noch hoffen auf den Weg zum Sozialismus zurückzubringen.

Die zweite große Differenz, die wiederum mit der ersten eng verbunden
ist, besteht darin, daß die Sozialdemokratie in einer Reihe von
kapitalistischen Ländern tatsächlich eine Massenpartei darstellt, der
wir als Realität gegenübertreten müssen. Die Einheitsfront mit Dan gegen
Stalin enthüllt nur Ciligas innere Neigung zum Menschewismus (ebenso zum
Anarchismus, der bekannterweise nicht anderes als ein ins Extreme
getriebener Liberalismus ist). Tatsächlich war Ciliga, wie viele andere
ausländische Stalinisten auch, nichts anderes als ein fanatischer
Menschewik. Der Fanatismus ist nun verschwunden, doch der Menschewismus
ist geblieben.

Wir werden Ciligas Artikel im Biulleten [Oppozitsii] nicht mehr
veröffentlichen, weil wir der stalinistischen Bürokratie nicht das
großzügige Geschenk machen können, uns selbst zu diskreditieren, indem
wir gemeinsame Mitarbeiter mit den Menschewiki haben. Der stalinistische
Wolf versucht aus dieser Tatsache natürlich einen Vorteil zu ziehen, um
Ciligas Enthüllungen herabzusetzen. Wir haben ihn von unserer Seite aus
nie als theoretische oder politische Autorität zu Hilfe gerufen. Die
Tatsachen, die er bekannt gemacht hat, behalten ihren Wert aber auf
jeden Fall.

Klarerweise will ich nicht behaupten, hier eine endgültige Einschätzung
von Ciliga und seiner weiteren Entwicklung zu geben. Wenn es ihm
gelingt, durch neue Erfahrungen ein Marxist zu werden und daher sich uns
wirklich anzunähern, würden wir uns bestimmt aufrichtig darüber freuen.
Jeder von uns wird alles Mögliche tun, um diese Entwicklung zu
begünstigen. Der Anfang zu dieser Umwandlung sollte seinerseits jedoch
aus prinzipiellen Gründen der Verzicht auf die Zusammenarbeit mit den
Menschewiki sein – eine Zusammenarbeit, die in einer Periode, wo die
französischen Freunde der russischen Menschewiki an der Macht sind,
unsere Zeitung verbieten und unsere Genossen verfolgen, in doppelter
Hinsicht kriminell ist. Ciliga ist sich absolut nicht im Klaren darüber,
daß die Bolschewiki-Leninisten nicht nur von Stalin, sondern von den
Menschewiki auf der ganzen Welt verfolgt werden, und dies im Fall eines
Kriegs im weitaus verstärktem Maße sein werden.“

Ciligas weitere politische Entwicklung zeigte, daß Trotzki recht hatte.
Nachdem er sich über sein Ultralinkstum den Menschewiki angenähert
hatte, kehrte er während des Zweiten Weltkriegs nach Kroatien zurück, wo
er eingesperrt und zum Tod verurteilt wurde. Später wurde er jedoch
entlassen und arbeitete mit prowestlichen bürgerlichen Gruppierungen
zusammen, nachdem er offen sozialdemokratische Positionen angenommen
hatte. Nach dem Krieg lebte er in Paris und Rom, wo er sich weiter nach
rechts entwickelte.

Er ist heute der einzige Überlebende des kleinen jugoslawischen
trotzkistischen Kerns, der es vor mehr als 50 Jahren gewagt hatte, den
bürokratischen Leviathan herauszufordern. Was aber war das Schicksal von
Draghic, Heberling und Dedic? Und der beiden Russen Zankow und
Glibowsky? Niemand weiß das. Aber man braucht nicht viel Phantasie, um
es sich vorzustellen: Sie waren unter den Millionen Opfern der
stalinistischen Terrorwelle der Jahre 1936-38 – erschossen in der
sibirischen Tundra oder durch eine Kugel in den Kopf in den Kerkern der
GPU liquidiert. Das war der tragische Epilog der ersten jugoslawischen
linken Opposition.

Übersetzung: F.Drexler

Ausgewählte Bibliographie:

Storia della Lega dei Comunisti della Jugoslavia, Edizioni del Gallo,
Milan 1965;

Josip Broz (Tito), La lotta e lo sviluppo del Partito Comunista della
Jugoslavia tra la due guerre. Le lezioni di Kumrovec, Komunist –
Aktuelna Pitanija Socializma, Beograd 1979;

Ante Ciliga, „Lettre du camarade Ciliga“ (datiert und an die Pariser
Redaktion des Biulleten Oppositzii geschickt am 9. Dezember 1935), in A
bas la repression contre-revolutionnaire en URSS!, Editions „Quatrieme
Internationale“, Paris 1936, pp. 6-16;

Ante Ciliga, Au pays du grand mensonge, Gallimard, Paris 1938;

Ante Ciliga, Siberie, terre de l´exil et de l´industrialisation, Les
Iles d´Or, Paris 1950;

Ante Ciliga, „Come Tito s´impadroni del P.C. Jugoslavo“, in
Corrispondenza Socialista No. 7, July 1961, pp. 393-399;

Ante Ciliga, La crisi di stato della Jugoslavia di Tito, ODEP, Rome 1972;

Ante Ciliga, Sam kroz Europu u ratu (1939-1945), Na Pragu Sutrasnjice,
Rome 1978;

Ante Ciliga, Il labirinto jugoslavo. Passato e futoro delle nazioni
balcaniche, Jaca Book, Milan 1983;

Edvard Kardelj, Tito e la rivoluzione socialista jugoslava, Aktuelna
Pitanija Socializma, Beograd 1982;

Leo Trotzki, Oeuvres, vols. 8-10 (January-July 1936), Etudes et
Documentation Internationales, Paris 1980-81.

Entnommen aus http://www.agmarxismus.net/vergrnr/m10yu.htm

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