C. Efe: Was geschieht im Elfenbeinturm?

Cemalettin EFE
efe_c200@yahoo.de
 
Lala Sahin Sok. No: 89/23
34377 Feriköy-Istanbul-Türkey
29 Mart 2010 Pazartesi
 
Am Morgen des 22.Februar scheint die Türkei in ein neues Zeitalter eingetreten zu sein. In fünfzig Landkreisen wurden hochrangige Militärs verhaftet. Die Verhaftungswelle dauerte mehrere Tage an. Nach Gipfelgesprächen mit Ilker Basbug, Recep Tayyip Erdogan und Abdula Gül wurden einige Generaele freigelassen und auf freiem Fuss angezeigt. Liberale und AKP-Anhaenger freuten sich, Kemalisten und nationalistische Linke dürften in tiefe Trauer gesunken sein.
 
Die kemalistische Bürokratie hat nicht mehr so viel Macht wie früher. Die von Taraf veröffentlichten Beweisdokumente sind nicht irgendwelche unbedeutende Papiere, wie sie behauptet hatten, und ihr Ansehen ist daher ziemlich angeschlagen.
Geschehen ernste Dinge in der Türkei? Ja und Nein. Ab jetzt wissen wir, dass die Türkei nicht mehr alleine von der klassischen kemalistischen Militär- und Zivilbürokratie verwaltet wird. Unter diesem Aspekt muss man die Frage mit Ja beantworten.
Alles begann im Mai 2007 als Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Generalstabschef Yasar Büyükanit sich imDolmabahce-Palast trafen um eine geheime Vereinbarung zu treffen. In dieser Hinsicht kann man eigentlich nicht von ausserordentlichen Ereignissen sprechen. Nach der berühmten Vereinbarung zwischen Erdogan und Generalstabchef Büyükanit im Dolmabahce Palast sollte die AKP einen Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten aufstellen, dessen Frau kein Kopftuch traegt. Die AKP hielt jedoch diese Vereinbarung nicht ein, was zu tiefen Störungen führte. Ansonsten waren sich beide Seiten einig, dass jegliche Putsch-Aktivitäten innerhalb der Armee gestoppt werden müssten.
 
Mit der Gründung der Republik haben die Kemalisten die Herr- und Knecht-Verhältnisse des osmanischen Reiches übernommen. Innerhalb kürzester Zeit wollten sie die Gesellschaft modernisieren indem sie dem Volk jegliche Eigeninitiative aus der Hand nahmen. Sie dachten, es dürfte nicht schwer werden, die hauptsächlich aus Bauern bestehende Bevölkerung unter diesem Aspekt zu verwalten. Sie griffen tief in jeden Lebensbereich ein: Vom Glauben, Kleidungsgewohnheiten, Kultur bis zu den Sprechgewohnheiten. Alles wurde der Genialität Atatürks zugeschrieben.
 
Mit ihrem Voluntarismus sind sie sogar so weit gegangen, die nicht muslimische Bourgoisie zu enteignen und statt dessen eine neue ‘türkische’ Bourgoisie zu etablieren. Es ist selbstverständlich nicht zu erwarten, dass sich diese neu entstande Bourgouisie gegen die Kemalisten erhebt. Bis zum ‘postmodernen’ Putsch (das Militär zwang die Regierung Erbakans zum Rücktritt) am 28. Februar 1997 hat die Bourgouisie alle drei Militärputsche begrüsst und sich hinter die ‘heldenhafte Armee’ gestellt.
 
Das Grossbürgertum hat alle drei grossen Putsche (27. Mai 1960, 12. März 1971 und am 12. September 1980) unterstützt und der Auflösung des Parlaments zugestimmt. Sie befürworteten die die Übernahme der Macht durch das Militär und die Einführung einer menschenverachtenden autoritären Verfassung. Ohne ihre Zustimmung hätten diese drei Putsche nicht geschehen können. Beim 12.September-Putsch hat der damalige Chef der IndustriellenVereinigung sogar zynisch von sich gegeben: ‘Bis jetzt haben die Arbeiter gelacht, ab jetzt werden wir lachen.’ Die Grossbürger wussten genau, dass die Realisierung der berüchtigten Wirtschaftsbeschlüsse vom 24. Jänner 1980 nur mit Unterstützung der Armee möglich war, ansonsten haetten dies die grossen Massen der Opposition verhindert.
Die Zusammenarbeit zwischen Bürgertum und Militär dauerte bis zum Februar-Putsch, den weder das Bürgertum noch USA noch EU unterstützten. Nach der ‘neue Welt’-Ordnung und den Regeln der Globalisierung sollten die Staaten, insbesondere der nahe Osten, entsprechend den Bedürfnissen der US-Hegemonie neu gestaltet werden. Die Sicherstellung der letzten Öl- und Gas-Reserven kam an die oberste Stelle der Agenda.
Die USA können diese Tagesordnung nicht allein abarbeiten. In so einem schweren Fall wie dem nahen Osten, wo ein vielschichtiger Konflikt schwelt, brauchen sie sicherlich Assistenten. Neben Israel kommt dabei auch der Türkei eine wichtige Rolle zu. Die Beziehungen des Westens zur Türkei mussten bearbeitet werden, vorallem in Hinsicht auf Grenzkonflikte, Integration in die EU, den kurdischen Konflikt und die innere Sicherheit. Hiebei setzen sie auf Zusammenarbeit sowohl mit dem Grossbürgertum als auch mit dem islamisch gepraegten anatolischen Wirtschafts-Bourgoisie. Gleichzeitig wollten sie aber ihren bisher treuesten Partner, die Armee, nicht beleidigen.
 
Inzwischen hatte aber eben diese Wirtschafts-Bourgoisie das ‘anarchistische’ Erdogan-Konzept verlassen und einen neuen Weg eingeschlagen. Die AKP hatte bereits kurz nach ihrer Gründung einen grossen Wahlerfolg und diesen auch bei den Wahlen im Juni 2008 mit 47% der Stimmen weiter fortsetzen können. Somit haben sie starke Rückendeckung durch die breite Masse des Volks.
 
Danach hat sie erfolgreich weitere Kompromisse mit der kemalistischen Staatsbürokratie, der EU und den USA aushandeln können. Der wichtigste davon ist die mit dem Militär am 4.Mai 2008 im Dolmabahce-Palast erreichte Vereinbarung. Damit hat sie weitere Putschversuche verhindern können.
 
Um die jüngsten Ereignisse zu verstehen, muss man sich einige Punkte vor Augen halten: Wie oben erwähnt gibt es einen grundsätzllichen Kompromiss mit dem Generalstab. Die Umgestaltung des Staates beunruhigte Teile der Staatsbürokratie. Auch wenn einige Medien und die nationalistischen Linken die Geschehnisse so darstellen, handelt es sich nicht um einen Konflikt zwischen den Interessen-Vertretern der USA, der AKP und den Kemalisten.
 
Die USA kann bei der Unterstützung der AKP nicht in Kauf nehmen, sich von den anderen langjaehrigen Verbündeten, nämlich dem Militär, zu entfremden. Eigentlich wollten sie diese jedoch für ihre unkooperative Haltung beim Irak-Krieg bestrafen. Sehr zum Bedauern der Regierung hat das HSYK (oberstes Gremium der Staatsanwaltschaft und Richter) den obersten Staatsanwalt von Erzurum abgesetzt. Kurz danach wurden quasi als Gegenschlag ca. 100 hochrangige Militaers verhaftet, darunter auch die für die ‘Hammer-Operation’ (Balyoz harekati) verantwortlichen. Anschliessend daran fand ein Gipfel zwischen Staatspräsident Gül, Ministerpräsident Erdogan und Generalstabschef Basbug statt. Seine Botschaft an das Volk lautete: Alles lauft nach Plan und die Zukunft des türkischen Staates ist gesichert. Falls wirklich ein Konflikt zwischen de AKP und der Generalitaet bestünde, wäre eine solche Botschaft nicht möglich gewesen.
 
Schlussfolgerungen
Die bisher als Garanten des Staates angesehenen Generäle haben einiges an Macht eingebüßt. Die AKP hat sich innerhalb der Staatsbürokratie durchgesetzt und wandelt den Staat in ihrem Interesse um.
 
Die AKP – wie früher Regierungen auch – als grundsätzliche Anhänger der türkisch-islamschen Synthese wird ihre erfolgreiche Umwandlungspolitik weiter verfolgen. Mit Rückendeckung durch die grossen Kapitalmonopole wie Koç, Sabanci, Müsiad, USA, NATO, EU und Generalität hat sich die Türkei gegen Demokraten, Arbeiterschaft und Sozialisten gestellt. Die AKP befindet sich mitten in einem Prozess der Umwandlung des Staates und kann nicht mitten darin umkehren.
 
Wir als Sozialisten werden uns wegen der Verhaftung der Generäle und ihrer Handlanger sicher nicht kränken.
 
Es sollte aber auch kein Anlass sein, uns hinter die AKP zu stellen. Wir sollten weder Anhänger der despotischen und antidemokratischen Kemalisten sein noch wegen ein paar Verbesserungen die AKP unterstützen. Weder Pest noch Cholera also! Wir, die Demokraten, Sozialdemokraten, Kurden, Aleviten, Sozialisten/Kommunisten, Arbeiter, Werktätigen und alle anderen Minderheiten und Unterdrückten müssen eine dritte Alternative schaffen und uns dafür auch von Sturheit und fixen Ideen freimachen.
Auch wenn wir zur Zeit noch nicht genügend Kraft für eine dritte Alternative haben, Gründe dafür gibt es jedenfalls genug!
 
 
 
Cemalettin EFE
 
efe_c200@yahoo.de
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29 Mart 2010 Pazartesi