Ungarn 1956: Kein Aufstand gegen den Sozialismus, sondern gegen den Stalinismus (IKL)

Ungarn 1956: Kein Aufstand gegen den Sozialismus, sondern gegen den Stalinismus (IKL)

DIE ENTWICKLUNG ZUM UNGARISCHEN OKTOBER

Bei der Besetzung Ungarns durch die Rote Armee (1944/45) war Ungarn ein schwer zerstörtes Land, ohne intakten Staatsapparat. Wie in allen anderen osteuropäischen Staaten, die von der Roten Armee besetzt wurden, ging die Sowjetbürokratie daran, den bürgerlichen Parteien bei ihrem Wiederaufbau zu helfen. In Ungarn wurde eine Koalitionsregierung zwischen der Kommunistischen Partei, den Sozialdemokraten, der Partei der kleinen Landwirte und der Nationalen Bauernpartei gebildet.

Die stalinistische Partei wurde vor allem von einer Gruppe geführt, die während des Kriegs in der Sowjetunion war und dort – inmitten der blutigen Säuberungen – zum willigen Erfüllungsgehilfen der Kremlbürokratie wurde. Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe waren Rakosi und Gerö. Diese Linie – die Stalinisten, die während des Kriegs im eigenen Land als Widerstandskämpfer tätig waren, zumindest mit einem Netz von Erfüllungsgehilfen zu umgeben – sehen wir in allen osteuropäischen Staaten. Zum ersten waren die Widerstandskämpfer direkt mit den Massen verbunden gewesen und daraus folgte zum zweiten die Gefahr für den Kreml, daß die Durchsetzung des Kurses auf die ‚Volksdemokratie‘ bei diesen Stalinisten auf größeren Widerstand stieß, wie es ja auch tatsächlich im Falle Jugoslawiens nicht erst seit 1948 der Fall war. Wie auch immer – diese Leute waren ein Unsicherheitsfaktor, was allerdings bei Stalinisten wie Rajk in Ungarn und Slansky in der CSSR weitestgehend ausgeschlossen werden kann.

Die größte unter den sich neu formierenden Parteien war die ‚Partei der kleinen Landwirte‘, die sich vor allem – wie ihr Name schon sagt – auf die Bauern stützte. Die ‚Nationale Bauernpartei‘ berief sich zwar ebenfalls auf diese Klasse, hatte aber keineswegs einen vergleichbaren Einfluß. Obwohl die Sowjetbürokratie – vermittelt durch die Rote Armee – de facto die Macht im Staate ausübte, war das politische und kulturelle Leben in Ungarn in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg von einer scheinbar relativen Unabhängigkeit gegenüber der Sowjetunion gekennzeichnet. Dies entsprach der damals noch bestehenden Koalition des Stalinismus mit den ‚demokratischen‘ imperialistischen Mächten USA, England und Frankreich. „Eine der ersten Handlungen der neuen Koalitionsregierung war eine umfassende Bodenreform. Obwohl sie einigermaßen überstürzt und unter widrigen wirtschaftlichen Umständen vorgenommen wurde, fand sie bei den Bauern und demokratisch eingestellten Teilen der Bevölkerung einhellige Zustimmung … Im Zuge der Bodenreform von 1945 wurden 183.000 Hektar bebauten Landes auf 650.000 Bauernfamilien verteilt … Der für die Reform verantwortliche Minister war ein aus Moskau zurückgekehrter Kommunist: Imre Nagy.“ („Die ungarische Revolution“, M.J.Lasky, Seite 19)

Hier finden wir die erste Erklärung für die Beliebtheit von Nagy in der Bevölkerung, die Jahre später eine so tragische Bedeutung finden sollte.

Bei den im Oktober 1945 abgehaltenen Parlamentswahlen ging die ‚Partei der kleinen Landwirte‘ mit einer absoluten Mehrheit von 57% als Sieger hervor, Stalinisten und Sozialdemokraten erhielten je 17%, die ‚Nationale Bauernpartei‘ 7%. Die Sowjetbürokratie verhinderte die Bildung einer Alleinregierung, was zu sich mehr und mehr vertiefenden Differenzen und schließlich dazu führte, daß die Führer dieser Partei verhaftet wurden (soferne sie nicht fliehen konnten) und durch Marionetten ersetzt wurden.

Natürlich war die ‚Partei der kleinen Landwirte‘ keine revolutionäre, sondern eine kleinbürgerliche Partei, aber gerade das Wahlergebnis ist Ausdruck des tiefen Mißtrauens der Landbevölkerung gegen den Stalinismus.

Wenn wir auch anerkennen müssen, daß das Ergebnis der stalinistischen Politik (die Entmachtung der Bourgeoisie) ein historischer Fortschritt ist, so können wir andererseits nicht übersehen, daß die Art und Weise, wie dieser historische Fortschritt zustande kam, der Sache der Arbeiterklasse ungeheuren Schaden zufügte. Zum anderen muß noch bedacht werden, daß sich die ‚Partei der kleinen Landwirte‘ für die Bodenreform aussprach, was die Illusionen der Landbevölkerung in sie erklärt.

Die Politik der ungarischen Stalinisten war der ihrer Genossen in anderen deformierten Arbeiterstaaten ähnlich. Sie besetzten vor allem die wichtigsten Schlüsselstellen des neuen Staatsapparates – wie dem Innenministerium und der Polizei – und versuchten daneben, Gefolgsleute in die Spitzen der anderen Parteien zu schleusen. So konnte der ‚demokratische‘ Schein gewahrt bleiben. Rakosi hat das selbst im ungarischen Parlament am 29. Februar 1952 ausgesprochen: „Es gab nur eine Organisation, die von Anfang an unter der Kontrolle der Polizei stand und die niemals dem Einfluß der politischen Koalition ausgesetzt war: Die AVH (politische Geheimpolizei, d. Verf.) … Vom Augenblick ihrer Gründung an behielten wir sie fest in der Hand und sicherten sie uns als eine zuverlassige Waffe in unserem Kampf.“ (zitiert nach: Lasky, „Die ungarische Revolution“,S.22) Rakosi gab der Politik der Stalinisten mit dem Begriff der ‚Salami-Taktik‘ auch den Namen: Man schneidet dem politischen Gegner ein Stückchen nach dem anderen ab. Mit dem Einsetzen des ‚Kalten Krieges‘, d.h. mit der Stabilisierung des Imperialismus und dem damit verbundenen Vorgehen gegen die Arbeiterklasse, sowie gegen die Sowjetunion und die deformierten Arbeiterstaaten, war die Bürokratie gezwungen, den ‚demokratischen‘ Schein, der doch ein gewisses Risiko in sich barg, zu liqudieren. Die bürgerlichen Parteien wurden entweder völlig in die Illegalität gedrängt, oder zu Marionettenparteien umgestaltet, indem die eigenständige Führung liquidiert wurde. Die sozialdemokratischen Parteien ‚fusionierten‘ sich mit den Stalinisten.

Die Sowjetbürokratie stülpte diesen Ländern einen Deckel über, der jede politische Bewegung aller Klassen unterdrückte. Die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokraten wurden zwar verboten, die Gründe für ihre tiefeVerwurzelung in den Massen blieben jedoch nicht nur bestehen, sondern verstärkten sich im Gegenteil im Lauf der Jahre noch. Das erklärt, warum jedesmal wenn dieser ‚Deckel‘ gelüftet wird, explosionsartig alle diese Parteien wieder entstanden. Die Illusionen in die Demokratie wurden zwar ‚verboten‘, nichtsdestoweniger blieben sie bestehen und jeder Tag der stalinistischen Herrschaft verstärkte sie noch. Die Sowjetunion trat gegenüber den ‚Volksdemokratien‘ als Siegermacht auf, forderte Reparationen und zwang ihnen Wirtschaftsverträge auf, deren Inhalt stark zuungunsten der deformierten Arbeiterstaaten war  Der Jugoslawe Dedijer enthüllte in einem seiner Bücher unter anderem, daß die Kreml-Bürokratie vor 1948 Jugoslawien einen Wirtschaftsvertrag bezüglich Erdöl aufzwang, der für Jugoslawien ungünstiger war, als ein ähnlicher Vertrag, den die Sowjetunion mit dem Iran abschloß, für das zuletzt genannte Land. Die wirtschaftliche Ausbeutung der osteuropäischen Länder, die für diese oft bedrohliche Formen annahm, war der ‚Preis‘, den sich der Stalinismus für die Zerstörungen, die die Sowjetunion im Kampf gegen den deutschen Faschismus erlitten hatte, bezahlen ließ. Hier ist einer der Gründe für das Aufkommen des Nationalismus zu sehen, der bis heute in allen osteuropäischen Staaten besteht und der sich vor allem gegen die Sowjetunion richtet.

„1946/47 umfaßten die Reparationszahlungen 26,4% des ungarischen und 37,5% des rumänischen Staatshaushaltes, im Jahre darauf 17,8% und 46,4%.“ (Brzezinski, „Der Sowjetblock“, Seite 146)

Wie in allen Volksdemokratien setzte auch in Ungarn eine beschleunigte Industrialisierung ein, die vor allem den Ausbau der Schwerindustrie betraf. Hunderttausende ehemalige Kleinbauern und Landarbeiter wurden in die Industrie gestoßen, wo sie unter den Bedingungen härtester Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und eines elenden Lebensniveaus die Industrialisierung des Landes sicherten. „Nach Imre Nagy betrug das Tempo der Industrieentwicklung in Polen 1949-1955 158%, in der Tschechoslowakei 1949-1955 98%, in der Deutschen Demokratischen Republik 1950-1955 92,3% in Rumänien 1951-1955 144%, in Bulgarien 1949-1955 120% und in Ungarn 1949-1955 210%.“ (Nagy, „Politisches Testament“, zitiert nach: Brzezinski, „Der Sowjetblock“, Seite 230)

In Ungarn (einem Land mit weniger als 9 Millionen Einwohnern) stieg die Zahl der Lohnempfänger in den Jahren 1949-1954 um 1.550.000 und die der Beschäftigten im genossenschaftlichen Sektor um 710.000. Die Zahl der Einzelbauern verringerte sich im gleichen Zeitraum um 1,300.000 und die der Kapitalisten um 540.000 (Zahlen nach ‚Nepszabadsag‘ 10. Juli 1958).

Das bedeutet, daß in diesen Jahren die gesamte Struktur der Klassengesellschaft verändert wurde. Die Proletarisierung breiter Teile der Landbevölkerung, die zwangsweise Durchführung der Kollektivisierung auf dem Lande, machte diese Massen zu verzweifelten Gegnern der Stalinisten.

Wir werfen der Bürokratie nicht vor, daß sie die osteuropäischen Staaten industrialisierte (soweit sie es schon nicht vorher waren), sondern die Art und Weise wie diese Umstellung der ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft vor sich ging. Wir wissen natürlich, daß auch in einer revolutionären Diktatur des Proletariats das soziale Niveau der Massen unter Umständen in der ersten Zeit (vor allem in industriell unterentwickelten, oder durch Krieg, bzw. Bürgerkrieg zerstörten Staaten) einen Schritt zurück machen wird, um dann leichter zwei Schritte vorwärts machen zu können. Der wesentliche Faktor bleibt aber der, daß in der Diktatur des Proletariats die Massen die Herrschaft direkt und unvermittelt ausüben, daß sie täglich sehen, dass die Mühen des Alltags, durch die freie, politische Macht ausübung der ehemals Unterdrückten mehr als aufgewogen wird. Nur so wird auch – nebenbei gesagt – die ökonomische.Entwicklung zum Sozialismus gewährleistet werden können. Politische Machtausübung und ökonomische Umgestaltung der gesellschaftlichen Grundlagen sind eben nicht zwei voneinander zu trennlinde Faktoren.

Hier liegt das ‚historische Dilemma‘ des Stalinismus. Ist er zwar imstande die ökonomischen Grundlagen für die Weiterentwicklung der Gesellschaft zu legen, so schafft er selbst durch die politische Unterdrückung der Arbeiterklasse und seine internationale Politik (der Verhinderung der proletarischen Revolution), die Grenzen dieser Entwicklgng. Die Arbeiterklasse hat viele Male in der Geschichte bewiesen, daß sie bereit ist Not und schwere Arbeit auf sich zu nehmen, wenn es gilt die Welt zu verändern, aber sie mußte diese Perspektive täglich vor Augen haben. Das Bild der volksdemokratischen Gesellschaft ist ein gänzlich anderes. Neben den täglichen Mühen, dem Hunger und dem Elend, die unverblümt zur Schau gestellten Privilegien der Bürokratie, die politische Unterdrückung durch die Geheimpolizei, die Bespitzelung und die zynischen Sprüche vom ‚glücklichen Leben‘. Hier verliert der Arbeiter und Bauer jede Perspektive, hier wird er passiv.

„Es gab noch zwei schlaue Methoden, um die Arbeiter sogar um den elenden Lohn, der ihnen angeblich zustand, zu bringen. Die eine war das System der Friedensanleihen. Diese waren angeblich freiwillig, tatsächlich wurde jede Art von Druck ausgeübt, um aus jedem Arbeiter etwa 12% seines Gesamteinkommens herauszupressen. Diejenigen, die eine Beteiligung verweigerten, wurden angeprangert und später entlassen, oder sogar verhaftet. Die zweite List bestand in der Einrichtung der ‚freiwilligen‘ Schichten zu verschiedenen patriotischen Zwecken. Zwischen April 1950 und Februar 1951 gab es elf sogenannte Wettbewerbe in der ungarischen Industrie, die alle eine Beschleunigung des Arbeitstempos ohne materiellen Nutzen für den Arbeiter bedeuteten: 1. zur Erinnerung an die Befreiung Ungarns; 2. zu Ehren des 1. Mai; 3. zur Erinnerung an die Einsetzung von Gemeinderäten; 4. Korea-Woche; 5. Verfassungstag; 6. zehnter Jahrestag der Entlassung Rakosis aus dem Gefängnis; 7. Vollendung des Planes von 1950 bis zum Äußersten; 8. zu Ehren der Gemeindewahlen; 9. dreiunddreißigster Jahrestag der russischen Oktoberrevolution; 10. Stalins Geburtstag und 11. zu Ehren des zweiten Kongresses der Kommunistischen Partei Ungarns. Um die erschöpften, ausgeplünderten und verzweifelten Arbeiter noch weiter voranzutreiben gab es eine Menge von Bewegungen „zur Entwicklung des Stachanowsystems und der gesteigerten Produktion“. Hier sind ein paar Beispiele: 1. Die Korabelnikowabewegung. Zweck dieser Sache war, das Arbeitspensum eines Tages unter Verwendung von im vorhergehenden Monat eingesparten Material zu erfüllen. 2. Die Kowaljowbewegung. Diese bedeutet „die enge Zusammenarbeit zwischen Technikern und Handarbeitern zur Förderung des Arbeitswettbewerbes“. 3. Die Nazarowabewegung und 4. die Paninbewegung. Diese sind zu kompliziert für eine Erklärung: die erstere bezieht sich auf die Pflege der Maschinen, die zweite auf die gesteigerte Produktion. 5. die Kuznietrowbewegung. Diese wurde in Verbindung mit der Sparmaßnahme eingeführt. So viele Arbeiter wie möglich wurden aufgefordert „für die Pflege der Werkzeuge“ zu kämpfen. 6. die Gazdabewegung. Diese war einfach eine magyarische Form von 1., vermutlich weil die ungarischen Arbeiter Korabelnikowa nicht aussprechen konnten … “ (Georg Mikes, „Revolution in Ungarn“)

Zu alledem kam noch die kulturelle Verelendung, die Erstickung jedes freien Wortes. Die Aufgabe der Kunst wurde es nur noch, den ‚großen Führer Rakosi‘ und den noch ‚größeren‘ Stalin zu loben.

Die Entstehung der deformierten Arbeiterstaaten ist somit ausgesprochen widersprüchlich. Zwar wird die Bourgeoisie in diesen Ländern geschlagen und die wesentlichsten ökonomischen Grundlagen für den Übergang der Gesellschaft zum Sozialismus gelegt (und nur hier liegt der Fortschritt), aber um welchen Preis!

Das Ergebnis der Wahlen des Jahres 1945 in Ungarn zeigte klar, die tiefen demokratischen Illusionen der Massen (man muß bedenken, daß keine Partei sich gegen die Umwälzungen in Industrie und Landwirtschaft aussprach). Diese Illusionen wurden nun nicht im Klassenkampf durch die Politik einer revolutionären Partei überwunden, sondern einfach ‚verboten‘. Ähnlich war es in allen anderen osteuropäischen Staaten. Die negativen Auswirkungen – sowohl national, als auch international – der Entstehung des deformierten Arbeiterstaates sind demnach beträchtlich. Die langjährige direkte Anwesenheit der Roten Armee, die als ‚Siegermacht‘ auftrat, die Reparation an die Sowjetunion, sowie die sichtbare Abhängigkeit der nationalen stalinistischen Führungen von der Kreml-Bürokratie hatten das Wiedererwachen, bzw. die Verstärkung der nationalen Vorurteile der Massen zur Folge, die wir natürlich nicht einfach als ‚reaktionär‘ abtun können (das ist ein Punkt, auf den wir noch zu sprechen kommen werden). Die Erstickung jeder sozialistischen Demokratie die Willkürherrschaft im Namen der Diktatur des Proletariats, fügte der Sache dieser Klasse national und international einen dermaßen großen Schaden zu, daß wir nicht sagen können: Besser ein deformierter Arbeiterstaat, als gar keiner. Der Standpunkt der Kommunisten muß vielmehr lauten: Wenn der revolutionäre Faktor zu schwach ist um die Machteroberung der Stalinisten durch die Errichtung der sozialistischen Demokratie zu verhindern, dann verteidigen wir die Errungenschaften, nicht den Weg wie sie zustande kamen.

Eine Folge des ‚Kalten Krieges‘, also der verstärkten Einkreisung der Sowjetunion und der deformierten Arbeiterstaaten, waren ungeheure ökonomische Schwierigkeiten in diesen Staaten, die ja zudem von den Folgen des 2. Weltkrieges noch schwerstens gekennzeichnet waren. Dazu kam, der Ausbruch des Konfliktes zwischen der Kominform, mit der Kreml-Bürokratie an der Spitze und dem Tito-Regime in Jugoslawien, auf den wir in diesem Rahmen natürlich nicht genau eingehen können.

Dieser Konflikt – soviel muß gesagt werden – darf nicht als Konflikt zwischen Stalinismus und ‚Marxismus‘ fehlinterpretiert werden (wie dies das ‚Internationale Sekretariat‘ der IV. Internationale 1948 tat), sondern es war ein Konflikt zwischen zwei stalinistischen Bürokratien. Die jugoslawische Bürokratie stützte sich – im Gegensatz zu den stalinistischen Parteien der anderen ‚Volksdemokratien‘ – direkt auf die Massen, sie hatte im Kampf die Macht erobert. Das gab ihr die Kraft, den Versuchen der Kreml-Bürokratie, Jugoslawien ähnlich zu behandeln, wie die von der Roten Armee besetzten Staaten (Reparationsleistungen, ungleiche Wirtschaftsverträge usw.) zu widerstehen. Wer die Wirtschaftsverträge kennt, die die Kreml-Bürokratie Jugoslawien aufzwingen wollte, der wird hier die Ursachen für den Konflikt sehen müssen, und nicht etwa darin, daß Tito (der Schlächter der Führung der KPJ in Moskau), ‚unbewußt‘ zum Revolutionär geworden war. Im Gefolge dieser ökonomischen Schwierigkeiten und des Konfliktes mit Jugoslawien (der von den Stalinisten direkt in diesem Zusammenhang gestellt wurde) fanden eine Reihe von Schauprozessen in den ‚Volksdemokratien‘ statt, die nach dem Muster der Prozesse in der Sowjetunion (1936-38) durchgeführt wurden. Doch im Gegensatz zu den Prozessen in der Sowjetunion – wo die gesamte Führung der bolschewistischen Partei liquidiert wurde – saßen nun stalinistische Führer auf der Anklagebank. In der CSSR der Parteivorsitzende Slansky, in Ungarn der ehemalige Innenminister Rajk. Die genaue Beschreibung der Anklage kann man sich sparen. Wie gewohnt, ‚gestanden‘ die Angeklagten ‚Trotzkisten‘ und ‚Titoisten‘ und schon jahrelang Agenten imperialistischer Geheimdienste zu sein. Nicht diese monströse Anklage ist interessant, sondern vielmehr die Tatsache, daß es sich in den meisten Fällen um Stalinisten handelte, die in der Widerstandsbewegung tätig waren (hinzu kam noch eine ungeheuerliche antisemitische Welle in den Prozessen) und im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten. Die Vermutung. liegt nahe (die allerdings bloß bei Gomulka in Polen und bei einigen weniger bedeutenden Angeklagten voll bestätigt wird), daß es sich um einen Schlag gegen den Teil der Bürokratie handelte, der im Zuge der Auseinandersetzung der Jugoslawen mit dem Kreml, ebenso wie die Tito-Bürokratie eine gewisse Unabhängigkeit von der Sowjetunion erreichen wollte. Es handelt sich um einen Flügel der Bürokratie, den wir hier – wobei wir uns der Problematik dieses Begriffes natürlich bewußt sind – ‚National-Stalinismus‘ nennen wollen. Die Kreml-Bürokratie konnte auf diese Weise ihre absolute Vorherrschaft sichern und gleichzeitig konnte so der ‚Saboteur entlarvt‘ werden, der die ‚Schuld‘ an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatte.

DER ‚NEUE KURS‘ IN DER SOWJETUNION UND

SEINE AUSWIRKUNGEN IN UNGARN

Nach Stalins Tod 1953 übernahm ein ‚Triumvirat‘ die Führung der Sowjetbürokratie, in dem Malenkow eine Tendenz (sicherlich keine organisierte) der Bürokratie vertrat, die für eine gewisse innen- und außenpolitische ‚Lockerung‘ eintrat. Der ‚oberste Schiedsrichter‘ der Bürokratie (wie Trotzki einmal Stalin bezeichnete) war nicht mehr, und allein die Tatsache, daß nun drei (außer Malenkow noch Chrustschow und Mikojan) Bürokraten seinen Platz einnahmen, deutet auf Differenzen innerhalb der Bürokratie hin. Die Verhaftung und schließliche Hinrichtung Berijas (des Chefs der Geheimpolizei) und seiner engsten Mitarbeiter unterstreichen dies noch. Die ‚Tendenz‘ Malenkow entledigte sich der ständigen Bedrohung durch die Geheimpolizei. Der ‚Neue Kurs‘, der unter der ‚kollektiven Führung‘ eingeschlagen wurde, betraf vor allem Änderungen in der Setzung von Schwerpunkten beim wirtschaftlichen Aufbau. In einer Rede vor dem Obersten Sowjet kündigte Malenkow im August 1953 eine Verstärkung der Konsumgüterindustrie, größere Investitionen in der Leichtindustrie und im Handel, sowie eine Verbesserung der Lage der Kolchosbauern an.

Dieser ‚Neue Kurs‘ betraf aber natürlich auch die Beziehungen der Sowjetunion zu den ‚Volksdemokratien‘, sowie Veränderungen in der oben beschriebenen Richtung in diesen selbst. So fällt in diese Zeit die Wiederaufnahme des Kontaktes zu Jugoslawien. Der wirtschaftliche Druck,den die Sowjetbürokratie mittels Reparationszahlungen und ‚gemischter Gesellschaften‘ auf die osteuropäischen Staaten ausübte, wurde gelockert und die sowjetischen Anteile in diesen Gesellschaften der jeweiligen nationalen Bürokratie übergeben.

In der DDR wurden die unter sowjetischer Verwaltung stehenden Betriebe den örtlichen Behörden übergeben, sowie die Reparationszahlungen an die Sowjetunion eingestellt. Eine Erklärung der in den ersten Jahren nach Stalins Tod vor sich gehenden Veränderungen in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas, sowie den in diesen selbst vor sich gehenden Veränderungen, die gewissermaßen mit der Niederschlagung der ungarischen Revolution für viele Jahre ihr Ende fanden, kann nur gegeben werden, wenn man die Verankerung der einzelnen Bürokratien in den Massen beleuchtet.

Diese Verankerung, bzw. Nicht-Verankerung ist durch mehrere Faktoren gegeben gewesen. Zum ersten ist die konkrete Stärke der Kommunistischen Partei vor dem Zweiten Weltkrieg zu berücksichtigen, sowie die Politik des jeweiligen bürgerlichen Regimes. Im Falle der DDR war die Teilung der deutschen Nation ein Faktor, der an Bedeutung für die Entwicklung des Regimes bis heute im Mittelpunkt steht. Die KP der Tschechoslowakei, sowie die Bulgariens waren nach dem Kriege sofort zu Massenparteien geworden, was der Stellung der Bürokratie natürlich ein weit größeres Gewicht gab, als etwa der Ungarns oder Rumäniens. Wesentlich ist natürlich auch der Charakter des bürgerlichen Regimes im und vor dem Weltkrieg. Die Arbeiterklasse dieser Länder war seit Jahrzehnten dem Terror offener bürgerlicher Diktaturen ausgesetzt (die einzige Ausnahme bildet die Tschechoslowakei), die die kämpferischsten Elemente dieser Klasse ermordeten. Dies und dazu noch die Besetzung durch den deutschen Faschismus (außer Ungarn und Rumänien) waren ja alle anderen osteuropäischen Staaten ‚Feindländer‘ des deutschen Imperialismus), sowie die Opfer, die Krieg und Widerstand forderten, bewirkten, daß mit der Entstehtung der deformierten Arbeiterstaaten eine unerfahrene, junge Arbeiterklasse (die vor allem aus neu proletarisierten Elementen bestand) auf die Bühne der Gesellschaft trat. Die einzige Ausnahme bildet hier wieder die Tschechoslowakei (vielleicht auch noch die DDR, wo eine gewisse Weiterführung der proletarischen `Tradition bestand), wo die stalinistische Bürokratie anfangs sicherlich den stärksten Einfluß besaß. Die Revolution im Juni 1953 in der DDR war das erste Zeichen für die Bürokratie, daß gewisse Veränderungen notwendig waren, um ein Übergreifen auf die anderen ‚Volksdemokratien‘ zu verhindern. Wenn auch das konkrete Ausmaß der folgenden ‚Lockerung‘ in den einzelnen Staaten unterschiedlich war, so kann man doch eine gleichlaufende Linie feststellen. Wirtschaftlich wurde der Druck auf die Bauern etwas gelockert (in Ungarn, wie wir sehen werden, sogar mehr als etwas), der Ausbau der Leichtindustrie beschleunigt, was zu einer besseren Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern führen sollte. Politisch wurden einige Opfer der Säuberungen rehabilitiert, gewisse ‚Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit‘ zugegeben, sowie eine Annäherung an Jugoslawien gesucht und auch gefunden. Die Volksdemokratien gingen – dem ‚Neuen Kurs‘ der Sowjetunion folgend – dazu über, die ‚kollektive Führung‘ anzunehmen, was sicherlich Ausdruck des Kompromisses zwischen der Tendenz der ‚Statthalter Moskaus‘ und den ‚National-Stalinisten‘ war, von denen viele aus den Gefängnissen entlassen wurden.

Diese Entwicklung änderte nicht das Geringste am stalinistischen Charakter dieser Regimes, vielmehr versuchte der Stalinismus so seine Herrschaft wieder zu stabilisieren und die einzelnen Flügel der Bürokratie zu versöhnen. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß diejenigen, die wir ‚National-Stalinisten‘ nennen, sich mit all diesen geringfügigen (vor allem politisch) Änderungen zufrieden gegeben hätten. Die proletarische Demokratie war ihnen um nichts weniger fremd, und sie waren ihr um nichts weniger feindlich eingestellt als die Rakosi, Molotow und Pauker. Die Massen allerdings wollten mehr. Für sie war der Tod Stalins und die Versprechungen des ‚Neuen Kurses‘ das Signal um – anfangs zögernd – vorwärts zu gehen und unerfahren und ohne politische Führung nach der Arbeiterdemokratie und einer Verbesserung ihrer sozialen Existenz zu drängen.

In Ungarn nahm die Entwicklung unter dem Eingreifen der Sowjetbürokratie ihren Lauf. Vor allem in den unteren Parteikadern war der Kurs Malenkows populär, also bei jenen, die – anders als Rakosi und Gerö – täglich Kontakt mit den Massen hatten und dem direkten Druck ausgesetzt waren. Die Ernennung Imre Nagys zum Ministerpräsidenten Juli 1953 sollte das offene Ausbrechen der Unruhe verhindern. Nagy war beliebt (vor allem bei den Bauern und den Intellektuellen) und die ‚Gefahr‘ zu großer Veränderungen war nicht gegeben – der Parteiapparat blieb fest in der Hand Rakosis (der Erster Sekretär der Partei wurde) und Gerö.

„Der neue Ministerpräsident wurde nur von einer Minderheit des Zentralkomitees unterstützt, aber zum ersten Mal verfügte diese Minderheit über einen wichtigen Staatsposten und repräsentierte die offizielle Politik, die den Segen Moskaus hatte.“ (Brzezinski, „Der Sowjetblock“, Seite 181)

Nagys pragmatischer Grundsatz lautete: „Schneidere deinen Rock nach dem Tuch das du hast“, was in die Sprache der Wirtschaft übersetzt bedeutet: Verringerung des Entwicklungstempos, Abkehr vom absoluten Primat der Schwerindustrie, bessere Versorgung mit Konsumgütern, Änderungen in der Landwirtschaft. „Besonders verachtungsvoll sprach er über die Landwirtschaftspolitik seiner Vorgänger: ‚Die landwirtschaftliche Produktion stagnierte, und in den vergangenen. Jahren wurde ihr Entwicklungstempo bestimmt von mageren Investitionen, fehlender Unterstützung der Einzelbauern und viel zu rascher Entwicklung der Produktivgenossenschaften, die weder wirtschaftlich noch politisch zu rechtfertigen ist und die Bauernschaft unsicher gemacht hat. Während der Kollektivisierung wurde zu sehr mit Einschüchterungsmaßnahmen gearbeitet. Das verletzte das Rechtsgefühl der Bauern und fügte unserer Wirtschaft großen Schaden zu und trug viel zum jetzigen Stand der Dinge bei.“ (Brzezinski, …, Seite 182)

Neben wirtschaftlichen Maßnahmen – wie Lohnerhöhungen, Preissenkungen, Verringerung der Abgabepflicht und der Steuern für die Bauern, Genehmigung des Austrittes aus den Kollektivwirtschaften – kündigte Nagy in seiner ersten Rede als Ministerpräsident (am 4. Juli 1953) noch die Auflösung der Internierungslager und die Trennung von Justiz und Geheimpolizei an. Wo die Mehrheit der Mitglieder eines Kollektivgutes dessen Autlösung wünschte, mußte dies geschehen. In den folgenden Monaten machte ungefähr ein Zehntel der Güter von diesem Recht Gebrauch. Ähnliche Verordnungen führten auch in anderen ‚Volksdemokratien‘ zu Austritten der Bauern aus den staatlichen Gütern, so in Polen, wo der Anteil der kollektiven Nutzfläche an bebautem Boden zwischen Juli 1953 und November 1954 von 44 auf 30% sank und die Zahl der Kollektivwirtschaften in diesem Zeitraum von 7638 auf 6530 zurückging.

Verkörpert durch die Person des Imre Nagy erreichte der `Neue Kurs‘ in Ungarn (vergleichbar nur noch mit Gomulka in Polen) seinen deutlichsten Ausdruck. Die wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen (letztere sind allerdings als bloße Kosmetik zu bezeichnen – sie betrafen meist nur die Entlassung und Rehabilitierung einiger ‚Titoisten‘) wurden unter dem Druck der Arbeiterklasse, der Bauern und der Intellektuellen gesetzt, die mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln passiven Widerstand leisteten. Die Zwangskollektivisierung hatte eine ungemein niedrige Produktivität der Landwirtschaft zur Folge (noch heute sind in der Sowjetunion die Auswirkungen der Zwangskollektivisierung von 1929 zu spüren, von den deformierten Arbeiterstaaten ganz zu schweigen) was zur schlechten Versorgung der Städte führte, in denen eine bis zum Letzten gehetzte Arbeiterklasse ihr karges Leben fristete. Die Intellektuellen – obwohl ihnen, wenn sie loyal waren ungeheure Privilegien winkten – hatten zum großen Teil den öden, stupiden sozialistischen Realismus‘ satt, der doch nur Anbetung einiger ‚Führer‘ bedeutete. Die gesamte Situation näherte sich dem Punkt, wo, wie Lenin treffend feststellte, ‘die Herrschenden nicht mehr herrschen können und die Beherrschten nicht mehr beherrscht werden wollen‘: der Revolution!

Der ‚Neue Kurs‘ war der Versuch der Bürokratie die Gegensätze zu versöhnen, wobei politische Veränderungen von größerer Tragweite ohnehin nicht in Frage kamen – welcher Teufel schneidet sich schon selbst die Hörner ab? Der ‚Ausweg‘, die ‚Alternative‘ der Stalinisten besteht stets nur in wirtschaftlichen Maßnahmen, was zum einen ihre einzige Möglichkeit ist, dem Druck der Massen nachzugeben, zum Zweiten ihre Verachtung der Massen ausdrückt, denen man eben ‚zu Fressen‘ geben muß um sie zum Schweigen zu bringen. Diese Menschen schließen stets von sich auf andere.

Doch mehr als in allen anderen deformierten Arbeiterstaaten verbanden in Ungarn die Massen mit dieser Entwicklung eine politische Veränderung. Jahrzehntelang vom Horthy-Regime geknebelt, verlangten diese Massen nun nach politischer Freiheit. Sie hatten kein Programm und keine Führung, die Wenigsten unter ihnen waren Kommunisten in der wahren Bedeutung dieses Begriffes, die sich über die Ziele im Klaren waren. Der Bauer, der von den Kommissaren traktiert wurde, der Arbeiter, dessen Akkordsatz ständig erhöht wurde und dessen Lohn dennoch kaum zum Leben reichte, sie alle drängten mit jener dumpfen Energie der Massen vorwärts, die der Brennstoff für die Lokomotive der Geschichte – die Revolution – ist. Sie alle wußten nur, daß das meiste, was im Namen des Kommunismus geschah, schlecht war. Sie wollten Freiheit und Demokratie und obwohl sie Lenins Thesen über ‚Demokratie und Parlamentarismus‘ nicht gelesen hatten, drängten sie zur sozialistischen Demokratie. Marxistische Terminologie bedeutete ihnen nichts, was absolut verständlich ist, angesichts des zynischen Mißbrauches dieser Begriffe durch die stalinistische Bürokratie.

Was vertrat Imre Nagy?

Im Frühjahr 1955 wurde Nagy vom Posten des Ministerpräsidenten abgesetzt und aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen. So wie in der Sowjetunion – wo Malenkow von der Spitze der Bürokratie verdrängt wurde – übernahm auch in Ungarn wieder der Teil der Bürokratie offen die Macht (im Falle Ungarns kann man allerdings kaum davon sprechen, daß er sie wirklich abgegeben hatte), der vor allem den wirtschaftlichen Veränderungen des ‚Neuen Kurses‘ ablehnend gegenüberstand. In Ungarn kam noch eine politische Entwicklung hinzu, die vor allem eine stärkere politische Betätigung der Intellektuellen betraf, die in Nagy den Garanten einer freien künstlerischen Entwicklung sahen, die aber daneben noch ihre Vorstellungen von der Entwicklung der Gesellschaft, d.h. von den notwendigen Änderungen kundtaten. Wie so oft in der Geschichte kündigte sich auch in Ungarn der Aufstand der Volksmassen durch eine Gärung in der kleinbürgerlichen Intelligenz an.

Nachdem er im November 1955 aus der Partei ausgeschlossen wurde, verfaßte Nagy einen Bericht an das Zentralkomitee, der Jahre später, nach seinem Tode, unter dem Titel ‚Politisches Testament‘ in New York veröffentlicht wurde. Wenngleich uns dieses Dokument nicht zur Gänze zur Verfügung steht, geht dennoch aus den von Brzezinski veröffentlichten Passagen recht klar der politische Standort des Imre Nagy hervor. Man könnte ihn sicherlich als ‚Titoisten‘ bezeichnen, wenngleich dieser Begriff auch zuwenig an selbständiger politischer Substanz aufweist, um ihn als einen wissenschaftlichen Begriff bestehen zu lassen. Nagy war Stalinist, d.h. er gehörte dem Flügel der Bürokratie an – und war dessen hervorragendster Vertreter – der politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit von der Sowjetunion wünschte, der wie die Jugoslawen eine Politik der ‚Blockfreiheit‘ anstrebte, die mit einer gewissen ‚Liberalisierung‘, d.h. einer Vermeidung der schlimmsten Übergriffe des Rakosi-Regimes, im Inneren verbunden war. Dazu gehörte die Einstellung der Zwangskollektivisierung und das Recht der Bauern auf Austritt aus den Kollektiven, was in der Zeit der Regierung Nagy auch von 51% der Mitglieder in Anspruch genommen wurde.

Außenpolitisch vertrat Nagy das, was Jahre später von seinen Henkern verwirklicht wurde, allerdings unter anderen Vorbedingungen.

„Wir haben die internationale Lage im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Ungarn oder die Interessen Ungarns niemals eingehend untersucht … Deshalb geriet bei uns die Innenpolitik häufig in einen scharfen Widerspruch zur internationalen Entwicklung. Die falsche Einschätzung der internationalen Lage, die Übertreibung der Kriegsgefahr, sowie die Maßnahmen, die aus dieser Einstellung heraus ergriffen wurden, spielten eine sehr maßgebliche Rolle, als die Parteiführung 1949-1952 in der Entwicklung der Volkswirtschaft äußerst schwerwiegende Fehler beging … Die Juni-Ereignisse des Jahres 1953 in Ostdeutschland, der Tschechoslowakei, Ungarn und anderswo zeigen, welch schwere Forgen die falsche Einschätzung der internationalen Lage und die auf ihr fußende Außenpolitik im inneren Leben der betroffenen Staaten hatte.'“(‚Politisches Testament‘)

Die Entwicklung Jugoslawiens und natürlich die Chinas hatte bewiesen, daß die Unabhängigkeit von der Sowjetunion weder automatisch einen Bruch mit dem Stalinismus bedeutete, noch eine Rückkehr zum Kapitalismus zur Folge haben muß (was außerdem nur durch die siegreiche Konterrevolution möglich wäre). Nagy strebte genau das an, was er durch das Beispiel Jugoslawiens als möglich erkannt hatte, einen ‚Sozialismus‘, der keinem der beiden ‚Blöcke‘ angehörte.

„Wir müssen erkennen, daß wir demnach nicht nur dem sozialistischen Lager angehören, sondern auch jener großen Gemeinschaft der Nationen, mit deren Ländern und Völkern wir durch unzählige Fäden verbunden sind, die man nicht zerreißen kann, aber auch nicht darf, weil wir nicht ein Leben, ausgesperrt aus der großen Gemeinschaft der Nationen, führen wollen, da wir dann nicht in der Lage wären, den Weg des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieges zum Sozialismus in friedlicher, schöpferischer Arbeit zu gehen.“

Innenpolitisch würden bürgerliche Zeitungen Nagy wohl als Vertreter eines ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ bezeichnen, wenngleich dieses Emblem völlig inhaltslos ist. Vielleicht hat Nagy das Programm des ‚National-Stalinismus‘ (man darf bei dieser Bezeichnung natürlich nicht in den Fehler verfallen, andere Tendenzen des Stalinismus für internationalistisch zu halten, diese Bezeichnung soll nur das Verhältnis zur Sowjetbürokratie kennzeichnen) am klarsten aufgezeigt – mit Ausnahme der Jugoslawen natürlich, die sich das ja leisten konnten – dennoch wäre es falsch einen Unterschied zu Gomulka, Dubcek, Tito oder Mao-Tse-Tung zu setzen.

In seiner Kritik ist Nagy sicherlich ziemlich schonungslos, so z.B. wie er das Verhältnis zwischen den einzelnen Volksdemokratien aufzeigt, das von Abschirmung, die die Solidarisierung der Unterdrückten verhindern soll, gekennzeichnet ist.

„In der Bestrebung zwischen der ungarischen Volksdemokratie und den übrigen Ländern des demokratischen und sozialistischen Lagers, also nicht einmal mehr nur zwischen der westlichen kapitalistischen Welt und unserer Heimat, eine richtiggehende chinesische Mauer aufzurichten, kommt ein spezifischer volksdemokratischer Provinzialismus, ein hochgradiges Selbstisolierungsbedürfnis zum Ausdruck. Heute sind wir bereits so weit, daß Parteimitglieder, ja sogar Mitglieder des Zentralkomitees, die Presse der Bruderparteien, die Erklärungen von Partei- und Staatsführern der Volksdemokratien, die Reden und Artikel der Genossen Bierut oder Siroky und die Beschlüsse der Bruderparteien nicht bekommen können. Dasselbe gilt vielfach auch für die Kultur, die Kunst und die Literatur, für die Diskussionen und den Meinungsaustausch in den volksdemokratischen Ländern. Ja, wir sind sogar so weit, daß bestimmte Publikationen der KPdSU nicht einmal Mitgliedern des Zentralkomitees zugänglich sind … Die fast hermetische Absperrung des ungarischen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens von den Problemen der befreundeten Länder auf den gleichen Gebieten spiegelt die Furcht vor der Kritik wider, begünstigt aber gleichzeitig auch, und das fällt viel schwerer ins Gewicht, das Aufleben des Nationalismus und steht im diametralen Gegensatz zu den Leninschen Lehren über proletarischen Internationalismus.“ (‚Politisches Testament‘)

Wenn wir die konkreten Unterschiede in der Entwicklung der oben genannten Vertreter eines Flügels der stalinistischen Bürokratie zugunsten des ihnen Gemeinsamen beiseite lassen, sehen wir, daß dieses Gemeinsame den wesentlichen Kern der Frage trifft. Gemeinsam ist ihnen allen, daß ihre Entwicklung auf die Erreichung einer unabhängigen Stellung von der Sowjetunion keineswegs zur Errichtung der proletarischen Demokratie führte – und auch nicht führen konnte. Gomulka, dessen Programm dem Nagys sehr ähnlich war, wurde 1970 zum Henker der polnischen Arbeiter und mußte bei seinem Sturz genau die Anklagen gegen sich hören, die er Jahre vorher gegen Bierut und Konsorten vorbrachte. Und Dubcek trägt

– als Repräsentant eines Flügels der Bürokratie – die Verantwortung dafür, daß die Arbeiterklasse der CSSR 1968 angesichts des Einmarsches der Warschauer-Pakt – Truppen, politisch völlig entwaffnet und desorientiert war, obwohl bereit zu kämpfen.

Die Jugoslawen richteten 1948 und auch noch später Angriffe gegen die Sowjetbürokratie, die an Heftigkeit – und auch an treffender Wahrheit – bislang nur von den Trotzkisten vorgebracht wurden. Aber nichtsdestoweniger herrschte in Jugoslawien die Diktatur einer Bürokratie, die jede Keimform der Arbeiterdemokratie erstickte und die Räte nur soweit und solange duldete; als sie das herrschende Regime nicht in Frage stellten. Der Vorwurf des ‚Revisionsmus‘, den die maoistische Führung an die Kreml-Bürokratie richtet – mittlerweile versteigt sie sich ja sogar zur Verwendung von Begriffen wie ‚Sozialfaschismus‘ – ist angesichts der Innen-und Außenpolitik der chinesischen Bürokratie vom Inhalt her nichts als eine Groteske der Geschichte. Bei aller unterschiedlichen Entwicklung sehen wir, daß dieser Flügel der Bürokratie, wenn er an die Macht kommt, außerstande ist, mit dem Stalinismus zu brechen. Jeder selbständige Schritt der Massen gefährdet seine Existenz – indem er die Existenz der Bürokratie an sich gefährdet – und genau daher, muß er die Massenaktivität die er benützt um seine Ziele zu erreichen, schließlich bekämpfen und unterdrücken. Der Lauf der Dinge hat Dubcek und Nagy dieses Schicksal erspart, doch gerade ihre Politik hat wesentlich zum Scheitern des Aufstandes gegen den Stalinismus beigetragen.

Wir werden sehen, wie Nagy während der Kämpfe stets bereit ist Kompromisse einzugehen und durch sein Lavieren die kämpfenden Massen desorientiert. Eben weil die Arbeiterklasse der deformierten Arbeiterstaaten bis heute
bewußtseinsmäßig nicht über die Gomulka, Nagy und Dubcek hinausgekommen ist, erreichte sie die in den Kämpfen selbst angelegten Ziele nicht.

Die Frage lautet nicht: Stalinismus oder ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘, sondern: Sozialismus oder Stalinismus! Und bei der praktischen Beantwortung dieser Frage, muß die Revolution auch den ‚National-Stalinismus‘ schlagen!

DER UNGARISCHE OKTOBER

Nach dem Ausschluß von Nagy aus der Partei, entwickelten sich die Dinge fieberhaft weiter. Auf den Posten des Ministerpräsidenten wurde ein unbedeutender Mann des Apparates gesetzt (Hegedüs),während Rakosi und Gerö offenbar hofften, die Entwicklung nun besser unter Kontrolle zu haben. Es ist unwichtig ob der ungarische Apparat eine schroffe Wendung wollte, entscheidend bleibt, daß eine solche nicht dem Willen der Sowjetbürokratie entsprach. Der XX. Parteitag der KPdSU, mit dem, was man gemeinhin als ‚Entstalinisierung‘ bezeichnet, die ‚Versöhnung‘ zwischen Chrustschow und Tito im Sommer 1956 (die jugoslawische Presse betrieb offene Agitation für die Rückkehr Nagy), sowie die ständig wachsenden Aktivitäten des Petöfi-Klubs in Ungarn selbst, machten eine solche Wendung unmöglich. Offenbar glaubte der Apparat mit der Ausschaltung von Nagy die Dinge besser in den Griff zu bekommen.

Am 27. März wurd Rajk und die anderen Angeklagten des Prozesses rehabilitiert, Anfang Juli eine Teilamnestie verkündet (11.398 Personen wurden entlassen, darunter Bela Kovacs, der im Oktober zu den Neugründern der Partei der kleinen Landwirte gehören sollte). Rakosi hatte die Frechheit, den Rajk-Prozeß als einen „Mißbrauch der Justiz“ zu bezeichnen.

Daneben aber gingen die Angriffe gegen Nagy, sein Programm und den Petöfi-Klub weiter. In einer Resolution des ZK vom 30. Juni heißt es:

„Ermutigt durch die Geduld der Partei, richten die parteifeindlichen Elemente allmählich immer schärfer werdende Angriffe gegen die Politik und die Führung unserer Partei und gegen unser volksdemokratisches System. Das offene Auftreten gegen die Partei und die Volksdemokratie wird hauptsächlich von einer bestimmten Gruppe organisiert, die sich um Imre Nagy formiert hat. Die Presse hat es versäumt gegen die parteifeindlichen Ansichten Stellung zu nehmen. Gewisse Zeitungen und Zeitschriften … haben irreführende und prinzipienlose Berichte veröffentlicht und gelegentlich sogar Artikel provokatorischen Inhaltes Raum gegeben …“ (zitiert nach Brzezinski:,“Der Sowjetblock“, Seite 242) Im Parteiorgan ‚Szabad Nep‘ wurde am 3. Juli der Petöfi-Klub schaft angegriffen:

„Es kann nicht als zufällig angesehen werden, daß diese opportunistischen, schädlichen und parteifeindlichen Ansichten von jenen geäußert wurden, die noch in enger, systematischer Verbindung mit Imre Nagy stehen, der wegen seiner gegen die Partei und die Volksdemokratie gerichteten antimarxistischen Ansichten und wegen seiner Fraktionsmacherei aus der Partei ausgeschlossen wurde … Diese Leute haben die Diskussion zum Schauplatz des Angriffes auf die Volksdemokratie gemacht.“ Der Petöfi-Klub, der unter der Regierung Nagy gegründet wurde, war eine Vereinigung von Schriftstellern (Petöfi war ein revolutionärer Dichter, der 1848 eine führende Rolle gespielt hatte), welche ursprünglich ein Forum literarischer Diskussion sein sollte. Doch bald nahmen diese Diskussionen politischen Charakter an und offen wurde die Rückkehr Nagys im Organ des Schriftstellerverbandes ‚Iroldani Ujsug‘ gefordert. Als der Schriftstellerverband im September 1956 ein neues Komitee wählte, wurden alle Vertreter der Parteilinie abgewählt.

Der amerikanische Journalist Simon Bourgin beschreibt einige Zusammenkünfte des Klubs in den letzten Monaten vor dem Oktober, die den Rahmen der Intellektuellen weit überschritten. Die Zusammenkunft am 27. Juni etwa, wo um 16.30 Uhr bereits der 800 Personen fassende Saal überfüllt war, obwohl die Versammlung erst um 19 Uhr begann. Zu dieser Zeit war der Vorplatz des Gebäudes voll von Menschen, die Versammlung dauerte bis 3.30 Uhr in der Nacht. Die Kritik an der Bürokratie nahm nun bereits eine so offene und schonungslose Form an, daß im Laufe der Auseinandersetzungen auf dieser Versammlung der Chefredakteur der ‚Szabad Nep‘ Horvath zugeben mußte, daß in Ungarn keine Freiheit der Presse bestand. Tibor Dery, ein führendes Mitglied des Petöfi-Klubs, zeichnete in der Diskussion Horvath folgendermaßen: „Nehmen wir zum Beispiel Martin Horvath hier, den Chefreakteur von Szabad Nep. Er vertritt nicht etwa sich selbst und manchmal ist es sogar schwer zu sagen, ob er die Partei vertritt. An einem Tag steht er extrem rechts, am nächsten extrem links; bei ihm weiß man nie woran man ist.“ Und über Revai, den früheren Kultusminister sagte er: „Er weiß sehr wohl, daß das, was er sagt, nicht die Wahrheit ist; das kümmert ihn aber nicht – er sagt es trotzdem.“ (zitiert nach: Lasky „Die ungarische Revolution“, S.33) Der Geist der Rebellion, der vom Petöfi-Klub ausging, begann mehr und mehr die Massen zu erfassen, indem er ihrer ungewissen Wut und Verzweiflung Perspektiven gab. Angeblich drängte Rakosi auf der ZK-Tagung vom 12. Juli darauf, Nagy und mehrere hundert Personen zu verhaften – man benötigt nicht viel Phantasie, um zu wissen wen. Die folgenden Ereignisse stehen völlig im Zusammenhang mit diesem angeblichen Drängen von Rakosi. Ohne Zweifel war sich die Kreml-Bürokratie darüber im Klaren, daß eine Verhaftung von Nagy nicht nur die ‚Versöhnung‘ mit Jugoslawien sofort zunichte machen würde, sondern, daß auch der Aufstand in Ungarn die Antwort der Massen sein könnte.

Am 17. Juli traf Mikojan in Budapest ein. Zwei Tage später lesen wir in der ‚Szabad Nep‘ die Rücktrittserklärung von Rakosi …

„Verehrtes Zentralkomitee!

Ich ersuche das Zentralkomitee, mich vom Posten des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees und von meiner Mitgliedschaft im Politbüro zu entbinden. Ein Grund für mein Ersuchen ist darin zu sehen, daß ich im 65. Lebensjahre stehe und daß meine Erkrankung, an der ich seit zwei Jahren unter ständiger Verschlechterung meines Zustandes leide, mich daran hindert, die dem Ersten Sekretär des Zentralkomitees auferlegte Arbeit zu erfüllen …“

Es folgt das übliche Ritual:

„Was die von mir auf dem Gebiet des Personenkults und der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit begangenen Fehler betrifft, so habe ich diese bereits auf der Sitzung des Zentralkomitees im Juni 1953 bekannt und auch seitdem immer wieder eingestanden. Ich habe auch in der Öffentlichkeit Selbstkritik geübt.“ (zitiert nach Lasky, …, Seite 35) Sprachs und nahm das nächste Flugzeug in die Sowjetunion, wo er sich einer Kur unterzog.

Doch mit der Ernennung von Gerö zum Ersten Sekretär änderte sich nicht das Geringste. Der Prozeß, der am 23. Oktober zum Ausbruch kommen sollte, war schon zu weit fortgeschritten, als das eine solche Maßnahme seinen unaufhaltsam nach vorne drängenden Gang stoppen konnte. Die stalinistische Bürokratie versuchte durch die Einsetzung von früheren ‚Titoisten‘, wie Kadar und Marosan in hohe Parteifunktionen, der Entwicklung Herr zu werden. Doch vergeblich, die Arbeiterklasse, die Bauern und die Intellektuellen begannen sich bereits – ohne es bewußt wahrzunehmen – für die kommenden Schlachten zu rüsten.

Ende September erfolgte die öffentliche Überführung von Rajk, der eine unübersehbare (200.000) Menschenmenge beiwohnte. Dies ist weniger als eine Kundgebung für Rajk zu betrachten, als vielmehr eine gegen seine Mörder, die auf der Tribüne standen und auf deren Reden die Menge mit eisigem Schweigen antwortete. Die Kluft war nicht mehr zu überbrücken. Die Barrikaden standen bereits.

Die Witwe von Rajk, die lange Jahre eingesperrt war, besteigt die Tribüne und wendet sich an die anwesende Parteiführung:

„Ihr habt nicht nur meinen Mann umgebracht, sondern alle Anständigkeit in unserem Land. Ihr habt Ungarns politisches, wirtschaftliches und moralisches Leben zerstört. Mörder kann man nicht rehabilitieren, man muß sie bestrafen … Wo aber, waren die Parteimitglieder, als dies geschah? Wie konnten sie diese Degeneration zulassen, ohne sich zornig gegen die Schuldigen zu erheben?“ Sie forderte eine gründliche Säuberung:

„Genossen! Ihr müßt mir in diesem Kampf beistehen!“ (zitiert nach Lasky, …, Seite 32)

Was blieb der Parteiführung anders über? Sie erhob sich und spendete der Frau Beifall …

Anfang Oktober wurde Nagy wieder in die Partei aufgenommen, aber nicht in das ZK oder Politbüro berufen. Am 14. Oktober veröffentlicht er eine versöhnlerische Erklärung in der ‚Szabad Nep‘, in der er erklärt, daß die ‚Einheit der Partei‘ nun das Wichtigste sei. In der gleichen Ausgabe des Blattes wird eine Erklärung des ZK abgedruckt, in der es heißt, daß die Gründe für den Ausschluß von Nagy in der Abneigung zu sehen sind, die Rakosi gegen ihn hatte und in „Übertreibungen und unkorrekten Anschuldigungen“ … Der Flügel um Nagy war bereit, durch einen Kompromiß die Herrschaft der Bürokratie zu retten. Und nur mehr er war zu diesem Zeitpunkt dazu in der Lage.

Doch die Ereignisse des 23. Oktober zerreißen alle Kompromisse, alle Abmachungen, die auf dem Rücken der unterdrückten Massen und auf deren Kosten abgeschlossen wurden. Die Forderung nach dem Abzug der sowjetischen Truppen wurde bereits seit Wochen auf öffentlichen Versammlungen im ganzen Land erhöben. Der Schriftsteller Guyla Hay spricht davon in einer Rede in Györ, deren Inhalt gleichzeitig die Unzulänglichkeit der Ziele des Petöfi-Klubs deutlich macht.

„Jugoslawien ist es gelungen, seine völlige Unabhängigkeit zu wahren. Polen und China sind im Begriff, beim Aufbau des Sozialismus einen eigenen Weg einzuschlagen, der den nationalen Besonderheiten und der Vergangenheit dieser Länder entspricht. Wir müssen uns bemühen, auch in unserem Land diese nützliche Praxis zu entwickeln. Das hängt von uns ab.“

(zitiert nach Lasky, …, Seite 48)

Am 22. Oktober faßt der Petöfi-Klub in einer Sitzung folgende Entschließung:

„1. Angesichts der augenblicklichen Lage in Ungarn schlagen wir vor, so bald als möglich das Zentralkomitee der Partei zu einer Sitzung einzuberufen. Genosse Imre Nagy soll an den vorbereitenden Arbeiten zu dieser Sitzung beteiligt werden.

2. Wir halten es für notwendig, daß Partei und Regierung die wirtschaftliche Lage des Landes in aller Offenheit klarlegen, den zweiten Fünfjahresplan revidieren und ein konstruktives Programm in Übereinstimmung mit unseren besonderen ungarischen Bedingungen ausarbeiten.

3. Das Zentralkomitee und die Regierung müssen jede nur mögliche Mittel anwenden, um den Aufbau der sozialistischen Demokratie sicherzustellen, indem sie die Rolle der Partei genau erklaren, die legitimen Forderungen der arbeitenden Klasse zur Geltung bringen und die Selbstverwaltung der Fabriken auf demokratischer Grundlage einführen.

4. Um das Prestige der Partei und der Staatsverwaltung zu sichern, schlagen wir vor, daß Genosse Imre Nagy sowie andere Genossen, die für eine sozialistische Demokratie und für leninistische Grundsätze gekämpf haben, in der Leitung von Partei und Regierung an den gebührenden Platz gestellt werden.

5. Wir schlagen vor, Matyas Rakosi aus dem Zentralkomitee der Partei auszuschließen und ihn von seinen Ämtern abzuberufen. Es ist erforderlich, daß das Zentralkomitee, das Ruhe im Lande herzustellen wünscht, den derzeitigen Versuchen ein Ende setzt, eine Stalin- oder Rakosi-Restauration herbeizuführen.

6. Wir schlagen vor, die Gerichtsverhandlung gegen Mihaly Farkas (der frühere Verteidigungsminister, d.Verf.) in aller Öffentlichkeit durchzuführen, wie es die sozialistische Legalität gebietet.

7. Das Zentralkomitee sollte gewisse, in letzter Zeit gefaßte Beschlüsse, revidieren, Beschlüsse, die sich als falsch und sektiererisch erwiesen haben, allen voran die Beschlüsse vom März 1955, den Beschluß über die Freiheit der Literatur vom Dezember 1955 und den Beschluß vom 30. Juni 1956 über den Petöfi-Klub. Wir schlagen vor, das Zentralkomitee möge diese Beschlüsse annullieren und geeignete Schlußfolgerungen in bezug auf die betroffenen Personen ziehen.

8. Auch die heikelsten Fragen sollten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, so die Resultate unserer Außenhandelsabkommen und die Absichten der Regierung über die Verwertung der ungarischen Uranabkommen.

9. Im Hinblick auf eine Konsolidierung der ungarisch-sowjetischen Freundschaft wollen wir auf die Grundlage des leninistischen Prinzips der völligen Gleichberechtigung noch engere Beziehungen zur Partei, zum Staat und zur Bevölkerung der Sowjetunion herstellen.

10. Wir fordern, daß das DISZ-Zentralkomitee auf der Tagung vom 23. Oktober zu den einzelnen Punkten dieser Resolution Stellung nimmt und einen Beschluß über die Demokratisierung der ungarischen Jugendbewegung faßt.“ (zitiert nach Lasky, …, Seite 52)

In Versammlungen beschlossen die Studenten am 23. Oktober Solidaritätsdemonstrationen für die polnische Arbeiterklasse durchzuführen.

Bei der Statue des polnischen Generals Bem, der 1848 den Ungarn beistand, wird eine Resolution des Schriftstellerverbandes verlesen:

„1. Wir fordern eine unabhängige nationale Politik auf der Grundlage des Sozialismus. Unsere Beziehungen zu allen Ländern, besonders zur Sowjetunion und zu den Volksdemokratien müssen unter Beachtung der Gleichberechtigung geregelt werden. Im gleichen Sinne sind Verträge und wirtschaftliche übereinkünfte zu prüfen.

2. Die Nationale-Minderheiten-Politik muß beendet werden. Sie stört die Freundschaft zwischen den Völkern.

3. Wir verlangen eine offene Darlegung der wirtschaftlichen Situation des Landes. Wir werden diese Krise nicht überwinden, wenn nicht alle Werktätigen, Bauern und Intellektuellen an der Verwaltungsarbeit auf politischem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet teilnehmen können.

Die Fabriken missen von den Arbeitern und Technikern gleitet werden. Das gegenwärtige demütigende Lohn- und Soll-System, sowie die schimpflichen Zustände im sozialen Versicherungswesen müssen verbessert werden.

5. Unsere Bauernpolitik ist auf eine neue Grundlage zu stellen. Den Bauern muß das Recht auf freie Entscheidung gegeben werden, ob sie den Kooperativen angehören wollen oder nicht. Das gegenwärtige Ablieferungs- und Steuersystem muß allmählich ersetzt werden durch ein System, das die freie sozialistische Produktion und den .Austausch von Gütern sichert.

6. Diese Forderungen sind nur zu verwirklichen, wenn die Struktur von Parteileitung und Regierung geändert wird und die Posten anders besetzt werden. Die Rakosi-Clique drängt auf Restauration und ist daher aus unserem politischen Leben zu entfernen. Imre Nagy, ein lauterer und tapferer Kommunist, hat das Vertrauen des ungarischen Volkes. Ihm ist die Stellung zuzuweisen, die er verdient. Gleichzeitig ist allen konterrevolutionären Versuchen energisch entgegenzuwirken.

7. Die Lage erfordert, daß die Patriotische Volksfront die politische Vertretung der ungarischen Arbeiterklasse übernimmt. Unser Wahlsystem muß mit den Voraussetzungen sozialistischer Demokratie in Übereinstimmung gebracht werden. Das Volk muß seine Vertreter in freier und geheimerWahl wählen dürfen.“

Alle Berichte über die Demonstrationen des 23. Oktober stimmen überein, daß diese friedlich begonnen haben, die Studenten, denen sich sofort tausende Arbeiter anschlossen, unbewaffnet waren. Ein ursprüngliches Verbot der Demonstrationen durch das Innenministerium wurde wieder aufgehoben. Nagy sprach zu den Demonstranten vor dem Parlament, doch kann er der erregten Menge nichts anderes bieten, als sie aufzufordern, die Nationalhymne zu singen …

Gerö, der eben aus Jugoslawien zurückgekehrt war, wo er den unvermeidlichen Kniefall vor Tito hinter sich gebracht hatte, goß in seiner berüchtigten Rundfunkrede, in der er die Demonstranten als ‚Feinde des Sozialismus‘ bezeichnete, Öl ins Feuer. Die Demonstration hatte – wie konnte es auch anders sein – natürlich widersprüchlichen Charakter. Der Journalist Sefton Delmer beschreibt im ‚Daily Expreß‘ vom 24. Oktober, daß an der Spitze des Zuges riesige Lenin-Bilder mitgetragen wurden. Neben roten Fahnen (die Studenten des Lenin-Marx-Institutes hatten sich dem Zug angeschlossen), sah man ungarische Nationalfahnen. Allein der Ausgangspunkt – Solidarität mit der polnischen Arbeiterklasse – widerlegt alle Verleumdungen über den angeblichen Chauvinismus der Teilnehmer. Aber daneben zeigt der Inhalt der Resolutionen klar alle Illusionen über den ‚eigenen Weg‘ zum Sozialismus und in den ‚National-Stalinismus‘ auf.

Nach der Rede Gerös marschierte die Menge, die auf ihrem Weg ständig an Zahl zunahm, zum Rundfunkgebäude, um zu verlangen, daß ihre Forderungen verlesen werden. Im Gebäude befinden sich 300 AVH-Männer, die alles das verkörperten, was die Unterdrückten mit ihrer ganzen Leidenschaft haßten. Die Geheimpolizei schießt in die Demonstranten, die nichts anderes wollten, als daß ihre Forderungen durch den Äther gesendet werden. Mit dem Schreien der Verletzten bricht der Sturm los. All der Zorn, der Haß, die verzweifelte Wut, die sich in Jahrzehnten des dumpfen Schweigens gestaut hatten, bricht nun in den aus tausenden und abertausenden Kehlen kommenden Schrei der Empörung hervor. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, jetzt muß entschieden werden: Herr oder Knecht!

Die Demonstranten strömen zu den Kasernen, wo ihnen die Soldaten sofort Waffen übergeben oder sich selbst dem Zug anschließen.Tod der AVH! Der Aufstand greift sofort auf das ganze Land über. Die Arbeiterklasse greift zur Waffe des Generalstreiks. Der Journalist Peter Fryer, der als Korrespondent des Zentralorgans der englischen KP nach Ungarn kam, berichtet über den Beginn der Kämpfe um Ungarisch-Altenburg, wo er einige Tage nach dem 23. Oktober eintrifft und Kontakt mit dem dortigen Revolutionskomitee aufnimmt.

„Die zwanzig Mitglieder des Revolutionskomitees waren alle Ortsansässige, keiner konnte als Emigrant bezeichnet werden. Einige Kommunisten, aber einfache Kommunisten, keine Funktionäre .. Die meisten Komiteemitglieder waren ehemalige Mitglieder der sozialdemokratischen Partei, die, seitdem die Kommunistische Partei und die Sozialdemokratische Partei im Jahre 1948 zur Ungarischen Partei der Werktätigen zusammengeschlossen worden waren, aus dem einen oder anderen Grund aus dem aktiven politischen Leben ausgeschieden waren… Sie begannen von den Ereignissen des vorangegangenen Tages zu sprechen. Am Mittwoch und Donnerstag hatte sich in den Fabriken und Straßen die Nachricht von den Kämpfen in Budapest verbreitet. Am Freitag gärte es in der ganzen Stadt und etwa um 10 Uhr morgens strömten die Menschen zu einer spontanen Demonstration aus den Häusern. Sie waren unbewaffnet und wollten in diesem Stadium der Entwicklung auch keine Waffen… Mit der ungarischen Nationalhymne auf den Lippen marschierten sie in der ersten spontanen Demonstration seit 1945 durch die Stadt. Sie waren völlig friedlich – außer daß sie überall wo sie einen roten Stern sahen, ihn herunterrissen. Es war der Ausdruck ihres Wunsches nach einem Ende der sowjetischen Besatzung, ihres Wunsches, die sowjetischen Symbole zu entfernen, mit denen sie statt mit Brot gefüttert wurden, und die leeren Schlagworte zum Verstummen zu bringen, die man ihnen statt der Wahrheit in die Ohren geschrien hatte …

Auf das Kommando des AVH-Leutnants Josef Stefko feuerten zwei Maschinengewehre, die hinter den Fenstern der Gebäude versteckt waren, in die Menge hinein, dort wo sie am dichtesten war. AVH-Männer warfen auch Handgranaten. Das Feuer dauerte vier Minuten und einige der Verwundeten erhielten noch einen Schuß in den Rücken, als sie versuchten wegzukriechen …

Jetzt war die Menge nicht mehr zu halten. Sie rannte zu den Kasernen, um das Geschehene den Soldaten zuzuschreien. Ohne zu zögern, brachen die Soldaten die Waffenkammern auf und gaben dem Volk Waffen.“ (Peter Fryer, „Ungarische Tragödie“, Seite 21)

Die erste Auswirkung der Kämpfe war die, daß Nagy Ministerpräsident wird und Gerö Erster Sekretär bleibt. Es wäre völlig falsch zu meinen, daß Nagy nun ein ‚Gefangener‘ des Apparates war (Gerüchte sprechen sogar davon, daß er bei seinen Rundfunkreden eine Pistole im Genick spürte), der gezwungen wurde, den Versuch zu unternehmen, die Revolution einzudämmen. In der Stunde der tödlichen Gefahr für die stalinistische Bürokratie wußte Nagy, wo sein Platz war. Jeder Revolutionär hätte sich geweigert Regierungsverantwortung zu übernehmen und hätte stattdessen versucht durch die Installierung einer Gegenregierung, die sich auf die entstehenden Organe der Arbeiter und Bauern stützt, der Bürokratie, die ins Wanken geraten war, den letzten Stoß zu versetzen. Doch wie gesagt, Nagy war trotz allem Stalinist.Er versuchte in mehreren Rundfunkreden die Aufständischen dazu zu bewegen, die Waffen niederzulegen, was aber vergeblich war.

Die ungarische Armee stand der Revolution positiv gegenüber, diese Tatsache war der Hauptgrund für den ursprünglich günstigen Verlauf. Sie übernahm nicht nur die Versorgung der Kämpfer mit Waffen, sondern griff auch selbst aktiv in die Kämpfe ein, die sich am ersten Tag nur gegen die AVH richteten. Am 24. Oktober morgens fuhren die ersten sowjetischen Panzer in Budapest ein.

Ein beliebtes ‚Argument‘ der Stalinisten, die Revolution als ‚konterrevolutionär‘ zu verleumden, ist der Tod vieler AVH-Männer, die von den Kämpfern aufgehängt wurden, wobei sie vor dem Eintritt des Todes sicherlich Qualen zu erleiden hatten. Doch wer war diese AVH? Waren diese Leute denn ‚einfache Kommunisten‘, wie es uns die prostituierten Schreiberlinge der Bürokratie einreden wollen? Oder waren es nicht vielmehr entartete Kreaturen, die zum Teil schon dem Horthy-Regime gedient hatten?

„Die AVH. Die Unterdrücker eines ganzen Volkes, einschließlich der ganzen Partei. Geformt und ausgebildet nach stalinistischem Muster …

Die AVH. Ist es verwunderlich, daß werktätige Männer und Frauen in Budapest sie nicht nur erschossen, wenn sie sie sahen, nicht nur zu Dutzenden aufhängten, sondern anschließend, die mit dem Kopf nach unten aufgehängten Körper voll Verachtung und Ekel bespuckten?

Die AVH. Es gab dort Gestapo-Folterkammern mit Peitschen, Galgen und Instrumenten zur Zermalmung der menschlichen Gliedmaßen. Es gab dort winzige Strafzellen … Die jungen Untermenschen, die diesen starken Arm des volksdemokratischen Staates bildeten, erhielten – Dokumenten zufolge, die man bei ihren Leichen fand – monatlich 3000 bis 4000 Forints als Mannschaften und 9000 bis 12000 Forints als Offiziere. Das ist das Drei- bis Zwölffache des Durchschnittslohnes. Ausserdem Luxuswohnungen, während tausende in Budapest zusammengepfercht in Elendsquartieren hausten.“ (Peter Fryer, …, Seite 42)

Das war also der ‚weiße Terror‘, von dem die Stalinisten noch heute faseln! Wir sprechen hier keineswegs der Lynchjustiz das Wort, aber es ist nur allzu verständlich, daß die Unterdrückten ihre Peiniger nun in den Zustand versetzten, in den sie gehören, nämlich in den lebloser Kadaver!

Nicht Kommunisten wurden getötet, sondern Konterrevolutionäre, Handlanger des stalinistischen Apparates!

Wie in jeder Revolution, so wurde auch in Ungarn schlagartig alle Energie der Massen frei, die zu lange unterdrückt blieb. Das dabei Dinge geschahen, die an sich nicht zu billigen sind, wird nur ein unverbesserlicher Phillister oder Konterrevolutionär bejammern.

Am 24. Oktober verkündete die Regierung Nagy das Standrecht, wieder ist es Nagy persönlich, der diesen Beschluß über den Rundfunk bekanntgibt. Doch jeder Appell an das, was Nagy ‚Vernunft‘ nennt, bleibt unerhört. Der Kampf zwischen Teilen der einmarschierenden Roten Armee und den Aufständischen nimmt immer heftigeren Charakter an. Verzweifelt wehren sich die schlecht ausgerüsteten Revolutionäre. Kinder und Frauen, produzieren ‚Molotow-Cocktails‘, mit denen sie gegen Panzer vorgehen. Die kämpfende Arbeiterklasse weiß nun genau: Es gibt kein Zurück mehr, es gibt nur mehr das Vorwärts!

Es ist sowohl im Interesse der Stalinisten, als auch in dem des Imperialismus von den Verbrüderungen zwischen Teilen der Roten Armee und den Aufständischen nichts zu berichten. Tatsächlich aber waren solche Akte der aktiven Solidarität, der Verweigerung der sowjetischen Soldaten auf ihre ungarischen Klassenbrüder zu schießen, keine Seltenheit. Meist war es passives Verhalten, in einigen Fällen aber drehten sie die Türme der sowjetischen T 34 in die andere Richtung, als in die ihnen befohlene.

Die Soldaten der Roten Armee hatten anfangs geglaubt in Deutschland zu sein und gegen Faschisten zu kämpfen (ähnlich war es bei der Besetzung der CSSR 1968).

Der ‚Daily Telegraph‘ meldete am 29. Oktober: „Die Gewerkschaftszeitung ‚Nepszava‘ veröffentlichte am Freitag zwei nationalistische Manifeste und forderte unter anderem, politisches Asyl für sowjetische Kämpfer, die übergelaufen sind, um unser Volk zu unterstützten …

(zitiert nach Lasky, …, Seite 115)

Aber es gab auch das Feuer aus sowjetischen Panzern auf Menschenmengen, die sich um Brot anstellten, auf völlig wehrlose Frauen und Kinder. Allein die Tatsache, daß es der Kreml-Bürokratie gelingen konnte, die Rote Armee als Instrument der Konterrevolution zu mißbrauchen – auch wenn man die Lügen, die man den Soldaten erzählte und das Überlaufen von Teilen der Truppen berücksichtigt – zeigt den tiefen Stand des Bewußtseins der Soldaten an, welcher die Folge der jahrzehntelangen stalinistischen Herrschaft in der UdSSR ist.

DER WEITERE VERLAUF DER REVOLUTION

Die am 24. Oktober umgebildete Regierung – mit Nagy als Ministerpräsidenten – versuchte dessen Popularität und Einfluß auszunützen, um die kämpfenden Massen zu beruhigen. Doch nachdem dies vergebens war, verkündete man – wieder mit der Unterschrift von Nagy – das Standrecht. Verschiedene Berichte – und die kommenden Ereignisse bestätigen diese – deuten darauf hin, daß Nagy unter schwerem Druck stand. Ohne Zweifel war dies der Fall, wenngleich wir es für falsch halten, ihn als einen ‚Gefangenen‘ der Sowjettruppen und der Bürokratie zu halten. Wäre er allein verantwortlich gewesen, so hätte er sicherlich nicht das Standrecht verkündet. Doch das ändert nichts daran, daß auch seine Politik zur Niederlage der Revolution führen mußte.

Aus allen Berichten wird auch klar, daß die Sowjetbürokratie schon seit längeren mit der Möglichkeit eines militärischen Eingreifens in Ungarn gerechnet hatte. Auffallend und bezeichnend dabei ist, daß nicht die Einheiten, die in Ungarn stationiert waren in die Kämpfe eingriffen, sondern hauptsächlich frisch herbeigeschaffte, die von der gesamten Entwicklung im Lande unberührt waren. Die zu den Aufständischen übergehenden Soldaten der Roten Armee gehörten vor allem zu den zuerst genannten Einheiten.

In den folgenden Tagen bricht in ganz Ungarn der stalinistische Staatsapparat zusammen und Räte, in denen alle Parteien vertreten sind, übernehmen die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens, soweit dies während der Kämpfe überhaupt möglich ist. Diese Räte stehen völlig in der Tradition der russischen Revolution. Am 25.Oktober wird Gerö als Erster Sekretär abgesetzt und Kadar – der bei den Massen als ehemaliger ‚Titoist‘ Vertrauen genießt – tritt an seine Stelle. An diesem Tag waren Suslow und Mikojan in Budapest und klarerweise ist diese Veränderung auf ihre direkte Intervention zurückzuführen. Der verhaßte Gerö war für die Aufständischen ein rotes Tuch.

Doch auch der neuerliche Versuch, die Kämpfer zum Aufgeben zu bewegen – jetzt allerdings in einem versöhnlichen Ton gehalten – ist vergebens. Die Arbeiterklasse will das, wofür sie ihr Leben riskierte, das, wofür nun schon Tausende gestorben waren, verwirklicht sehen: Sozialistische Demokratie! Und solange noch die Eineiten der Roten Armee in Ungarn stehen, kann dies nicht geschehen. Deshalb wurde die Forderung: Sofortiger Abzug der Sowjets zur zentralen Forderung der Revolution. Obwohl aus allen Resolutionen und Erklärungen der Räte die Illusionen in die Regierung Nagy deutlich wird (es taucht auch die Forderung nach einer Regierung im Geiste von Bela Kun und Rajk auf), steht diese Regierung dennoch unter einem gewaltigen Druck, den sie mit den halben, abwieglerischen Maßnahmen und Erklärungen auch nicht begegnen kann.

So verkündet der Arbeiterrat von Groß-Miskoc am 25.Oktober: „Der Arbeiterrat von Groß-Miskoc und das Parteikomitee haben sich ohne Rücksicht auf die Antwort des Genossen Imre Nagy entschlossen, die in der Resolution der werktätigen Bevölkerung von Borsod und Miskolc niedergelegten Forderungen so lange aufrechtzuerhalten, bis sie erfüllt worden sind.

Unser Aufruf, den wir in Verbindung mit diesen vom Geiste Kossuths getragenen Forderungen an die Arbeiter richteten, enthält fünf Punkte.

Wir verlangen: 1. daß die Sowjetarmee das Land sofort verläßt; 2. eine neue ungarische Regierung; 3. das Streikrecht; 4. völlige Amnestie für alle Ungarn, die am Aufstand teilgenommen haben; 5. solange diese Forderungen nicht berücksichtigt worden sind, wird die Bevölkerung der Provinz Borsod und von Groß-Miskolc weiterstreiken; vom Streik ausgenommen sind nur Eisen bahnen, Bergwerke, der Gesundheitsdienst, die Lebensmittelversorgung, Kraftwerke und die Presse.“ (zitiert nach: Lasky,…, Seite 90)

Die Regierung muß schließlich die Arbeiterräte anerkennen und Nagy sichert ihnen auch zu, daß er sich für die Verwirklichung der Forderungen einsetzen wird. Am 27. Oktober wird die Zusammensetzung der neuen Regierung verkündet. Auffallend ist, daß ihr wohl einige frühere Mitglieder der Kleinlandwirte-Partei und der Nationalen Bauernpartei angehören, aber kein Vertreter der Sozialdemokratie. Die meisten Regierungsmitglieder gehören der Kommunistischen Partei an.

Doch die Kämpfe gehen weiter. Mit dem Mute der zu allem entschlossenen Massen kämpfen die Aufständischen gegen die AVH und die Rote Armee. Halbwüchsige und Frauen gehen mit Benzinflaschen bewaffnet gegen Panzer vor, verteidigen jeden Stein in Budapest.

„Ich sah ihn hinter dem Panzer herrennen. Er versuchte hinaufzuspringen, und es gelang ihm tatsächlich, ohne daß er die Aufmerksamkeit der Russen erregte. Er warf sein Granatbündel auf die Plattform, sprang ab und wollte zu uns zurück laufen. Als ich meinen Blick wieder dem Panzer zuwandte, bemerkte ich, daß die Handgranaten heruntergerollt und auf die Straße gerollt waren. ‚Sandor‘, schrie ich, ‚komm rasch, rasch!‘ Ich kann noch jetzt sein Gesicht sehen. Zweifellos hatte er mich gehört. Seine Augenwaren voller Tränen. Er nahm die Handgranaten wieder auf, kletterte wieder auf den Panzer und warf das ganze Bündel gegen den Turm. Ein augenblendender Blitz folgte, eine furchtbare Explosion. Wir warfen uns alle auf den Boden, um nicht von den umherfliegenden Splittern getroffen zu werden. Ich schaute nicht mehr hin. Sandor war tot…“ (zitiert nach: Lasky,..:, Seite lo9)

Am 28. Oktober schließlich ordnet die Regierung eine Waffenruhe an und verkündet die Aufnahme von Verhandlungen über den sofortigen Abzug aller sowjetischen Truppen. Zu diesem Zeitpunkt wird nur noch in Budapest gekämpft, weite Teile des Landes sind in den Händen der Aufständischen. In einer an diesem Tag im Rundfunk verlesenen Erklärung von Nagy, weist dieser alle Lügen von einer ‚Konterrevolution‘ zurück: „Die Regierung lehnt es ab, diese gewaltige Volkserhebung als Konterrevolution zu betrachten. Zweifellos haben, wie es immer bei großen Volkserhebungen geschieht, in den letzten Tagen Übeltäter die Gelegenheit zu gemeinen Verbrechen benutzt. Es geschah auch, daß reaktionäre, konterrevolutionäre Elemente sich der Bewegung anschlossen und die Ereignisse zum Sturz des volksdemokratischen Systems auszunutzen versuchten. Es ist aber auch unbestreitbar,daß in dieser Bewegung ein großer, nationaler und demokratischer Impuls wirksam geworden ist, der unser ganzes Volk umfaßt“.

Das gesamte Land ist mit einem dichten Netz von Arbeiterräten durchzogen, die ihre Abgesandten nach Budapest schicken und die in ihren Gebieten die Staatsgewalt ausüben. Am 29. Oktober beginnt der Abzug der Roten Armee. Doch er geht äußerst langsam vor sich, weil die Sowjetbürokratie die Bedingung aufgestellt hatte, daß alle Aufständischen vorher dieWaffen abgeben mußten. Nach einem Hetzartikel der ‚Prawda‘ erscheint am 29. Oktober eine Antwort in der ‚Szabad Nep‘, in der es heißt: „Die Losungen der sozialistischen Demokratie tönten am lautesten und nicht die der Reaktion oder Konterrevolution…Wenn wirklich etwas zusammengebrochen ist ,dann die Herrschaft der Rakosi-Clique!… Im weiteren Verlauf behauptet der Prawda-Artikel, die Wühlarbeit der amerikanischen und englischen Imperialisten sei die Ursache der Demonstrationen in Budapest und des Aufstandes gewesen. Wir müssen offen sagen, daß diese Erklärung der ‚Prawda‘ eine Beleidigung für die gesamte Bevölkerung von-Budapest darstellt“.

Einen Tag später – am 30.Oktober – verkündet Nagy die Aufhebung des Einparteiensystems und die Bildung einer Regierung, in die Vertreter aller Parteien (auch der Sozialdemokratie) enthalten sind. Auch Janos Kadar ist Mitglied dieser Regierung. Nachdem die meisten Einheiten der Roten Armee das Land verlassen hatten (von einem völligen Abzug konnte nie die Rede sein), wurden sofort die Parteien wieder gegründet, 25 Tageszeitungen tauchten in den zerstörten Straßen Budapests wieder auf, die Gewerkschaften reorganisierten sich auf einer von allen Parteien unabhängigen Grundlage – die Morgendämmerung einer neuen Zeit schien hervorzubrechen…

Die zusammengebrochene stalinistische Partei, sollte auf einer neuen Grundlage und mit einem neuen Programm (wie selbst Kadar sagte) neu aufgebaut werden und nur solche Personen als Mitglieder zulassen, die nichts mit den Verbrechen der Rakosi-Ära zu tun hatten. Sogar die Sowjetbürokratie änderte für einige Tage ihren Kurs (zumindest schien es so) und die ‚Prawda‘ schrieb keine Hetzartikel. Die Regierung Nagy begann die Verhandlungen über den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt.

Am 1. November gibt Kadar einer italienischen Zeitung ein bemerkenswertes Interview. Bemerkenswert deshalb, weil er wenige Tage später den zweiten Angriff der Roten Armee begrüßen wird.

„Frage: Welche Art des Kommunismus vertreten sie Herr. Kadar?

Antwort: Den neuen Typ, der aus der Revolution hervorging und nichts mit dem Kommunismus der Gruppe Rakosi-Pegedüs-Gerö zu tun haben will.

Frage: Ist dieser ‘neue Kommunismus‘, wenn man ihn so nennen darf, vom jugoslawischen oder polnischen Typ?

Antwort: Unser Kommunismus ist ungarisch. Er ist eine Art ‚dritte Kraft‘ und hat weder Beziehungen zum Titoismus noch zum Kommunismus Gomulkas.

Frage: Wie würden Sie diese ‚dritte Kraft‘ beschreiben?

Antwort: Sie ist Marxismus-Leninismus, angepaßt den besonderen Erfordernissen unseres Landes, unseren Schwierigkeiten und unseren nationalen Problemen. Sie ist weder beeinflußt von der UdSSR noch von anderen Abarten des Kcmmunismus; ich wiederhole, es handelt sich um ungarischen Nationalkommunismus. Diese ‚dritte Kraft‘ entsprang unserer Revolution, in deren Verlauf, wie.Sie wissen, zahlreiche Kommunisten auf Seiten der Studenten, der Arbeiter, des Volkes kämpften.“ (zitiert nach: Lasky, Seite 194)

Am 4. November im Morgengrauen beginnt der – längst geplante – konzentrierte Angriff der Roten Armee auf Budapest. Pal Maleter, der Kriegsminister, ist längst verhaftet, Kadar hat sich abgesetzt um eine ‚Arbeiter- und Bauernregierung‘ zu bilden, die den Einmarsch unterstützt.

Vor allem die Arbeiterviertel von Budapest sind dem Trommelfeuer der sowjetischen Geschütze ausgeliefert. Die Stalinisten wissen genau, wo der härteste Widerstand zu brechen ist. Die 40.000 Arbeiter der Csepel-Werke, haben an die Wände der Fabrikmauern folgende ErKlärung angebracht: „40.000 Aristokraten und Faschisten der Csepel-Werke streiken weiter“! Die Räte des Landes rufen zum Generalstreik auf. Der verzweifelte Widerstand hält noch tagelang an. Doch die Revolution besitzt zu wenig Waffen und Munition, um diesem Großangriff widerstehen zu können.

Nagy und andere Führer der Revolution fliehen in die jugoslawische Botschaft, von wo sie noch im November entführt werden und im Jahre 1958 werden Nagy und Maleter, nach einem Geheimprozeß, in Rumänien hingerichtet. Tausende werden erschossen, zehntausende eingekerkert oder deportiert. Die Konterrevolution wütet nun wirklich in Ungarn. Doch auch nachdem der militärische Widerstand zusammengebrochen war, beugte sich die ungarische Arbeiterklasse nicht. Monatelang gab es Streiks und passiven Widerstand. Die Räte wurden nach und nach zuruckgedrängt, bis sie schließlich völlig bedeutungslos wurden.

Am 14. November 1956 noch wird der ‚Zentrale Arbeiterrat von Budapest‘ gegründet, der folgende Forderungen erhebt: „Wir Arbeiter sind der Meinung, daß es zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung notwendig sei, die Führung der Regierung einer Persönlichkeit zu übertragen, die das Vertrauen des Volkes genießt. Folglich schlagen wir vor, daß der Genosse Imre Nagy die Leitung der Regierung übernehmen soll.

2. Wir protestieren dagegen,daß Mitglieder der früheren Staatssicherheitspolizei (AVH) in die neugegründeten Sicherheitsorgane aufgenommen werden sollen. Wir fordern, daß die neuen Sicherheitsorgane aus revolutionärer Jugend, aus denjenigen Mitgliedern der Polizei und der Armee, die dem Volk treu geblieben sind, und aus Arbeitern der Betriebe zusammengestellt werden. Das neue Sicherheitsorgan darf nicht eine Formation für die Verteidigung von Parteiinteressen oder von Interessen einzelner Personen werden.

3. Volle Freiheit soll allen Freiheitskämpfern gesichert werden, auch für Pal Maleter und seine Kameraden. Alle, die bis jetzt verhaftet wurden, sollen auf freien Fuß gesetzt werden.

4. Um die Freundschaft mit der UdSSR zu verstärken, müssen die sowjetischen Truppen baldmöglichst das Land verlassen, und die Möglichkeit, unser Land in Frieden aufzubauen, soll uns gesichert sein.

5. Wir fordern, daß weder die Presse noch der Rundfunk Informationen verbreiten, die nicht der Wahrheit entsprechen.

6. Solange auf unsere Forderungen keine befriedigende Antwort eingegangen ist, werden wir nur die für das alltägliche Leben der Bevölkerung allernotwendigsten Betriebe produzieren lassen, ferner Instandhaltung leisten und jene Wiederaufbauarbeiten gestatten, die für die Volkswirtschaft unentbehrlich sind.

7. Wir fordern, daß das Einparteiensystem abgeschafft wird und nur jene Parteien zugelassen werden, die auf der Grundlage des Sozialismus stehen.

8. Sobald wir zufriedenstellende Antworten erhalten, wird die Arbeit aufgenommen.

Noch im Dezember ruft dieser Arbeiterrat aus Protest gegen die Maßnahmen der Regierung Kadar zum 48-stündigen Genralstreik auf. Doch der Stalinismus hat die Oberhand gewonnen. Nach und nach kehrt ‚Ruhe und Ordnung‘ in Ungarn ein!

DIE GRÜNDE FÜR DIE NIEDERLAGE DER UNGARISCHEN REVOLUTION

Die ungarische Revolution zeigte mit aller Klarheit – ebenso wie alle anderen Erhebungen gegen den Stalinismus – die Grenzen einer Massenerhebung ohne revolutionäre Führung an. Obwohl die Arbeiterklasse sofort zur Bildung von Räten schritt und damit bewies, daß selbst die stalinistische Herrschaft die revolutionäre Tradition nicht völlig zum Verschwinden bringen konnte, waren diese Räte dennoch nicht in der Lage, die Macht im Staate vollständig in die Hand zu nehmen. Sie waren nicht national koordiniert und vermochten so nicht mehr als Druck auf die Regierung Nagy auszuüben, was zwar zur Verwirklichung vieler ihrer Forderungen führte (bzw. zur Ankündig dieser Verwirklichung durch die Regierung), insgesamt aber nichts am schwankenden Charakter der Politik dieser Regierung änderte. Sie versäumten es dem ‚National-Stalinismus‘, sowie den kleinbürgerlichen Parteien eine geschlossene Rätebewegung (in der alle Parteien vertreten sein mußten) entgegenzustellen. Zu groß waren die Illusionen in diese Parteien. So wäre es die Aufgabe dieser Räte gewesen, die schwankende Nagy-Regierung abzulösen und bewußt die Arbeiter und Bauernmacht zu errichten. Die Illusionen und das Abwarten verhinderten dies jedoch. Eine weitere Aufgabe der Räte, deren Erfüllung zum Sieg der Revolution lebenswichtig gewesen wäre, hätte in Maßnahmen bestehen müssen, die die nationale Isolierung der ungarischen Revolution durchbrochen und die aktive Solidarität der Arbeiterklasse in den anderen deformierten Arbeiterstaaten, als auch in den kapitalistischen Ländern hervorgerufen hätte. Doch auch hier verhinderten die Illusionen in den ‚ungarischen Weg zum Sozialismus‘ solche Schritte. So war zwar passive Solidarität vorhanden, aber eben nicht mehr. Um diese Perspektive in den Räten durchzusetzen, war die Voraussetzung des aktiven Eingreifens eines revolutionären Kaders in die Kämpfe nicht gegeben. Die Tragik der ungarischen Revolution liegt auch darin, daß die kämpfenden Massen von sich aus zwar den Stalinismus zu Fall brachten, aber nicht imstande waren, bewußt die Macht in die Hand zu nehmen, sondern den Zustand der Doppelherrschaft (auf der einen Seite die Arbeiterklasse und die Bauern, auf der anderen die Sowjetbürokratie, vermittelt durch die Rote Armee) nicht positiv überwinden konnte. Diese Erfahrung beweist auch, daß selbst der größte Heldenmut – und diesen haben die ungarischen Kämpfer tausendfach bewiesen – allein nicht genügt, sondern erst in der Verbindung mit der revolutionären Partei siegen kann.

Selbst eine sehr kleine revolutionare Gruppe wäre in Ungarn mit einer richtigen Politik sehr rasch zu einer Massenpartei geworden. Die Aufgabe einer solchen Gruppe wäre es gewesen, an den aus den Massen selbst kommenden Forderungen anzusetzen und sie mit dem System der Übergangsforderungen zu verbinden. Die Frage der Arbeitermiliz erreichte in Ungarn einen äußerst zugespitzten Ausdruck. Wohl waren die Arbeiter bewaffnet, aber nicht in koordinierten Einheiten zusammengeschlossen. Die Arbeiterkontrolle über die Produktion und über den Wirtschaftsplan, die Losung der Arbeiter- und Bauernregierung, die sich direkt auf die Räte stützt und diesen verantwortlich ist, die bewußte politische Ar beit in der Roten Armee, all diese Fragen standen ungelöst im Mittelpunkt der ungarischen Revolution!

WIEN, IM OKTOBER 1976 INTERNATIONALE KOMMUNISTISCHE LIGA