Türkei: Erklärung der CHD (Vereinigung Progressiver JuristInnen) im Zusammenhang mit dem GREIF-Widerstand

AN DIE PRESSE UND ÖFFENTLICHKEIT

 DIE GREIF ARBEITER/INNEN SIND NICHT ALLEIN!

Hunderte ArbeiterInnen der Hadimköy Fabrik, die einem der weltweit größten Konzerne, der von den USA finanzierten Greif Konzerngruppe angehört, setzen seit 75 Tagen ihren würdevollen und berechtigten Widerstand gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen, gegen das Leiharbeitssystem und Gewerkschaftsbürokratie fort.

Die meisten ArbeiterInnen arbeiten unter Leiharbeitsverältnissen und es gibt 44 unterschiedliche Leihfirmen.

Bei Greif sind in 4 verschiedenen Fabriken 3000 ArbeiterInnen beschäftigt. In den Fabriken Hadimköy und Dudullu, wo der Widerstand begonnen hat, arbeiten an die 1350 ArbeiterInnen. 508 ArbeiterInnen stehen unter Vertrag der Firma, 850 sind als Leiharbeiter von 44 verschiedenen Leihfirmen beschäftigt.

Eine Leihfirma verfügt somit über insgesamt 20 ArbeiterInnen, die Leihfirmen ändern sich ständig und die ArbeiterInnen setzen ihre Arbeit fort. Die ArbeiterInnen

erfahren erst nach Monaten, dass ihre Leihfirma gewechselt hat und dass sie ohne Versicherung arbeiten. So wurde etwa ein Arbeiter, der seit 5 Jahren bei Greif arbeitet, 1 Jahr lang nicht versichert und er wechselte zu 6-7 Leihfirmen. Er hat auf diese Weise seine Arbeit in der Greif Fabrik auf der Basis des Mindeslohns fortgesetzt.

 Die Hadimköy Fabrik wurde von den ArbeiterInnen besetzt

Die ArbeiterInnen, die dieses Sklavensystem nicht akzeptieren, sind nach etwa einem Jahr ihrer Organisierungsarbeit für die gänzliche Aufhebung der Leiharbeitsbeschäftigung in der Fabrik, für fixe Anstellung im Betrieb sowie für Kollektivrechte und damit verbunden wirtschaftliche Verbesserungen, der an die DISK gebundenen Textilgewerkschaft beigetreten.

Die Greif-ArbeiterInnen haben einen Solidaritätsgeist an den Tag gelegt, die vorbildlich ist für die Klassenbewegung in der Türkei und nachdem ihre Forderungen bei den Kollektiverhandlungen nicht erfüllt wurden, legten sie am 10. Februar 2014 ihre Arbeit nieder, besetzten die Hadimköy Fabrik und begannen diesen großen Widerstand.

Der Widerstand in der Dudullu Fabrik wurde abgeschlossen

Während dieser würdevollen Widerstandsperiode des Klassenkampfes, ist die der DISK zugehörige TEXTIL-Gewerkschaft, deren Mitglieder die widerstandleistenden ArbeiterInnen sind, für die Hunderten Greif-ArbeiterInnen nicht eingetreten. Sie hat dem Widerstand ihrer eigenen Mitglieder nicht die nötige Unterstützung gegeben und der Widerstand in der Dudullu Fabrik wurde am 10. März 2014 beendet.

Sie hat keine Maßnahmen im Zusammenhang damit getroffen, dass am 18. März 2014 135 ArbeiterInnen der Hadimköy Fabrik ungerechtfertigt entlassen wurden.

Darüber hinaus hat sie am 21. März 2014 gemeinsam mit den Arbeitgebern von Dudulluh das sogenannte „Dudullu Protokoll“ unterschrieben, das soziale und wirtschaftliche Rechte der ArbeiterInnen beinhaltet.

Trotz des klaren Einspruchs der ArbeiterInnen in Hadimköy und ihrer AnwältInnen haben sie das „Hadimköy Protokoll“ unterschrieben, welches einen Vorschlag des Arbeitgebers beinhaltet.

 Wie hat sich das Hadimköy Protokoll entwickelt?

Die TEXTIL-Gewerkschaft hat es am 10. April 2014, dem Tag als die Hadimköy Fabrik mit Tausenden Polizisten, mit Panzern, Wasserwerfern und Baumaschinen gestürmt wurde, vorgezogen, eine Versammlung abzuhalten, anstelle den ArbeiterInnen zur Seite zu stehen. Und in einem Flugblatt des Vorstands, das an der Öffentlichkeit unterbreitet wurde, haben sie regelrecht behauptet, dass das Kadimköy Protokoll mit Zustimmung unseres Vereinsmitgliedes Ra. Bülent Simsek unterzeichnet wurde. Die TEXTIL- Gewerkschaft lügt regelrecht. Die Wahrheit ist:

Trotz eindeutigem Einspruch der ArbeiterInnen wurde das Protokoll mit dem Vorschlag des Arbeitgebers unterzeichnet.

Am 5. April 2014 wurde das Protokoll vom Rechtsvorstand der DISK, Ra. Nejdet Okcan an den Anwalt der ArbeiterInnen übermittelt.

In dem Protokoll wurden DISK, TEXTIL- Gewerkschaft und Greif als Parteien angeführt. Als erste Voraussetzung wurde angeführt, dass die ArbeiterInnen am Sonntag, den 7. April 2014 bis 8:00 Uhr die Fabrik geräumt haben müssen, als zweite Voraussetzung wurde genannt, dass je ein Vertreter der ArbeiterInnen und der Gewerkschaft, sowie eine vom Arbeitgeber bestimmte Person oder ein Versicherungsangestellter eine Untersuchung vornehmen um festzustellen, ob Schäden im Betrieb entstanden sind. Sollten beide Voraussetzungen erfüllt sein, werde der Arbeitgeber als Zeichen der Nachsichtigkeit, zu einem wiederum unbestimmten Zeitpunkt Entschädigungen zahlen.

Es wurde eindeutig und in klaren Worten gesagt, dass das Protokoll in dieser Fassung nicht akzeptabel sei. Die AnwältInnen der ArbeiterInnen, die zugleich Zentralvorstandsmitglieder unseres Vereins sind, Ra. Bülent Simsek, Ra. Gökmen Yesil und Ra. Zeycan Balci Simsek, begaben sich am 5. April 2014 zur Fabrik, um über den Inhalt dieses Protokolls zu innformieren und sie sprachen mit den ArbeiterInnen bis 0.30 Uhr nachts über dieses Protokoll. Unsere KollegInnen erklärten, dass jeder Anwalt mit Rechtspraxis sich gegen dieses Protokoll stellen müsse. Denn das Protokoll schafft eine Basis zum Verlust von Rechten und macht selbst Entschädigungszahlungen von bestimmten Bedingungen abhängig.

Die für Sonntag, den 6. April 2014 anberaumte Versammlung wurde von der DISK auf Montag, den 7. April um 10:00 Uhr verlegt. Und es ist daraufhin zu einem etwa einstündigen Telefonat zwischen Ra. Bülent Simsek und DISK-Vorsitzenden Kani Beko gekommen. Ra. Bülent Simsek stelte deutlich klar, dass dieses Protokoll in keinem Fall auf dieser Basis unterzeichnet werden kann. Kani Beko brachte ebenfalls zum Ausdruck, dass sie das Protokoll auf keinen Fall unterzeichnen werden. In den selben Stunden ließ auch der Betriebsleiter der Gewerkschaft, Orhan

Purhan per Telefon dem Vize-Generalvorsitzenden der DISK Celal Ovat wissen, dass er dem Protokoll nicht in dieser Form zustimmt.

Einige Stunden nach diesem Gespräch rief der Direktor der Rechtsdirektor der DISK an und sagte, dass die Textil-Gewerkschaft und der Arbeitgeber das Protokoll unterzeichnet hätten, die DISK jedoch nicht unterschrieben habe.

 Hat die DISK das Protokoll unterschrieben?

Bei einem Treffen am Montag, den 7. April 2014 in der DISK-Zentrale nahmen die AnwältInnen der ArbeiterInnen Ra. Bülent Simsek, Ra.Zeycan Balci Simsek, sowie stellvertretend für die ArbeiterInnen, Engin Yilgin, Orhan Purhan, der Rechtsvorstand der DISK Ra. Necdet Okcan, der Generalvorsitzende der DISK Kani Beko und DISK Vize-Generalvorsitzender Celal Ovat teil. Bei dieser Versammlung wurde auf dem Protokoll, dass auf keinem Fall unterschrieben werden sollte, die Unterschrift von Vize-Generalvorsitzenden Muzaffer Subasi gesehen. DISK-Vorsitzender Kani Beko sagte,er sei gleichzeitig Generalsekretär der TEXTIL Gewerkschaft und dass er allein keine Befugnis hätte, zu unterzeichnen. Er brachte zum Ausdruck, dass diese Unterschrift ohne Wissen und Zustimmung seiner Gewerkschaft zustandegekommen ist. Doch unserer Forderung, dazu eine schriftliche Erklärung abzugeben, wurde nicht nachgekommen. Der Generalvorsitzende Kani Beko erklärte offen, dass er das Protokoll nicht anerkennt und dasser mit der Zentrale von Greif in Holland sprechen werde, dass man darauf bestehen werde, dass die Fabrik nicht geschlossen wird und die Kollektivverhandlungen fortgesetzt werden. Das Treffen wurde damit beendet.

Wir möchten noch einmal klarstellen, dass Muzaffer Subasi, der das Protokoll im Namen der DISK unterschrieben hat, sich dessen bewusst war, dass die DISK durch eine doppelte Unterschrift vertreten wird und er entgegen unserer Warnungen allein das Protokoll unterzeichnet hat.

Deshalb versucht die TEXTIL-Gewerkschaft, aufgrund dieses Verrats und um sich der Verantwortung bezüglich des Protokolls zu entziehen, unseren Verein anzuschwärzen. Das werden wir nicht zulassen.

Der Gewerkschaftsanwalt hat bei Gericht eine Parallelerklärung mit den Greif-AnwältInnen abgegeben und vom Gericht einen Beschluss über eine Besetzungs erwirkt.

Die TEXTIL Gewerkschaft hat sich geradezu mit dem Greif-Boss arrangiert, sie hat die eigenen ArbeiterInnen sowohl bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und im Prozess, der seitens der Greif-Vorgesetzten aufgrund der Fabriksbesetzung unter der Aktenzahl 2014/146E. im 6. Arbeitsgericht in Istanbul eröffnet wurde, während der Verhandlung vom 7. April 2014, vertreten durch den Anwalt der TEXTIL-Gewerkschaft Ra. Can Özeroglu, dem Gericht vorgeführt, indem sie dem Vorwurf der Besetzung zustimmte und erklärte, dass es sich um eine Besetzung der ArbeiterInnen handle, die nichts mit der Gewerkschaft zu tun habe. Sie hat damit einen Beschluss des „ungesetzlichen Widerstands“ bewirkt. Sowohl das Protokoll, das am 6. April 2014 unterzeichnet wurde als auch die schriftlichen und mündlichen Ausssagen vor dem 6. Arbeitsgericht in Istanbul am 7. April 2014 mit Aktenzahl 2014/146E. durch den Rechtsanwalt der TEXTIL- Gewerkschaft Can Özeroglu, bereiteten den Boden für die „Operation im Morgengrauen“ am 10. April 2014, die unter Einsatz Tausender Polizeikräfte durchgeführt wurde. Die TEXTIL- Gewerkschaft ging Hand in Hand mit den Vorgesetzten von Greif und verpasste damit dem ‚revolutionäen‘ Wesen der DISK einen schwarzen Fleck.

Es ist wohl das traurigste Ereignis in ihrer 50-jährigen Geschichte, dass die TEXTIL- Gewerkschaft als Streikbrecher hervorging und mit dem Greif-Vorgesetzten kooperierte, während in der Hadimköy Fabrik Hunderte Leiharbeiter und Fixangestellte einen großen Widerstand für das Gewerkschaftsrecht an den Tag legten. Wir möchten auch fragen, ob das der Grund ist, weshalb sie in Istanbul in keiner anderen Fabrik organisiert ist, als bei Greif?

 CHD hat die Greif-ArbeiterInnen nicht allein gelassen

Die Vereinigung Progressiver JuristInnnen stand seit Beginn des Greif-Widerstands immer auf der Seite der ArbeiterInnen, auch als noch kein einziger Vorsitzender der TEXTIL- Gewerkschaft oder ein Gewerkschaftsexperte zu sehen war. Sie hat jeglichen rechtlichen Beistand geleisstet und die ArbeiterInnen informiert. Die CHD hat nach all ihren Kräften alle Widerstände in der Türkei unterstützt und wird es auch in Zukunft tun.

Bei der Polizeioperation, die am 10. April 2014, auch mit großem Beitrag der TEXTIL- Gewerkschaft durchgeführt wurde, waren nicht die Funktionäre der Gewerkschaft oder die AnwältInnen der Gewerkschaft an der Seite der ArbeiterInnen, sondern die AnwältInnen der CHD.

Es waren Dutzende CHD-AnwältInnen an der Seite der ArbeiterInnen, als ab Sonnenaufgang 91 Personen festgenommen wurden und diese in Krankenhäuser, ins Polizeipräsidium und vor Gericht gebracht wurden. Bei den ArbeiterInnen war nicht der Vorstand der TEXTIL-Gewerkschaft, der es vorgezogen hatte, während der Operation eine Versammlung abzuhalten, sondern die CHD-AnwältInnen waren dort, als die ArbeiterInnen vor der Fabrik die ganze Nacht hindurch bis zum Morgengrauen Wache hielten.

Es waren CHD-AnwältInnen da, um die ArbeiterInnen in allen Angelegenheiten zu unterstützen. Sie haben auf die 12 ArbeiterInnen gewartet, die bis 2.00 Uhr nachts auf dem Dach der Greif-Fabrik vor Kälte zu erfrieren drohten und trotz Regen und eisiger Kälte mit ihrer Würde und für ihre Arbeit Widerstand leisteten.

Letztendlich hat der Greif Widerstand gesiegt, auch wenn die eigene Gewerkschaft jeglichen Versuch unternommen hat,um sie anzuschwärzen und zu ignorieren. Ihr Name ist mit Wut, Kampf und Würde in die Geschichte des Klassenkampfes eingegangen.

Diese große Erfahrung hat den Widerstand der MitarbeiterInnen der Karsi Gazete (Gegenzeitung), den Yatagan- ArbeiterInnen, den Celikler Seyitömer Elektrik-ArbeiterInnen in Kütahya mit Hoffnung erfüllt und sie wird es auch weiterhin tun.

Alle ArbeiterInnen des Greif-Widerstands wurden unter Vertrag gestellt. Und wenn auch noch der Kollektivvertrag unterzeichnet worden wäre, dann hätte dies den Klassenkampf immens beschleunigt, die Kraft aus der Produktion wäre den Bossen auf eweig im Gedächtnis geblieben, das Leihfirmensystem wäre, wenn auch nur auf regionaler Ebene, in den Boden gestampft worden, es wäre ein Sieg der Gewerkschaften, ein Sieg der ArbeiterInnenklasse. Die TEXTIL- Gewerkschaft hat das nicht zugelassen. Jene, die heute noch in der Gewerkschaftsführung bleiben können, sind mit ihrem Verrat in diesem Widerstand in die Geschichte eingegangen.

Als TEXTIL- Gewerkschaft habt ihr sowohl eurer eigenen Geschichte, als auch der Geschichte der DISK den Rücken gekehrt, ihr habt euer Organisationsbewusstsein verloren, ebenso wie euer Wesen.

Als Vereinigung Progressiver JuristInnen, möchten wir festhalten, das wir den gerechten und legitimen Kampf der Greif-ArbeiterInnen weiterhin mit all unserer Kraft unterstützen, den Kampf für die Rechte des Volkes, den wir seit 40 Jahren ohne Unterbrechung führen als „revolutionäre AnwältInnen“ fortsetzen werden. Wir grüßen die beispielhaften ArbeiterInnen des Greif-Widerstands, der jetzt bereits in die Geschichte eingegangen ist und die Hunderten ArbeiterInnen, die ihnen vertraut, an sie geglaubt und Schulter an Schulter für ihre Rechte gekämpft haben. Und wir laden alle Kreise ein, die auf der Seite der Arbeit stehen, sich noch aktiver mit diesem Widerstand zu solidarisieren.

Hochachtungvoll

ÇAĞDAŞ HUKUKÇULAR DERNEĞİ – VEREINIGUNG PROGRESSIVER JURIST/INNEN

ZWEIGSTELLE ISTANBUL