K.Fischbacher: Gelingt auf dem Alter Summit Firenze 10+10 der nächste Schritt?

Wir fuhren zur „Joint Social Conference“ in Mailand, die vom 14. – 16. September für die Vorbereitung der großen Veranstaltung „Firenze 10+10“ im November stattfand. Resümierend gleich vorweg begrüßte ich den Beschluss, dass es in Florenz nur mehr fünf zentrale Themenblöcke geben wird.*) Und zweitens sprachen sich in Mailand mehrere Stimmen dafür aus, dass diese Themen für mehr Demokratie, Arbeits- und Sozialrechte, Natur und Soziale Commons, gegen die Schuldenpolitik und Kriege teilweise auch auf öffentlichen Plätzen diskutiert und präsentiert werden sollen.

Ich kam zur Mailander Konferenz mit zwei Hauptanliegen: Erstens, dass 2012 nach fünf Krisenjahren und etlichen relativ wirkungslosen 24 – 48 stündigen Generalstreiks in Europa – zumindest konzeptionell – der Widerstand auf eine neue Ebene gehoben werden müsse! Das zentrale Ziel sei der unbefristete Generalstreik in einem Land oder mehreren Ländern. 2012 gewann ich endgültig den Eindruck, dass die „großen“ EGB-Gewerkschaften im fünften Jahr der größten Krise seit 1929 schändlich versagt haben! Gemeinsam mit einigen linken (anti-business) Gewerkschaften und europäischen antikapitalistischen Linken sollte die „Joint Social Conference“  ein basisnahes Aktionsprogramm in Richtung eines sozialen, ökologischen und antikapitalistischen Europas entwickeln. Ein italienischer Aktivist bekam nicht nur durch mich sondern auch durch ein Gros im Plenarsaal am zweiten Konferentag in Mailand großen Applaus, als er die Abgehobenheit der Konferenzpolitik kritisierte und seine Auffassung eines lebendigen Aktionsprogrammes darstellte. Konzentriert auf die  lohnarbeitenden und verarmten Bevölkerungsmassen gelte es ein (bedingungsloses) Grundeinkommen, einen (lebenswerten) Mindestlohn und eine maximale (feste) Arbeitszeit zu fordern. Das könnte in der Tat der Anfang für die Linke und fortschrittliche Kräfte sein, die noch stark von den „Massen“ isoliert sind. Ich dachte gleich an Euro 1.500.- Grundeinkommen, Euro 2.000.- Mindestlohn und eine 30-Stundenwoche, was natürlich weiter umschrieben werden müsste durch eine direkt proportionale Angleichung der Löhne/Gehälter an die Inflation und durch ein progressives Steuersystem, das alle MillionärInnen und noch Reichere immer höher besteuert. Dieses linksreformistische Aktionsprogramm ist natürlich in Zeiten wie diesen ein „Maximalprogramm“, das die ganze Kapital- und Staatsmacht samt gewerkschaftsbürokratischem Widerstand herausfordert. So wie ich in der Grunderklärung für Mailand schon anmerkte, „muss dabei allerdings klar sein, dass nur mit einem Aufschwung der Rebellion in breiten Arbeiterinnen- und Volksmassen in einzelnen Ländern bzw. länderübergreifend Ziele eines solchen Aktionsprogrammes wie unbefristete Generalstreiks durchgesetzt werden können. Wir sind überzeugt, dass der unbefristete Generalstreik jene Macht entwickeln könnte, den Krieg des Kapitals gegen das Gros der europäischen Bevölkerung zu stoppen und Grundlagen für ein neues soziales Europa zu schaffen. Auf eine solche Umsturzsituation müssen linke GewerkschafterInnen und die antikapitalistische Linke vorbereitet sein! Gehen wir es an …“ (http://www.labournetaustria.at/labournet-austria-12-9-12-fur-eine-joint-social-confence-in-athen-2013-gegen-die-austerity-politik-und-fur-solidaritat-mit-dem-griechischen-widerstand/ )

Mein zweiter Schwerpunkt in Mailand betraf die heutige absolute Notwendigkeit, aktive Solidariät mit dem griechischen Widerstand! Nicht nur, weil eine Niederlage des griechischen Widerstandes unmittelbare negative Folgen für ganz  Europa und dessen noch bestehende soziale Errungenschaften bedeuten würde. Griechenland ist das „Versuchskaninchen“ der EU-Troika und des Großkapitals, in dem eine „linksradikale“ Partei bei den letzten Wahlen fast stäkste Kraft geworden wäre. Und dass bei ihrem Versagen, dies einen ungeheuren Aufschwung des Faschismus in Griechenland und damit auch in Europa nach sich ziehen würde!

Und so fand ich es in Mailand als ziemlich enttäuschend, dass die griechischen Anliegen und kritische antikapitalistische Beiträge weitgehend ignoriert wurden. Es durften zwar fast alle, die es wollten, reden, doch ins Forderungsprotokoll wurden nur die dem Podium politisch genehmen politischen und organisatorisch-technischen Meinungen aufgenommen. Auf einem Notebook mitgetippt konnte mensch auf einem großen Screen vorne sozusagen mitverfolgen, wer im Saale dem Podiums-Mainstream entsprach bzw. wer in dieser Führungsgruppe wichtig war. Zum Beispiel wurden die Meinungen griechischer GenossInnen völlig ignoriert, dass die Selbsthilfegruppen in Gesundheitszentren und Sozialeinrichtungen in den Großstädten Griechenlands als Vorbildmodell in ganz Kriseneuropa vorgeschlagen werden sollten; eine griechische linke Genossin, die am ersten Konferenztag ein Konferenzpapier kritisierte, hatte sich dann den ganzen Nachmittag umsonst zu Wort gemeldet und fragte uns nachher, wozu sie eigentlich die lange Reise nach Mailand unternommen habe.

Mein Diskussionsbeitrag darüber, dass die Joint Social Conference zur Kenntnis nehmen sollte, dass der Europäische Gewerkschaftsbund nach fünf Krisenjahren völlig versagt habe und antikapitalistische Kräfte wie die Europäische Antikapitalistische Linke einladen sollte und dass die Solidarität mit dem griechischen Widerstand ganz zentral sei, wurde später vom Podium lapidar damit abgetan, dass Einheit und nicht Differenzen auf der Tagesordnung stünden. Diese Haltung, dass die „Einheit“ absolutes Vorrecht hat, zog das Podium vor allem am ersten Konferenztag durch und alle Kritik, Differenzen und neuen Vorschäge wurden wie Luft behandelt. Mich wunderte das jedenfalls, weil sowohl in der Einladung als auch in den workshops am zweiten Tag die Mailänder Führungsgruppe das große Bedürfnis für Firenze 10+10 formulierte, neue aktive Kräfte zu gewinnen …

Ich war auch von den anwesenden linken Gewerkschaftern von den COBAS, der CGIL, den CCOO und der SUD politisch enttäuscht. Von der SUD wusste ich schon früher, dass sie in keiner Weise eine linke Oppositionsströmung im EGB aufbauen wollen. CGIL und CCOO sind ohnehin Mitgliedsgewerkschaften im EGB. In Mailand hörte ich, dass sie „die Gewerkschaften“ wieder zurück zur Firenze 10+10-Konferenz bringen wollen. Im workshop „Labour und soziale Rechte“, an dem ich teilgenommen hatte, in dem auch eine EGB-Vertreterin mitarbeitete, war schließlich ein Gros zum Schluss sehr darum bemüht, eine Resolution an die EU-Kommission zu verfassen, die 2014, wie Barroso es formulierte, eine große EU-Reform, inklusive Sozialem, beraten will. Ich erinnerte dann die TeilnehmerInnen umsonst daran, dass z.B. in Österreich die wesentliche Sozialgesetzgebung, die es bis heute in Resten noch immer gibt, 1918/19 geschaffen wurde. Kapital und Grundbesitz und ihre Christlich-Soziale Partei waren durch die österreichischen, ungarischen und bayrischen Revolutionsversuche derart geängstig, die politische Macht zu verlieren, falls sie die neue Sozialgesetzgebung boykottieren würden. Warum sollte also die EU-Kommission heute einem sozialen Europa zustimmen?

Ich komme also immer mehr auch von meinen eigenen Überlegungen ab, dass mit NGOs und „linken“ Gewerkschaften wirklich Schritte in Richtung eines antikapitalistischen Europa gegangen werden können. Einen Elan, dass 2012 ein qualitativer Schritt vorwärts im Kampf gegen die kapitalistische Offensive Not tut, spürte ich auch in Mailand nicht!

Was ist also von „Firenze 10+10“ zu erwarten?  Ich gehe, eigentlich ganz „Firenze 10+10“-konform davon aus, dass es in Florenz nur vorwärts gehen könnte, wenn neue aktive Kräfte dazustoßen – wie die FIAT-ArbeiteraktivistInnen, die zur Zeit im scharfen Konflikt mit dem Management stehen, AktivistInnen aus (ehemals) besetzten Betrieben, radikale (anti-business) Betriebs- und GewerkschaftsaktivistInnen, antikapitalistische Linke usw. Gelingt auf dem  Alter Summit Firenze 10+10 der nächste Schritt?

Wien, 26.9.2012

Karl Fischbacher (www.labournetaustria.at )

 

*) Conclusions der „Joint Scial Conference“-Vorbereitungssitzung in Mailand:

Firenze10+10 will be held on 8-11 Nov unlike ESF, i.e. not speaking about what is wrong but seeking for alternative future (“+10”). Main organizers: Jason Nardi info@firenze1010.eu

3.000 – 10.000 pax are expected. No pax fee but SOLIDARITY CONTRIBUTION 20 EUR/pax (min.). There will be waivers for those unable to pay (as is the majority of CEE).

6 big halls (1.000 pax each), 30 seminar rooms (80-250 pax) and 50 workshop rooms (max. 50 pax each) will be available AGAINST PAYMENT per hour (350, 200 and 50 EUR resp.).

All will be published on the website www.firenze1010.eu

Time management:

The first two days will be organized by networks (as ours), on the third day there will be 5 gatherings (one after another, NOT parallel!) with only 1 key speaker for each, then directly an action oriented debate (one hour long), thematically as follows:

1. Democracy

2. Labour and Social Rights

3. Natural and Social Commons

4. Finance and Debt

5. Wars/Conflicts