K.Fischbacher: Die europäische Gewerkschaftslinke (Österreichbeitrag)

Aus dem Buch

Die Europäische Gewerkschaftlinke

Organisierung – Kämpfe – Perspektiven+

Umfangreiche Interviews mit Gewerkschaftslinken aus:
Großbritannien, Griechenland, Deutschland, Frankreich, Österreich, Dänemark, Spanien, Holland, Italien
ca 80 Seiten, Preis 3 Euro + Porto,
Bestellungen an Email: Gewerkschaftsforum-h@web.de
 
Österreich:

Interview mit Karl Fischbacher

Um Dich kurz vorzustellen, Du heißt Karl Fischbacher (Email: k.paw.fischbacher@utanet.at) und bist seit langem aktiver Gewerkschafter, unter anderem Personalvertreter im ÖD. Außerdem bist du Redaktionsvorsitzender von Labournet Austria durch diesen Kontakt und eine Zusammenarbeit kennen wir Dich auch. Unsere Fragen hast Du im Labournet zur Diskussion gestellt.

Ja, Ich entwarf eine kritische Zusammenfassung über den Österreichischen Gewerkschaftsbund, die ich im Labournet zur Diskussion gestellt habe
( http://www.labournetaustria.at ). Das ist die Grundlage des Interviews, zusätzlich einbezogen sind einige Artikel von mir.   Ich bin 52 Jahre alt und seit 18 Jahren aktiv in der Gewerkschaft. LabourNet-Austria ist die österreichische Abteilung internationaler LabourNets in den USA, Kanada, Großbritannien, Südkorea, Japan, Deutschland und Spanien. Unser Hauptanliegen ist es, dass sich Aktivisten/innen der Arbeiter/innen-, Gewerkschafts- und Befreiungsbewegungen weltweit und überparteilich gegen die neoliberal-kapitalistische Globaloffensive vernetzen. Dazu muss die ArbeiterInnenbewegung unbedingt mehr und mehr auch das Internet benützen. In unseren pages bieten wir Infos und(!) Diskussionsmöglichkeiten an. Außerdem bin ich noch Personalvertreter im Wiener LehrerInnenbereich auf einer eher linken Oppositionsliste in Personalvertretung und Gewerkschaft mit viel Bezirksautonomie. Zur Zeit arbeite ich wieder einmal in einer linken Betriebsratsinitiative mit, die sich den Aufbau einer linken Opposition im ÖGB zum Ziel gestellt hat.

Kannst Du uns erst einmal etwas zur Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung sagen?

Gut, ich fange mit dem Ende des zweiten Weltkrieges an.

GewerkschafterInnen von SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs), ÖVP (ehem. Christlichsoziale) und KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs) gründeten am 15.4.1945 einsam von oben den ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund). Um die Tragödie der zerstrittenen Richtungsgewerkschaften der 1. Republik zu überwinden, wurde damit ein Dachverband geschaffen, in dem Fachgewerkschaften im Rahmen eines ÖGB-Statuts begrenzte Autonomie wie etwa die Kollektivvertragsverhandlungsführung, Rechtsschutz, Schulung u.a.m. – aber keine rechtliche Selbstständigkeit – besitzen. Von oben gegründet, baute die ÖGB-Führung auch keine eigenen gewerkschaftlichen Strukturen in den Betrieben auf, sondern stützte sich auf das nach 1945 wieder hergestellte Betriebsrätewesen, das eine staatliche gesetzliche Einrichtung ist. Der ÖGB hingegen ist eigentlich bloß ein angemeldeter Verein. Doch über seine Fraktionen hinaus war es stets ein zentrales Anliegen des ÖGB, sich auf die BetriebsrätInnen zu stützen. Der ÖGB ist auch die einzige Organisation, die die BetriebsrätInnen überbetrieblich organisiert (Bezirkskonferenzen, Schulungen, Betriebsrätekonferenzen).

Kannst Du, bevor wir zur Gewerkschaftsstruktur kommen, vorab erst mal etwas zu der Entwicklung der Bewegung sagen?

Ja, dabei sollte ich vielleicht noch etwas zu einigen Aspekten des geschichtlichen Hintergrundes sagen:

Vor dem Hintergrund der Schwäche bzw. Diskreditiertheit des österreichischen Kapitals durch den Faschismus waren SPÖ und ÖVP bestrebt, den sowjetrussischen Zugriff auf Österreichs Industrie zurückzudrängen und verstaatlichten dazu fast die gesamte österreichische Metall- und Elektroindustrie. Diese „Verstaatlichte“ und die darin installierte „innerbetriebliche Mitbestimmung“ wurden Kernstück der Sozialpartnerschaft, die Österreich bis in die 90er-Jahre politisch auch überbetrieblich beherrschte: ÖGB und Arbeiterkammern, von der Sozialdemokratie dominiert, auf der einen Seite und ÖVP-dominierte Wirtschafts-, Handelskammern und Industriellenvereinigung auf der anderen Seite bestimmten de facto abseits vom Parlament die Sozialgesetzgebung und teilweise auch die Wirtschaftspolitik. Den Ministersessel des Sozialministeriums beanspruchte der ÖGB bis 2000 erfolgreich. Der relative Machteinfluss des ÖGB in diesen Jahrzehnten beinhaltete natürlich nicht bloß die bereits genannte undemokratische Politik innerhalb der Gewerkschaftsorganisationen, sondern auch eine staatserhaltende Sozialpartnerschaftspolitik. Deren krassester Ausdruck war die Diskriminierung der Arbeiterfrauen und allen voran der MigrationsarbeiterInnen. Hauptnutznießer dieser ÖGB-Politik waren Jahrzehnte lang Männerhierarchien in den Betrieben/Betriebsräten und(!) im ÖGB mit einer Politik rassistischer „Ausländergesetze“ im Arbeits- und Sozialrecht und Ignoranz frauenspezifischer Gewerkschaftspolitik.

Dennoch gab es ganz am Anfang , in den 50er Jahren, einen bedeutenden Streik in Österreich?

Das stimmt. Es gab den ersten und letzten großen Streik in Österreich im Jahre 1950

Ein wichtiger Bereich der Sozialpartnerschaft sind ja bis heute die jährlichen Lohn- und Kollektivvertragsabkommen, die 1950 beim 4. Lohn-Preis-Abkommen zur größten Streikbewegung in Österreich seit 1945 (bis heute!) geführt hatten. Währungsreform und Inflation machten diesen Verhandlungsabschluss erneut zu einem klaren Lohnraubabkommen. Hunderttausende ArbeiterInnen waren im Streik, in einem sowjetisch-westlich gespaltenen Österreich, mit einer SPÖ und ÖGB-Spitze des Marshallplans, die mit Polizei und Knüppelgarden gegen die Streikenden vorgingen und schließlich mit einer KPÖ, die im Dienste Moskaus bereits nach zwei Streiktagen den Septemberstreik wieder abbrach. Die von ihr organisierte und vom ÖGB unabhängige Betriebsrätekonferenz und der dort beschlossene Oktoberstreik waren so schon von vornherein eine verlorene Sache.

Seitdem sind Generationen ins Leben getreten, die im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern keinerlei Klassenkampferfahrung sammeln konnten. Dem entsprechend grundelt die Linke zersplittert und gesellschaftlich irrelevant herum. Die linke und grüne Gewerkschaftsopposition im ÖGB wiederum fährt auf der illusionären politischen Linie, mit “unabhängiger” und taktischer Politik im ÖGB die Gewerkschaftsbürokratie zu kämpferischer Politik animieren zu wollen.

Kannst Du darüber noch etwas mehr sagen, das scheint ja ein einschneidender Moment gewesen zu sein, gerade auch für die Perspektiven der Linken?

Die zentrale Erfahrung von 1950 zeigt, dass sich zwar die radikale Polarisierung bis tief in die Reihen der sozialdemokratischen Betriebsräte erstreckte, sich aber die SPÖ-Spitzen in Partei und Gewerkschaft angesichts einer wirklich unabhängigen Arbeiterbewegung offen in die Arme des “demokratischen” Kapitalismus / US-KaltenKrieg-Imperialismus warfen!

Die Sozialdemokratie der 2. Republik hatte den Sprung von der kommunalen – „austromarxistischen“ – Verbundenheit mit dem Kapitalismus (in der 1. Republik) zur Verfilzung auf höchster Ebene in Regierung und Wirtschaft vollführt. In der neuen internationalen Konstellation nach dem 2. Weltkrieg wuchs sie so zum Agenten des alliierten-, vor allem also des US-Imperialismus im besetzten Österreich heran. Der Ausbruch des Kalten Krieges ab 1947/48 trieb sie noch schneller auf einen harten Kurs für kapitalistischen Aufbau und Marshall-Plan. Und 1948 war auch die letzte innerparteiliche-linksreformistische SPÖ-Opposition niedergewalzt worden.

Wie kam es dann zum Streik?

1948 begann das wieder erstarkte Kapital eine ökonomische Offensive. Mit einer Währungsreform, mit Inflation und Lohnraub vollzog sich eine verschärfte Umverteilung auf Kosten der arbeitenden Massen, die bis 1950 auch mit 3 Lohn-Preis-Abkommen durch SPÖ-Unterstützung in Regierung und ÖGB abgesichert werden sollte. Die riesige Kluft, die jedes Mal zwischen den Löhnen und den Preiserhöhungen entstand, verlieh den Arbeiterprotesten, die ab 1947/48 an Größe und Intensität zunahmen, eine besondere Brisanz. Das trieb die ArbeiterInnen zum Streik.

Der Hauptinitiator der Streiks wurde in dieser Situation notgedrungen die KPÖ. Ihren Funktionären gelang es besonders in den östlichen Wiener Bezirken und in Niederösterreich – wo sie unter dem Schutz der USIA-Betriebe (Betriebe, die von der sowjetischen Besatzungsmacht kontrolliert wurden) und der Roten Armee agieren konnten – an die Spitze der Bewegung, zu gelangen. So riefen die Kommunisten zu einer breiten Demonstration zum Bundeskanzleramt in Wien auf. Rund 10 000 Arbeiterlnnen strömten zum Ballhausplatz. Die sich ihnen in den Weg stellenden Polizisten wurden von Arbeitergruppen in die Flucht geschlagen.

Die KPÖ hatte sich in der Agitation für die Demonstration allerdings bloß auf ihre betrieblichen Kontakte und auf mündliche Propaganda beschränkt. Weder in Flugblättern noch in der ‚Volksstimme‘ wurde die Demonstration angekündigt. Hier kommt ein bezeichnender Zug zum Vorschein, der sich bereits am 2. Streiktag (26.9.) zum offenen Streikbruch auswuchs: Unmittelbar nach einem Beschluss der KPÖ-Führung würgten die Kommunisten in Niederösterreich den Streik ab!

Hinter der beachtlichen Inkonsequenz, mit der die KPÖ in der Folge den Streik abbrach, sollte jedoch nicht das System dieser Niederlagenpolitik übersehen werden. Zum einen lag die Kapitulation der KPÖ an deren Hörigkeit von Stalins Moskau, das 1950 in Mitteleuropa an keiner Konfrontation mit den Westmächten interessiert war und den österreichischen KommunistInnen ausrichten ließ, dass die Sovjetbehörden keine Produktionsunterbrechungen in den USIA-Betrieben wünschten. Zum anderen lag der überschnelle Streikabbruch im Österreichpatriotismus der Stalinisten begründet, der die KPÖ schon ab 1934/35 offen das Bündnis mit den „anständigen“ Teilen der österreichischen Bourgeoisie (gegen den Austrofaschismus) suchen hat lassen – und mit dem sie ab 1945 in und außerhalb der Regierung das ‚unabhängige‘ Österreich mit aufbaute.

Zuerst kämpfte die KPÖ daher stur ökonomistisch gegen die ‚Ungerechtigkeiten‘ des Lohn-Preis-Paktes: Nur von dieser eher moralischen Warte aus kritisierte die KPÖ die Allianz von Bourgeoisie und Rechtssozialdemokratie; niemals aber, daß sich das Kapital gerade auf der Grundlage der bürgerlichen Demokratie, die die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse unangetastet ließ, nach 1945 wieder erholen hatte können.

Am deutlichsten kann für diese entscheidende Phase des 50erStreiks gesagt werden, daß die Arbeiterklasse ihr Bestes dazu beigetragen hatte, den Streik zum Siege zu führen. Rund eine viertel Million war im Ausstand, an die 40% der österreichischen Industriearbeiterschaft streikte. Doch der großartige Spontaneismus der Massen benötigte gerade im Österreich der Schärf (rechtssozialdemokratischer SPÖ-Vorsitzender) und Böhm (ÖGB-Präsident) – um wirklich siegen zu können – eine bewusste Vorhut, die den Arbeiterkampf zur konsequenten Klassenaktion weiterführte. Meiner Meinung nach wäre das Gebot der Stunde um den 26.9. für die fortgeschrittenen Teile der Klasse die Losung und der unbedingte Wille zum unbefristeten Streik gewesen – verbunden mit der Ausrichtung auf nationale Delegiertenkonferenzen, gestellt von im Streik gewählten Streikkomitees und Betriebsräten, die den Generalstreik in ganz Osterreich vorbereiten sollten.

Eine solche Politik hätte zweifellos die Polarisierung in der sozialdemokratischen Arbeiter- und Betriebsräteschaft (und ebenso unter den Kommunisten) vorangetrieben, hätte die ‚Spreu‘ vom ‚Weizen‘ unter ihnen sehr schnell getrennt – und nicht erst in der Phase des Niedergangs im Oktober. Eine konsequente Minderheit der Klasse hätte so unter Umständen im Verlauf des Septemberstreiks wesentliche Teile der sozialdemokratischen Basis gewinnen können.

Das heißt, der Streik brach zusammen?

Es kostete den KP-Funktionären einige Mühe, den Streik gegen den erbitterten Widerstand etlicher Fabrikbelegschaften tatsächlich abzubrechen.

Die endgültige „Unterbrechung“ des Septemberstreiks (um den 28.9.) bedeutete in der Tat den Anfang des Endes der Streikbewegung überhaupt. Ende September 1950 vermischten sich die Beschwichtigungsparolen der KPÖ immer mehr mit der Propaganda- und Repressionswalze der SPÖ-Bürokratie und des Staates. Diese kam jetzt im Niedergang des Streiks erst so richtig in Gang. Die Politik der KPÖ hatte es der Reaktion und der Rechtssozialdemokratie ermöglicht, die Initiative wieder an sich zu reißen.

So wurde der entscheidende politische Schritt vorwärts von den ArbeiterInnen nicht getan: Karl Marx hat geschrieben: „Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter.“ Das eigentliche Resultat des 50er Streiks hätten trotz der Niederlage Strukturen einer Gewerkschaftsopposition für Klassenkampf, Unabhängigkeit von der kapitalistischen ‚Demokratie‘ und für volle Gewerkschaftsdemokratie sein müssen – und können! Die KPÖ war unfähig dazu.

Gab es keinerlei andere linke Kräfte in dieser Zeit?

Die Trotzkisten (IKÖ) – ab 1949 gespalten in Vertreter des Voll- bzw. Teileintritts in die SPÖ – ritten einen besonders hasserfüllten Kurs gegen die KPÖ, was auf der anderen Seite einem ungeheuren Opportunismus gegenüber der Sozialdemokratie entsprach. Der sozialdemokratische Zug der ‚trotzkistischen‘ Politik wurde überdeutlich als sie schließlich im Oktoberstreik die österreichische Polizei gegen die „russische Besatzungsmacht“ im Namen der „Freiheiten der bürgerlichen Demokratie“ verteidigten. Bei aller Berücksichtigung und Kritik an der Unterdrückerfunktion der Roten Armee gegen jede wirklich unabhängige Arbeiteraktion (und auch gegen die Trotzkisten!) hätte eine revolutionäre Politik 1950 noch streikwillige ArbeiterInnen gegen die rechtssozialdemokratischen Schlägergarden mit verteidigen müssen. Und in diesem Sinne hätten revolutionäre Linke auch nichts dagegen gehabt, wenn sowjetische Truppenabteilungen diese Schlägergarden oder die österreichische Exekutive aus Stadt- und Fabriksvierteln vertrieben haben.

Was, denkst Du, hätte es für Alternativen gegeben?

Ein geordneter Rückzugskampf für realistische Ziele, etwa um Lohnerhöhungen, hätte die Niederlage mildern können.

Die SPÖ- und ÖGB-Spitze war 1950 auch gegenüber einer breiten Massenbewegung der österreichischen Arbeiterschaft starr reaktionär geblieben. In der Partei, Gewerkschaft und unter den sozialdemokratischen Betriebsräten hatte es jedoch tiefe Einschnitte gegeben. Dies hätte trotz der Streikniederlage Ausgangspunkt für eine längerfristige Stärkung der klassenkämpferischen und revolutionären Kräfte sein können. Daß es dazu nicht kam, daß die Demoralisierung der österreichischen Arbeiterschaft nach 1950 derart tief ging, ist nicht zuletzt auch auf die Politik von KPÖ und der ‚Trotzkisten‘ zurückzuführen.

Wie verlief die Entwicklung in den folgenden Jahren?

Wir steuerten direkt auf die zweite tiefe Niederlage der österreichischen Arbeiterklasse hin.

Mitte der 50er Jahre hatte der Nachkriegsboom auch Österreich mit „Vollbeschäftigung“ und erdrückendem ÖVP-SPÖ-Proporz in Staat und Gewerkschaft erfasst. Ab den 70er und 80er Jahren erhielten Boom und Proporz die ersten Risse. Es waren jedoch die SPÖ-ÖVP-Regierungen, die unter dem Eindruck von Stahlkrise, Verstaatlichten-„Skandalen“ und unter starkem Druck von ÖVP und Kapital die Verstaatlichte zerschlugen (die Elektroindustrie war inzwischen von der SPÖ dem deutschen – Siemens – Kapital ausgehändigt worden!) Zuerst wurden die verstaatlichten Konzerne in einer neuen Regierungs-Holding filetiert, um sie in der Folge Stück für Stück zu privatisieren und letztlich an die Börse zu bringen. Der ÖGB gab mit der Zerschlagung der verstaatlichen Unternehmen seine dortigen zentralen „Mitbestimmungspositionen“ auf. Viele Tausend Arbeitsplätze gingen verloren, essenzielle Sozialleistungen wurden abgebaut und etliche Linke glaubten damals, dass der Gewerkschaftsbund gegen die neoliberal kapitalistische Offensive mobilisieren würde. Eine Illusion! Die verstaatlichte Industrie wurde teils sogar mit Hilfe des ÖGB zerschlagen, denn in der Sozialpartnerschaft behielt der ÖGB noch seine Positionen und … den Sozialminister. Trotzdem: Nach 1950 war die Zerschlagung der Verstaatlichten die zweite schwere Niederlage der österreichischen ArbeiterInnenbewegung, was bis heute deren anhaltende Passivität miterklärt.

Hat sich diese Richtung der ÖGB Politik bis heute fortgesetzt?

Der Siegeszug des Neoliberalismus und des EU-Sozialabbaus wurde in Österreich von SPÖ und ÖGB-Spitze bis 2000 im wesentlichen mitgetragen. Die neue ÖVP-FPÖ-Koalition setzte dann die Sozialstaatsabbau- und Privatisierungspolitik im Öffentlichen Dienst, in ehemals verstaatlichten Industriesektoren, Energie und bei Post und Eisenbahn lediglich fort. In den Fragen der Sozialpartnerschaft ging sie aber einen Schritt weiter und stellte neben der Abschaffung des Sozialministeriums und der Säuberung der Sozialdemokraten aus den Sozialversicherungsvorständen auch das volle Kollektivverhandlungsrecht des ÖGB in Frage. Unter der ersten konservativ-rechtspopulistischen Regierung begnügte sich der ÖGB lediglich mit Betriebsräteversammlungen (die mehr Fernseh-Shows glichen) oder einer „Urabstimmung“, die keinerlei kämpferische Konsequenz aufwies.

„Der ÖGB bekannte sich grundsätzlich zur Budgetkonsolidierung, weil damit der Spielraum für wirtschaftlich schlechtere Zeiten geschaffen werden sollte.“ (ÖGB-Tätigkeitsbericht 1995 – 1998). Diesem grundsätzlichen ÖGB-Motto der Verteidigung des österreichischen Wirtschaftsstandortes (sprich der internationalen Konkurrenzfähigkeit des Kapitals in Österreich verpflichtet) forcierte die ÖGB-Führung ihre Anbiederung an Wirtschaftskammer und Kapital als Konterpart zu Schwarz-Blau (ÖVP-FPÖ) in der Regierung. Der ÖGB stellt heute also eine Politik in den Vordergrund, die versucht, gemeinsam mit dem kleineren österreichischen Kapital gegen den Neoliberalismus des „Turbokapitalismus“ zu agieren. Der weitere Abbau des Sozialstaats und Lohndisziplin für Österreichs „Wirtschaft“ wird von der ÖGB-Führung nicht in Frage gestellt, nur ausgeglichener und sozialer sollte diese „Konsolidierung“ halt vor sich gehen. Dabei wird der Anachronismus des bürgerlichen Steuersystems für die Arbeiterklasse mit Lohnsteuer- und Konsumsteuernpriorität einerseits und sich gegen Null bewegenden Kapitalsteuern andererseits in keiner Weise in Frage gestellt. Hin und wieder aufflackernde sozialdemokratische Phrasen von „Wertschöpfungsabgaben“ u.ä. verschwinden zu Zeiten von Profitschwächen des österreichischen Kapitals genauso wieder wie ÖGB-Androhungen von „gewerkschaftlichen Maßnahmen“.

Doch der europäische „Turbokapitalismus“ muss Anfang des 21. Jahrhunderts zur Aufrechterhaltung seiner Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt das Tempo des sozialstaatlichen Abbaus und Lohndumpings rasant erhöhen, was auch Schwarz-Blau II 2003 mit überfallsartigen „Pensionssicherungsreformen“ im Interesse der Versicherungskonzerne, neuer Selbstbeteiligung der PatientInnen im Gesundheitswesen u.a.m. angingen. Angst und Empörung erfasste die Arbeiterklasse und die Bevölkerung bis tief in jene Mittelschichten, die gerade noch bei den letzten Parlamentswahlen mit großen Mehrheiten wieder die konservative ÖVP als Faktor der satten Sicherheit gewählt hatten!

Diese breite (klein-)bürgerliche Ablehnung der „Speed-kills“-Reformen des neoliberalen Flügels der ÖVP war der Hintergrund der neuen Mobilisierungspolitik des ÖGB, der schließlich im Mai 2003 sogar zwei Teilstreiktage (mit rund 1 Million TeilnehmerInnen) und eine Großdemo (mit 200.000 TeilnehmerInnen) kämpfen ließ. Der ÖGB will eine „sozialpartnerschaftliche“ Pensions- und Sozialstaatsreform, was letztlich auch seinen Aktionsrahmen absteckt: Von Generalstreik will ÖGB-Chef Verzetnitsch nicht reden (nur, „falls der Parlamentarismus bedroht wäre …“). Für die Wirtschaftskammer, Hauptsozialpartner des ÖGB, wurde ja bereits genug gestreikt und die ÖGB-Spitze wird sich im Großen und Ganzen daran halten! Im Juni brach schließlich die ÖGB-Führung jede Streikperspektive ab und beteiligt sich, so als hätte es vorher keinerlei antigewerkschaftliche Vollprovokation der Regierung gegeben, am nächsten Verhandlungstisch mit Ministern und Kapitalistenvertetern: über die „Steuerharmonisierung“, sprich den nächsten tiefen Einschnitt des Pensionsabbaus für die lohnabhängige Bevölkerung. Ein Ergebnis dieses de facto Streikbruchs des ÖGB ist es jedoch, dass sich nun wieder mehr und mehr ArbeiterInnen und BetriebsrätInnen kritischer zur Gewerkschaftsspitze weiter radikalisieren.

Wir haben heute (Ende August 2003) ohne Zweifel eine Situation, wo für linke Gewerkschaftspolitik die Chancen wieder steigen, einen Schulterschluss mit unzufriedenen und kämpferischen FSG-, grünen, vielleicht auch christlichen und den vielen fraktionslosen Arbeiter- und GewerkschaftsaktivistInnen zu schließen.

Fazit

Wir haben es eben mit einer Gewerkschaftshierarchie (noch unter einem Dachverband) zu tun, die historisch von der Sozialpartnerschaft beseelt ist und nun im Kapitalismus der globalen Konzerne und des Finanzkapitals umso verbissener ihren Platz am Verhandlungstisch mit dem Kapital zu halten sucht. Nur so vermag sie sich Einfluss und Privilegien zu sichern. Jede unabhängige ArbeiterInnenmobilisierung bedroht diese Verhandlungsposition! Tiefe ÖGB-bürokratische Feindschaft gegen alle unabhängige ArbeiterInnenbewegung ist die Folge und ihr eigenes Militanzpotenzial sieht die ÖGB-Führung in diesem kleinen Österreich für denkbar gering an. Natürlich könnte der rigide neoliberale ÖVP-Flügel seine Politik bis hin zu einer tiefen Niederlage des ÖGB durchzuziehen versuchen – offenbar heute ein prioritäres Ziel eines Flügels (Schüssel) in der ÖVP. In diesem Fall ist es vorstellbar, dass die ÖGB-Führung noch einige Streiktage anhängt. Letztlich wird der ÖGB um eine Umgruppierung an der Spitze zu radikaleren reformistischen Gewerkschaftsführerfiguren nicht herum kommen. Im „Turbokapitalismus“ wird die ArbeiterInnenbewegung allerdings schon längst an sich dazu genötigt, selbst zur Verteidigung kleiner sozialer Errungenschaften, die Freiheit des Kapitals anzutasten. Gewerkschaftspolitik, die diesen Schritt setzt, müsste mit der Sozialpartnerschafts- und kapitalistischen Reformpolitik brechen und in der Gewerkschaftsbasis einen Prozess der konsequenten Gewerkschaftsdemokratie in Gang setzen. Will der ÖGB als Machtfaktor weiter bestehen, ist somit die Formierung oppositioneller Gewerkschafts- und BetriebsrätInnengruppierungen unumgänglich, die einen solchen Prozess radikaler Umwälzung der Gewerkschaftspolitik und Organisation anzugehen hätten. Viele Jahre haben wir jedenfalls nicht mehr Zeit!

Noch einmal zurück zur organisatorischen Struktur der Gewerkschaften in Österreich. Es gibt also den Dachverband ÖGB…

Ja, der ÖGB.Es wurde zuerst ein Präsidium und dann ein Bundesvorstand gegründet, die strikt aus SPÖ-, ÖVP- und KPÖ-VertreterInnen zusammengesetzt waren. Erst nach und nach wurden die 16 Fachgewerkschaften, Landesorganisationen, Ortsgruppen usw. geschaffen, was bis heute einen stark zentralisierten ÖGB hervorgebracht hat. In der Folge kam es zur Gründung der drei Fraktionen (Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter FSG, Fraktion Christlicher Gewerkschafter, FCG und Gewerkschaftliche Einheit GE/KPÖ) Ab 1978 gab es nach einer gewerkschaftlichen Vereinigung im Gastgewerbe und Persönlichen Dienst 15 Gewerkschaften. Dabei ist bemerkenswert, dass die Privatangestellten aus den verschiedenen Industriebranchen eine eigene Gewerkschaft stellen, es in Österreich also keine Industriegewerkschaften im eigentlichen Sinne gibt. Und die Gewerkschaft der Öffentlich Bediensteten (GÖD) umfasst bloß die StaatsbeamtInnen plus LehrerInnen, PolizistInnen und Berufsmilitärs, während die Gemeindebediensteten ihre eigene Gewerkschaft besitzen (GdG). Die GÖD ist auch die einzige Fachgewerkschaft mit ÖVP-Mehrheit (Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen FCG), während alle anderen Fachgewerkschaften sozialdemokratisch beherrscht sind (FSG).

Gewählt wird im ÖGB grundsätzlich im „Wahlmännersystem“. Im Öffentlichen Dienst z.B. gab es über Jahrzehnte hinweg überhaupt keine Gewerkschaftswahlen, da die GÖD-Sektionsführungen ziemlich selbstherrlich einfach die Wahlergebnisse der Personalvertretungswahlen für die Zusammensetzung der gewerkschaftlichen Spitzengremien herangezogen haben. Im gewerkschaftlichen Wahlmännersystem wird nur bis in die Bezirks- und bestenfalls in die Fachgewerkschafts- und Landesvorstände gewählt. Die Zusammensetzung des Bundeskongresses schnapsen sich sozusagen FSG und FCG gegenseitig aus, wo auch schon längst dort „oben“ feststeht, wer im Bundesvorstand und Präsidium sitzt und wer ÖGB-Präsident wird. Ein gar nicht so bösartiger oppositioneller Spruch ist es, dass sich die ÖGB-Führung die KongressdelegiertInnen, von denen sie gewählt wird, selber aussucht …

Gab es dagegen eine Oppositionsbewegung?

Auf diese Art, wie ich sie eben geschildert habe, schmetterten FSG & FCG jahrezehntelang kleinere rechte Gewerkschaftsfraktionen (AUF – Freiheitliche Arbeitnehmer) und linke ab. Die KPÖ-Fraktion GLB (Gewerkschaftlicher Linksblock) sitzt zwar als „Gründerfraktion“ traditionell im ÖGB-Vorstand und den links-grünen Unabhängigen GewerkschafterInnen UG (kommend aus einer Abspaltung von GE/GLB 1968 u.a.) wurde schließlich ebenfalls ein Sitz in der ÖGB-Spitze zugestanden (ebenso in der GPA und GdG). In der GÖD hingegen werden die UG mit ihren rund 12 – 15 % bei Personalvertretungs- bzw. Gewerkschaftswahlen nach wie vor als Fraktion negiert.

Es gibt also den Gewerkschaftlichen Linksblock, den GLB, und die Unabhängigen Gewerkschaftler – UG – auf der gewerkschaftskritischen Seite. Kannst Du etwas zu deren Verankerung und Politik sagen?

Der GLB hat noch Betriebsratspositionen im Post-, Eisenbahn- und teils auch Metallerbereich. Abgesehen von einzelnen Betriebserfolgen grundelt der GLB bei BR-Wahlen unter 10% und hat gerade bei den letzten Wahlen wieder an Einfluss verloren. Der GLB tritt „ÖGB-kämpferisch“ auf mit der Linie, dass durch die Ereignisse und durch den linken GLB-Druck in- und außerhalb der gewerkschaftlichen Gremien ÖGB und ÖGB-Führung „aufzuwecken“ seien. International ist der GLB im neu gegründeten „Weltgewerkschaftsbund“ vertreten und schwerpunktmäßig auf die internationale militante Gewerkschaftskonferenz um die griechische P.A.M.E konzentriert.

Eine internationale Orientierung geht heutzutage der UG weitgehend ab (einige Jahre lang war ich internationaler Delegierter der Unabhängigen GewerkschafterInnen). Die UG hat ihre Hauptpositionen im Öffentlichen Dienst und hier vor allem in der Lehrerschaft und im Gesundheitswesen, verstreut auch in einzelnen Ministerien. Eine „dritte Säule“ der UG sind die Grünen „unabhängigen“ GewerkschafterInnen in der Privatangestelltengewerkschaft AUGE. AUGE und etliche UG-LehrerInnengruppierungen orientieren sich inzwischen offen an der Grünen Partei.

Eine ganz wichtige Phase für militante, parteiunabhängige Gewerkschaftspolitik ergab sich mit dem Regierungsantritt der bürgerlich-rechtspopulistischen Schwarz-Blau-Regierung 2000, die einen großen Abbauschritt im Bildungssektor mit sich brachte. Das völlige Versagen der offiziellen Gewerkschaftsführung in der GÖD (die teils offen auf Seiten der Regierung agierte) und die Laschheit der sozialdemokratischen Opposition in der GÖD hätte eine markante Profilierung der UG als authentische Gewerkschaftsopposition möglich gemacht. Indes, auch die UG kam just in dieser Zeit in eine schwere Krise, da ihre Vertreter in den Gewerkschaftsgremien mehr oder weniger offen den Gewerkschaftskurs mittrugen. Das hat der UG in den radikaleren Kreisen der LehrerInnenschaft enorm geschadet (die schließlich, mit dem Schwerpunkt in Vorarlberg, eine kleine neue „Bildungsgewerkschaft“ außerhalb des ÖGB gründeten). Die UG-Politik in den Gremien war natürlich auch ein Affront für die vielen UG-Mitglieder, die “unten” an den Schulen und auf Dienststellenversammlungen offen in Opposition gegen Regierung und Gewerkschaftsführung aufgetreten und dann von der GÖD-Führung lächerlich gemacht worden sind. Ich führte damals in der UG noch einen kurzen Kampf für eine radikale Umorientierung, fand auch kurz Mehrheiten dafür, wurde dann aber unter dem Druck der Gewerkschaftsbürokratie von der UG-Führung(!) im Pflichtschulbereich sehr rasch abgesetzt , Ende Mai 2001 zog ich mich aus der UG zurück.

Was waren Deiner Meinung nach die Fehler der linken Opposition?

Eine fehlende Analyse und ein falsches Verständnis von der Rolle der Gewerkschaften im globalisierten Kapitalismus sind sicher Ursache für den Opportunismus der UG. Ein Verständnis, dass wir es mit einer Gewerkschaftsführung zu tun haben, die mit (Macht-) Position und Privilegien auf Gedeih und Verderb auf die Sozialpartnerschaft in Staat und mit dem Kapital angewiesen ist, fehlt allerdings insgesamt der Gewerkschaftsopposition im ÖGB. Ihr Gewerkschaftsbild ist zwar oppositionell gegen die Bürokratie gerichtet, verbunden aber mit der Überzeugung, dass diese unter „unserem“ Druck zu fortschrittlicher Politik angetrieben werden könnte.

Aber es gab doch auch in der letzten Zeit bemerkenswerte Mobilisierungen, Du hast z.B. einen Streik der LehrerInnen erwähnt. Wie ist es zur Radikalisierung der österreichischen Lehrerschaft gekommen?

Meine Kernthesen sind im wesentlichen zwei. Wir sind eine Berufsschicht, wo ein großer Teil (mehr als 50%) einen gesicherten Arbeitsplatz hat. Und wir haben noch keine Ausgliederungen und Massenentlassungen erlebt, d.h. keine schweren Niederlagen. Dies ist anders als bei der Post und den Eisenbahnern, die schon seit längerem einen viel größeren Druck auszuhalten haben. In meinem Bereich habe ich ebenfalls KollegInnen mit befristeten Verträgen als eher passiv bis ängstlich erlebt.

Außerdem werden Post und ÖBB von der sozialdemokratischen Gewerkschaftsfraktion politisch dominiert. Dort gibt es im Gegensatz zum Öffentlichen Dienst de facto keine „unabhängige“ „linke“ oder „grüne“ Opposition.

Einen zweiten Hauptgrund für die LehrerInnen-Radikalisierung vermute ich in dem, dass wir – polemisch gesagt- eine “halbgebildete Schicht” bis hin zu AkademikerInnen sind, d.h. mit einem recht großen Selbstbewusstsein.

Die oppositionelle Lehrerbewegung hat letztlich ihren Drive aber erst durch die Politik der Gewerkschaftsführung erhalten. Der “offene Verrat” der GÖD-Führung hat wesentlich zur Radikalisierung beigetragen. Die GÖD hatte mit der Regierung ein Abkommen geschlossen, in dem eindeutige Flexibilisierungshinweise enthalten sind. Das heißt, das Gewerkschaftsgesetz bringt Gehaltsverluste und mehr Kontrolle über die Lehrer durch die Schulhierarchie!

Die Gewerkschaftsbürokratie heftet es sich nun an die Brust, dass sie die Weiterbeschäftigung aller LehrerInnen gesichert hätte. Natürlich wäre es super, falls wirklich alle befristeten Verträge verlängert würden. Doch ist es gute Gewerkschaftspolitik, die solches nur durch einen tiefen Einschnitt in die Bildungsqualität erreicht? Den Gehaltsverlust haben wir jedenfalls direkt “unserer” Gewerkschaft zu verdanken und zum anderen stellt sich die Frage, wofür wir eigentlich eine Gewerkschaft brauchen, die nicht einmal versucht hatte, die Angriffe der Regierung abzuwehren.

Wie hat sich die Opposition innerhalb der Lehrerschaft formiert?

Die vier Zentren des Widerstands waren Vorarlberg, Graz, Linz und Wien. Ich will mich hier auf Wien beschränken.

In Wien hat sich der Widerstand rund um das überfraktionelle und außergewerkschaftliche Forum Henriettenplatz formiert, eine Struktur, die es schon länger gibt. Ende 2000/Anfang 2001 hatten sich dort Hunderte von KollegInnen getroffen. Eine wesentliche Initiative des Henriettenplatzes war die Boykottkampagne, wo am Höhepunkt über 200 Schulen Boykottmaßnahmen gegen die Abbaumaßnahmen dieser Regierung beschlossen (keine Schikurse mehr, keine Schulmilch mehr usw.). Der Boykott war relativ leicht ohne den Gewerkschaftsapparat durchzuziehen. Die PersonalvertreterInnen an den Höheren Schulen haben hier diese Kampagne getragen. Die Hauptforderung des Henriettenplatzes war jedoch die “Zurücknahme des Budgetbegleitgesetzes”. Dies war natürlich von Anfang an etwas illusorisch, aber man hatte die Hoffnung, dass man noch Modifizierungen durchsetzen könnte, sodass es nicht gar so arg würde. Diese Hoffnung ist jetzt weg. Das Gefühl, dass “wir eine Niederlage erlitten haben”, ist auch im Henriettenplatz-Forum vorherrschend und die Hauptstimmung ist, dass wir diese Niederlage der Gewerkschaft zu verdanken haben.

Wieso hatte man bei einer derart relevanten Opposition die Niederlage nicht verhindern können oder zumindest nicht das Ärgste?

Dies ist ein wenig eine provokante Frage, denn wir waren, trotz all der Euphorie, die es gegeben hat, eine Minderheit innerhalb der Lehrerschaft. Und wir waren lange Zeit und sind es eigentlich bis heute, nicht österreichweit koordiniert. Die Widerstandszentren sind relativ unabhängig voneinander geblieben. Nichtsdestotrotz steht fest, dass die LehrerInnen als spezifische Schicht der österreichischen Lohnabhängigen Großartiges geschaffen haben! Denn ein relevanter Teil von ihnen hat begriffen, dass wir uns unabhängig, auch von dieser sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftspolitik, organisieren müssen! Auch die Österreich-weite Koordinierung wurde begonnen.

Bedeutet das dann in der Folge den Austritt aus der Gewerkschaft?

Die ganze Politik der Gewerkschaftsführung hat ziemlich schnell die Frage provoziert: “Wie stehen wir zu dieser Gewerkschaft?” Schon bald trat auch in Wien eine “pressure-group” für die Sistierung (Nicht-Bezahlung) der Gewerkschaftsbeiträge auf bis: 1) die Gewerkschaftsführung zurücktritt und 2) eine radikale Demokratisierung der Gewerkschaft mit Urabstimmungen und weit reichende Basisdemokratie u.a.m. eingeführt wird. Nach drei Monaten Zahlungsboykott wird man dem ÖGB-Statut gemäß ausgeschlossen, was heißt, dass das Programm dieser KollegInnen auf einen Gewerkschaftsaustritt hinausläuft. Die verschiedenen Schichten der Lehrerschaft radikalisieren sich in einem unterschiedlichen Tempo und Ausmaß; ein Teil hat bereits mit der staatshörigen Gewerkschaft abgeschlossen, während die Masse der LehrerInnen ohne Zweifel überhaupt erst zum ersten Mal in eine Oppositionsbewegung gezogen wurde. Linker Politik muss dieser Spagat gelingen, zwar bei den radikalen KollegInnen zu sein, aber dazu beizutragen, dass die Kluft zum Gros der in Bewegung gekommenen KollegInnen nicht zu groß wird!

Ich meine grundsätzlich, dass wir tatsächlich eine gemeinsame Zielsetzung und Struktur brauchen, wo alle kämpferischen KollegInnen – außerhalb und innerhalb des ÖGB – zusammen bleiben können, um trotz der jetzigen Niederlage eine Kontinuität des Kampfes für die unvermeidlich kommenden neuen Auseinandersetzungen mit Regierung und Gewerkschaftsbürokratie zu garantieren.

Wäre die Schaffung der Bildungsgewerkschaft nicht solch eine gemeinsame Zielsetzung?

Obwohl in Wien und Vorarlberg eine neue Gewerkschaft schon seit längerem in der Diskussion war, erfolgte erst im Mai in Vorarlberg die Gründung der Bildungsgewerkschaft, für die jetzt aber österreichweit rekrutiert wird. Ich bin übrigens der Bildungsgewerkschaft schon beigetreten, obwohl ich nach wie vor ÖGB-Mitglied bleibe. Mir geht es darum, dass im ÖGB noch immer 1,4 Millionen Lohnabhängige organisiert sind und es gerade in der FSG-Basis viele fortschrittliche KollegInnen gibt.

Die Bildungsgewerkschaft müsste eine Politik formulieren, dass auch ÖGB/GÖD-MitgliederInnen sagen, „die sind wirklich kämpferischer und die sind wirklich demokratischer“. Dazu braucht es einerseits eines gemeinsamen theoretischen Verständnisses von Gewerkschaften im 21. Jahrhundert, der Bedeutung unabhängiger anti-sozialpartnerschaftlicher Politik und als Drittes eine Politik, die trotzdem den Schulterschluss mit der Masse der Lohnabhängigen, teils noch im ÖGB, sucht. Gewerkschaftspolitik, die einzig den Lohnabhängigeninteressen verpflichtet ist und eine radikaldemokratische Struktur mit direkter Wahldemokratie und Urabstimmungskultur, könnte in der Tat ein Attraktionspol für breitere Teile der Lohnabhängigen werden!

Du hast oben auf die Politik der Unabhängigen Gewerkschafter hingewiesen und sie kritisiert, was ja für die Bildung einer linken Opposition ein wichtiger Punkt ist. Kannst Du dazu noch etwas sagen?

Für mich ist ganz wichtig, dass diese LehrerInnen-Radikalisierung 2000/01 für die UG eine “historische” Chance gewesen ist! Das völlige Versagen der Gewerkschaftsführung und die Laschheit von SLÖ/ZV hätten die Profilierung der UG als authentische Gewerkschaftsopposition möglich gemacht. Was aber haben die UG-Vertreter in den Gewerkschaftsgremien gemacht? Schon Ende des letzten Jahres hatte der UG-Vertreter im GÖD-Vorstand NICHT gegen das Abkommen mit der Regierung gestimmt. Und der UG-Vertreter in der Pflichtschullehrergewerkschaftsführung hat sich – sehr freundlich ausgedrückt – von der Bürokratie über den Tisch ziehen lassen und schließlich eine Erklärung des Gewerkschaftsvorstandes unterschrieben, in der de facto Gewerkschaftspolitik und LDG-neu hochgelobt werden.

Programmatisch hat die UG bis heute lediglich einen Konsens über Gewerkschaftsdemokratie zu Wege gebracht. Eine Debatte über den Charakter der Gewerkschaft oder über Zentralisierung hätte den so lieb gewonnenen Konsens von KIV/UG, AUGE/UG und ÖLI/UG gestört. Man muss auch verstehen, dass UG-AktivistInnen teils schon jahrelang in Gewerkschaftsgremien agieren, ohne dass dort irgend etwas weiter gegangen wäre. Im GÖD-Bereich allerdings wurde die UG immer mehr damit beschäftigt, von der Bürokratie endlich anerkannt zu werden, um Gremienplätze und Subventionen endlich auch statuarisch zu sichern. Eine solche Konzeption drängt natürlich eher zu Anpassung und Perspektivlosigkeit in den Gremien. Von “Unabhängigkeit” bleibt da recht wenig übrig.

Was sind Deiner Meinung nach die zentralen Aufgaben einer gewerkschaftlichen Linken in Österreich?

Diesem ÖGB-Funktionärskomplex gegenüber gilt es eine konsequente Gewerkschaftsopposition aufzubauen, die die spontan anwachsende Unzufriedenheit unter den Lohnabhängigen reflektiert. Diese ist heute natürlich uneinheitlich und wird immer wieder demoralisiert. Die kämpferischen GewerkschafterInnen müssen es als Hauptaufgabe verstehen, zu versuchen, dieser Unzufriedenheit Tür und Tor zu öffnen, indem wir

a) zur unnachgiebigen Fraktion für volle Gewerkschaftsdemokratie und für Urabstimmungen werden.

b) Unterstützung von ÖGB/GÖD-Resolutionen nur in Bezug zu lebendigen Lohnabhängigen-Forderungen und KONKRETEN Kampfschritten, ohne der Führung ein unverbindliches radikales Mäntelchen umzuhängen.

c) Es erübrigt sich anzumerken, dass ein Anerkennen von („Zustimmen“ zu) Verschlechterungen nur nach (verlorenen) Kämpfen bzw. Urabstimmungen vorstellbar ist.

Den ÖGB nach „unten“ zu öffnen, würde natürlich die heutige Gewerkschaftsstruktur grundsätzlich umwerfen. Das oft gehörte Argument der Bürokraten, dass sie bei Urabstimmungen ja überflüssig würden, trifft in der Tat den Kern der Angelegenheit: Diese Gewerkschaftsführung raus, Demokratie rein in den ÖGB!

Wie wird bei Euch in den Gewerkschaften der Prozess der Europäisierung gesehen, also die Verträge von Maastricht und Amsterdam, der Euro, die EU-Grundrechtecharta etc. ?

Ohne Zweifel gibt es international riesige Unterschiede zwischen der österreichischen und etwa französischen oder italienischen Gewerkschaftspolitik. Über die französische und italienische gewerkschaftliche Aufsplitterung und gegenseitige Konkurrenz im Gegensatz zur österreichischen Dachverbands-Gewerkschaftsstruktur hinaus ist es auf den ersten Blick die gesteigerte romanische Streikbereitschaft, die sie unterscheidet. Doch auf den zweiten Blick erkennt mensch nicht nur die neoliberalen Spuren etwa in der CFDT- und teils auch CGT-Politik zur französischen 35-Stunden-Woche bzw. die militanten Arbeiterwiderstände bei Peugeot, bei Air France etc. 1999 gegen die gewerkschaftlichen Zustimmungen zu Flexibilisierungsklauseln u.a.m.; oder jene Kritik der CGIL-Linken und unabhängiger Gewerkschaften gegen die neoliberalisierende „Konzertierte Aktion“ von CGIL-CISL-UIL in Italien.

Das ist sozusagen der rote Faden allen reformistischen Gewerkschafts-„Internationalismus“ im Maastricht-Zeitalter, dass er sich – gar nicht so übertrieben – nationalistisch beschränkt auf ein Büro in Brüssel reduziert. „Büroleiter“ im Brüsseler EGB-Quartier, d.h. EGB-Präsident ist bekanntlich der sozialdemokratische ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch (Anmerk.: Inzwischen wurde Candido Mendez Rodriguez zum Nachfolger Verzetnitschs gewählt). De facto vermögen Verzetnitsch und der EGB dem Globalismus des Finanzkapitals noch weniger Gegenmacht als im nationalen Rahmen entgegen zu setzen (selbst im Vergleich zu den österreichischen Verhältnissen)! Dieses „Brüsseler Büro“ war wohl nach Maastricht 1991, d.h. mit der gesetzlichen „Kapitulation“ von Europas politischen Eliten (inklusive der Sozialdemokratie) vor der ökonomischen Diktatur der Konzerne, etwas verwirrt. Sehr bald jedoch haben sich die „internationalen“ Führungen von EGB und ICFTU ganz organisch auf eine neue Strategie geeinigt, die – letztlich gar nicht so neu – im Kern bloß eine Verlagerung ihrer nationalen Sozialpartnerschaftsdoktrin auf die internationale Ebene bedeutet! Es geht ihnen heute ZENTRAL um eine Reform der EU, des IWF, OECD etc., soll heißen, die nationalistischen „internationalen“ Gewerkschaftsführungen suchen verbissen nach einem Sitz an einem Verhandlungstisch in den Konzernleitungsetagen bzw. EU-Spitzengremien. „Den ersten Erfolg brachte der EU-Gipfel von Amsterdam, der das Beschäftigungsziel im EU-Vertrag verankerte.“ (ÖGB-Tätigkeitsbericht 1995 – 1998) Ein Sondergipfel habe dann „Nationale Arbeitspläne“ verabschiedet, die der Wiener EU-Gipfel 1998 „überprüfte“. Und: „Zur nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsmarktlage sind jedoch rein arbeitsmarktpolitische Instrumente nicht ausreichend. Daher hat der ÖGB auch von der Europäischen Zentralbank eine Korrektur der einseitigen Stabilitätsorientierung der Geld- und Zinspolitik verlangt. Die Währungs- und Geldpolitik muss auch dem Wachstums- und Beschäftigungsziel gerecht werden, wobei die Sozialpartner in die Koordinierung auf europäischer Ebene eingebunden werden müssen.“ (ebd.) Und, und, und.

Indes, die europäische Massenarbeitslosigkeit und Arbeitsflexibilisierungsschübe (oder besser: der soziale Krieg des Kapitals gegen die Lohnarbeiterklasse) weiten sich in den 90er Jahren bis heute ganz unbeirrt von den gewerkschaftlichen Reformphrasen weiter aus …

Wie stehst Du selbst dazu?

In den gewerkschaftlichen Phrasen, die völlig an den tatsächlichen Intentionen der europäischen herrschenden Klasse, Lohnkosten und Sozialstaat in diesem Jahrzehnt entscheidend abzubauen, vorbeigehen, zeigt sich das ganze tragische Dilemma reformistischer Gewerkschaftspolitik: Die Gewerkschaften Europas existieren als Kampfkraft und Machtfaktor international einfach nicht! In den letzten zehn Jahren haben sie sich im Wesentlichen auf das Einfordern von „sozialen Klauseln“ in EU-, MAI-, IWF-, etc. Verträge beschränkt und „internationale Delegationen“ zu den Kapitalvertretern losgeschickt (Davoser Weltwirtschaftsforum; mit Kofi Annan und CSE etc.). Um davor den nötigen „Druck“ zu erzeugen, mobilisierten sie (hauptsächlich mit Funktionärsdemos) einige Male „europäisch“: Vor dem Amsterdamer EU-Gipfel 1996 in Brüssel. Dann, vorerst durch NAP befriedigt, waren sie auf Europas Straßen wieder abwesend. Später, instinktiv die NAP-Chuzpe etwas durchschauend, ließen sie wieder in Nizza aufmarschieren. Und nach „Seattle“ beteiligen sich sogar zwei österreichische Fachgewerkschaften an den „Weltsozialforen“: Um eben unermüdlich für Sesseln an Verhandlungstischen und für neue Klauseln (in die EU-Grundrechtscharta) zu arbeiten …

Die heute einzig wirklich positiven Ansätze gewerkschaftlichen Internationalismus – der Aufbau der Konzernbetriebsräte und die „Interregionalen Räte“ grenzüberschreitender Kollektivvertragsverhandlungen, die gerade auch vom ÖGB stark unterstützt werden – treten jedoch bei der beklemmenden globalen Machtlosigkeit des EGB mehr auf der Stelle als dass hier bislang wirkliche Machtzuwächse für die europäische Arbeiterklasse erreicht worden wären.

Ich verfolge hingegen bekanntlich seit Jahren den Weg einer europäischen militanten Gewerkschaftsopposition, die innerhalb und außerhalb des EGB agiert, allem voran aber politisch unabhängig vom Sozialpartnerschaftskurs in Richtung europäischer Einheitsfrontaktionen der Lohnabhängigen geht bis hin zum europäischen Generalstreik! Leider hat es in den letzten Jahren keine der verschiedenen internationalen unabhängigen und militanten Gewerkschaftskonferenzen geschafft, über alljährliche Treffs zum bloßen Informationsaustausch hinaus zu kommen …

Was für Auswirkungen hat die Entwicklung der letzten Jahre auf die Wirtschaft und die gewerkschaftliche Organisierung? In Deutschland gab es z.B. eine Reihe von Gewerkschaftsfusionen…

Seit 1995 gehen auch in Österreich (selbst bei Konjunkturen) die Vollarbeitsplätze zurück. Teilzeitarbeits-, Leiharbeitsplätze u.ä. wachsen gegen 30%, Kapital & Regierung forcieren Billiglohn-Saisonniers, global agierende Konzerne beherrschen die wichtigen Branchen der österreichischen Wirtschaft. Die ÖGB-Mitgliedszahlen nahmen insgesamt und in einzelnen kleinen Fachgewerkschaften dramatisch ab (heute rd. 1,4 Mill. ÖGB-Mitglieder bei rund 3 Millionen Lohnabhängigen). Heute dürfte etwa nur mehr die Hälfte oder etwas weniger der BetriebsrätInnen in ÖGB-Fraktionen organisiert bzw. ÖGB-Mitglied sein. Politisch am deutlichsten drückte sich dieser kämpferische und quantitative Niedergang des ÖGB bislang im LehrerInnenbereich aus, wo sich 2000/01 eine kleine unabhängige Gewerkschaft außerhalb des ÖGB gründete (UBG – Unabhänge Bildungsgewerkschaft mit dem Hauptanliegen radikaler Gewerkschaftsdemokratie).

Vor rund einem Jahr begannen nun Metaller- und Privatangestelltengewerkschaft mit Gesprächen über eine Fusion. Heutiger Stand dieser gewerkschaftlichen Spitzengespräche ist ein „Masterplan“ mit bislang 2 großen Blöcken: a) Metaller, Privatangestellte, Chemie, Agrar, Druck, Journalismus und b) „Infra“: Eisenbahner, Gemeindebedienstete, Handel/Transport, Post, Hotel/Gastgewerbe. Beide Blöcke gehen in Richtung von Fusionen oder engen Kooperationen, was noch nicht entschieden ist. Die GÖD-Spitze (FCG und FSG!) will allein bleiben. Wie auch immer: Es ist ein „Masterplan“ der Bürokraten! Die Art der Zusammenschlüsse ist undurchschaubar, außer mensch verfolgt die jeweiligen Bürokratenrangelein um zukünftige Einflusssphären. In diesen Rangeleien haben Gedanken über Gewerkschaftsdemokratie keinen Platz und in der Welt globaler Kapitalherrschaft „fusionieren“ diese Herren gewerkschaftlich stur national borniert. Die ÖGB-Reform bleibt so eine tote Reform, die zwar Macht und Privilegien der weniger gewordenen neuen-alten Fachgewerkschaftsspitzen vergrößern und den Dachverband entmachten wird. Doch der weitere Niedergang der reformistischen österreichischen Gewerkschaftsbewegung ist unvermeidlich. Die Frage einer internationalistischen und klassenkämpferischen Gewerkschaftsopposition in und außerhalb von ÖGB/EGB bleibt hoch aktuell!

Apropos Internationalismus: Wie siehst Du den 11.09.2001 und den im Gefolge dessen vom Imperialismus erklärten sogenannten „Anti-Terror-Krieg“?

Der alltägliche „Nord-Süd“-Krieg hatte grausam einen Tag lang auch die USA erreicht und gleichzeitig läuft die kriegsvorbereitende Gehirnwäsche auf vollen Touren.

Tatsächlich hatte der Angriff auf World Trade Center (WTC) und Pentagon allen bisherigen Terrorismus an Wucht und Grausamkeit übertroffen. Die Tragik ist gerade für unsereins in den westlichen Großstädten einigermaßen gut Lebenden (und in Büros Arbeitenden und FlugtouristInnen) nachvollziehbar.

Es geht nicht um das gegeneinander Aufzählen von Leichen. Aber auffällig ist der ungeheure mediale und global-rituelle Unterschied zwischen der WTC-Opferberichterstattung dieser Tage und jene über Massaker ähnlichen und noch größeren Ausmaßes in der „Dritten Welt“. Wo waren etwa die Medien (um nur eines der verschwiegenen Ereignisse zu nennen) , als US-Truppen vor 12 Jahren Panama „befreiten“ und die rund 3.000 Opfer verscharren oder ins Meer werfen ließen?

Da hätten sie natürlich viel zu tun. So viele Kabelsender gibt es gar nicht, um Berichterstattung über all das Elend von Slums und Flüchtlingslagern rund um die Welt, von CIA-gestützten Folterungen und den Tausenden Hungertoten jeden Tag zu betreiben. Slums, Folter und Hunger gehört eben zur Welt dieses imperialen System und seiner Medien! Im globalen Trauerritual um die WTC-Opfer drückt sich letztlich doch wieder nur der alltägliche westliche Rassismus aus, dass halt „Weiße“ (Tote) wichtiger sind als „Schwarze“ und „Farbige“.

Boeings in das WTC, Pentagon und eine Autobombe vor dem Auswärtigen Amt. Das vierte gekaperte und abgestürzte Fugzeug steuerte offenbar das Weiße Haus an – alles miteinander die finanzkapitalistischen, politischen und militärischen Machtzentren der USA! Natürlich wünsche ich in keiner Weise den Tod dieser Versicherungsmakler, BankenspekulantInnen und Broker (sondern ihre entschädigungslose Enteignung) und Trauer ist sehr wohl angesagt über den Tod Tausender kleiner Büroangestellter. Aber Trauer gilt es mit Nachdenklichkeit über Ursachen von Hass und Terror zu verbinden, die versucht zu verstehen, wie Finanzspekulation, US-Außenpolitik und Pentagon in dieser Welt Völkerrechte verletzen und morden. Wie gesagt, die unfähigsten Köpfe dieser Welt wollen offenbar neue militärische Massaker anrichten und werden „rundherum“ doch nur Millionen der verarmten Völker noch mehr gegen sich aufbringen. Dass dann etwa in den islamischen Ländern die dortigen Regimes hinweggefegt werden könnten, wird schon heute in bürgerlichen Medien diskutiert und wäre eine fortschrittliche Folge eines imperiale Kriegszuges. Die andere Tendenz (leider ohne revolutionäre Umstürze) ist, dass Hunderte, Tausende neue „Rächer“ der deklassierten Mittelklassen und Verarmten, deren menschliche und religiöse Würde niedergebombt wurde, ausschwärmen werden und sich angesichts weiterer unsolidarischer westlicher Bevölkerungsmassen nur wieder undifferenziert „rächen“ könnten.

Wir „westliche“ Linke führen selbstverständlich keinen „heiligen Krieg“, sondern müssten versuchen, die Ablehnung eines jeden Kriegsaufmarschs (mit oder ohne UNO-Sanktus) in breitere Teile der arbeitenden Bevölkerung hinein zu tragen. Lahmlegen jeder Kriegshetze und von allen Kriegsvorbereitungen!

Wir danken dir für das Interview.