Interview mit Hermann Dworczak, 30.7.2014: „Oben passiert nur Katastrophenpolitik“

Ukraine/Interview:

Der Sozialforenaktivist Hermann Dworczak war in den letzten Jahren sechs Mal in der Ukraine, zuletzt auf der Krim, aber auch bei einer Basiskonferenz im russischen Penza. Er glaubt, daß eine Lösung der Konflikte nur von unten kommen kann. Ein Interview.

akin: Du hast ja da wohl auf der Krim auch mit den diversen linken Gruppen gesprochen. Wie kann man die einschätzen?

Hermann Dworczak: Die Linke ist total gespalten — leider auf zwei verschiedenen Seiten der Barrikaden. Das hängt mit einem ziemlich Mißverständnis der historischen Situation zusammen. Das fängt ja schon damit an, wie man den Maidan einschätzt. Meiner Meinung nach war der Maidan eine gute positive Bewegung gegen das Janukowitsch-Regime. Das war autoritär, repressiv, korrupt.

Lange vor dem Maidan gab es mehr soziale, ökologische, gewerkschaftliche Kämpfe denn je in der Ukraine — und das hat sich dann am Maidan niedergeschlagen. Der Maidan war halt äußerst komplex. und da hats natürlich auch viele Linke gegeben. Der Rechte Sektor und die Swoboda haben da ursprünglich keine relevante Rolle gespielt, aber je mehr der Janukowitsch reingehaut hat, umso stärker ist der Einfluß der extremen Rechten geworden.

Das Argument, das da immer gebraucht wird, es handle sich um einen faschistsichen Putsch, das halte ich für eine völligen Unsinn. Jetzt gab es halt eine rechte, neoliberale Regierung. Aber wie ist das zustandegekommen?

Selbst die Janukowitschpartei, die in einem Auflösungsprozeß war, hatte mehrheitlich für diese Übergangsregierung gestimmt.

Auf der anderen Seite gibt es eine unwahrscheinliche Uninformiertheit, Indifferenz, Sprachlosigkeit der Linken in der Westukraine, was den Osten betrifft. Da muß man in Rechnung stellen, daß die Ukraine ein extrem zentralistischer Staat ist. Alle wesentlichen Posten werden von Kiew aus bestellt. die neue Regierung, die da zustande gekommen ist, hat gleich einmal das Russisch als 2. Amtssprache verbieten wollen und x andere Sachen sind gegenüber den russischsprachigen und ethnischrussischen Leuten im Osten über die Bühne gegangen. Es hat null politische Angebote gegenüber den Leuten im Osten gegeben. Stattdesen sind die Panzer gerollt.

Und es ist natürlich auch sehr schwierig für die Linke zusammenzufinden. Man muß aber auch erwähnen, daß es nicht nur im Westen rechtsradikale Kräfte gibt, sondern auch im Osten. Ich war mit denen auf der Krim auch konfrontiert und habe ihre Argumente gehört.

akin: Warum ist dieser Konflikt wirklich ausgebrochen? Ist der ethnische Konflikt nicht hauptsächlich konstruiert?

H.D.: Man sollte die nationale Frage nicht unterschätzen. Die Ukraine hat einen relativ späten komplexen Prozeß der Nationsfindung gehabt, insbesondere seit dem 19.Jahrhundert. Man muß in dieser Angelegenheit sehr sensibel sein. Ein Beispiel: Wir hatten vor 2 Jahren eine Konferenz von unserem internationalen Netzwerk gegen die extreme Rechte und Rechtspopulismus, „Prager Frühling 2“, organisiert — und da kam nebenbei zur Sprache, welche Konferenzsprachen es denn gäbe. Und da hats geheißen:

das machen wir in Englisch und in Russisch. Ich hab gefragt, ob Ukrainisch überhaupt nicht vorkäme? Das Argument, die würden ja eh alle russisch reden, stimmt zu einem Gutteil, aber die ukrainische Sprache kann man doch nicht einfach unter den Teppich kehren.

Das andere ist, daß es sehr unterschiedliche ökonomische Strukturen zwischen dem Westen und dem Osten gibt. Die Industrie ist im Osten konzentriert, Schwerindustrie, Rüstungsindustrie, und, und, und…. Da sind natürlich auch die Oligarchen sehr aktiv. Der jetzige Präsident Poroschenko, der hat ja auch Firmen in Russland.

Der ökonomische Faktor spielt eine zentrale Rolle. Der Osten ist ökonomisch auf Rußland ausgerichtet, während der Westen anders ist, da wird viel in die EU exportiert.

Was aber noch nicht angesprochen wurde, sind die geopolitischen interessen, die NATO, die EU, die USA wollen soweit als möglich präsent sein, auf der anderen Seite will ich den russischen Imperialismus gar nicht von der Kritik ausnehmen. Der ist da um nix besser als die Ambitionen des Westens.

akin: Die Debatten in EU-Europa resp. Österreich rennen ja wieder einmal sehr seltsam. Gerade bei den fortschrittlichen Kräften läuft die Debatte zwischen „Putin-Verstehern“ und „Faschisten“.

H.D.: Jedes Lagerdenken ist generell falsch am Platz. Das war in der Vergangenheit schon so. Vor dem westlichen Imperialismus mußte man Buckerl machen wegen des Stalinismus. Jetzt ist das genauso ein Humbug. Was hier notwendig ist: Differenzieren, alternative Informationen, kritische zivilgesellschaftliche und gewerkschaftliche Kräfte zusammenbringen. Einmal darauf dringen, daß der Krieg gestoppt wird, daß miteineinader geredet wird.

Einmal bei den offiziellen Kräften, aber auch, daß es unten, an der Basis der Gesellschaft, Gespräche gibt.

Es tut sich jetzt auch Einiges von unten, daß sich die Linken auf einer vernünftigen Grundlage wiederfinden.

akin: Aber was können solche Basisinitiativen bewirken?

H.D.: Die können wahrscheinlich nur sehr wenig bewirken. Aber das was oben passiert, ist halt Katastrophenpolitik. Jetzt ist einmal Krieg. wenn dann irgendwann die kriegerischen Auseinandersetzungen zu Ende gehen sollten, wie geht es dann weiter? Jeder imperialistische Block wird versuchen, bei einer Kompromißlösung seine Interessen durchzusetzen. EU und USA und Putin werden sich das Bärenfell aufteilen. Und dem muß man entgegentreten, mit den derzeit noch ganz bescheidenen Kräften.

akin: Was kann da jetzt am Ende rauskommen?

H.D.: Im Osten gibt es zivile Kräfte und militärische Kräfte, das kann man nicht alles in einen Topf werfen. Das muß sich alles erst ausdifferenzieren.

Es gibt Linke wie die Borotba, die durchaus Einfluß haben. Es gibt aber auch unterschiedliche Entwürfe für Verfassungen. Zum Beispiel den der Bewegung von „Nova Russia“. Den hab ich gesehen, da steht Gott und ein orthodoxer Glauben drinnen; politische Parteien sind denen eher etwas Grausliches. Das ist eine Position. Es gibt dort aber auch Gewerkschaften, die bisher nicht sonderlich in Erscheinung getreten sind. Auch das könnte sich ändern. Aber das sag ich halt sehr im Konjunktiv.

akin: Das ist alles auch dort eine sehr seltsame Mischung?

H.D.: Ich hab das im Kleinen auf der Krim erlebt. Da waren Leute, die meinten einfach: Kiew habe uns das nicht ermöglicht und das nicht und das nicht und deswegen haben wir mobilisiert. Das ist ähnlich wie beim Maidan.

Da hast du auch grossrussische Chauvinisten, die werden finanziert vom russischen Geheimdienst, die sind wirklich Agenten von Putin. Du hast ebenso das gesamte Spektrum wie du es in der Westukraine hast.

akin: Querfronten überall?

H.D.: Richtig! Darum glaube ich, daß es irrsinnig wichtig ist mit den bescheidenen Kräften, die wir haben, Gegeninformation, Treffen mit den Linken, entweder hier oder besser in der Ukraine, auf der Krim, in Russland zu organisieren. Da geht es auch darum, soziale Forderungen zu stellen.

Oder: Was passiert mit den Fabriken, mit dem öffentlichen Eigentum? Die neue Regierung hat gleich ein großes Verscherbelungsprogramm auf die Beine gestellt. Und man kann Gift drauf nehmen, daß, wenn konservative Kreise im Osten an die Macht kommen, daß das ähnlich sein wird. Daher wäre es wichtig, daß Linke gemeinsam im Osten und Westen der Ukraine Programme ausarbeiten.

Das hat jetzt auf niedriger Ebene begonnen, das ist eine Heidenarbeit, das ist irrsinnig kompliziert, es gibt laufend Rückschläge… aber ist die einzige Möglichkeit, die ich derzeit sehe.

akin: Jetzt ist diese neue Regierung schon wieder zurückgetreten. Vorher ist noch schnell die Kommunisten-Fraktion aufgelöst worden. Jetzt soll es Wahlen geben, die aber wohl kaum regulär ablaufen werden können…?

H.D.: Egal, wie die Wahlen ausgehen, es wird sich nichts Wesentliches ändern, es werden die gleichen Oligarchen ihre grausliche Politik weiterführen. Das ist eben die Aufgabe der Linken im Westen wie im Osten der Ukraine, diese grausliche Zukunft anzuvisieren und Alternativen zu suchen.

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