Franz Parteder würdigt das Werk Werner Pirkers

Franz Parteder

Werner Pirker und die Aufgaben unserer Bewegung

Beitrag im Rahmen der Präsentation des Buches „Dialektik der Konterrevolution“ am 16. Oktober 2014 in Wien

Werner Pirker war ein bedeutender Journalist und ein vom Grundsätzlichen ausgehender marxistischer Denker, der die Methode der Dialektik beherrscht hat.

Als Person war er nicht einfach, aber die Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge ist in Zeiten, in denen die Bewusstseinsindustrie eines der wichtigsten Herrschaftsinstrumente der Machthaber ist, auch nicht einfach zu erlangen. Er hat das geschafft.

Da ich etwa gleich alt bin wie er war und politisch ähnlich sozialisiert wurde, sind wir uns in den letzten vier Jahrzehnten oft begegnet. Das reichte vom Eintreten für die slowenische Volksgruppe nach dem „Ortstafelsturm“, über die Gründungsphase des Kommunistischen Studentenverbandes (KSV) und die Arbeit in der Tageszeitung der KPÖ bis zu zahlreichen Treffen im Zusammenhang mit der krisenhaften Entwicklung der KPÖ nach 1989 oder bis zu seinen kontinuierlichen Berichten über die Arbeit der steirischen KPÖ in der Tageszeitung „Junge Welt“.

I

Die im Buch zusammengefassten Arbeiten zum Thema Entwicklung und Ende der Sowjetunion gehören zum Besten, was aus marxistischer Sicht darüber geschrieben worden ist. Und diese Arbeiten haben einen großen Vorteil. Sie sind keine abstrakten Erörterungen von jemandem, der Land und Leute nicht gekannt hat. Werner Pirker hat die Ereignisse selbst an Ort und Stelle miterlebt. Sein Studium am Institut für Gesellschaftswissenschaften in Moskau führte ihn zu einem tieferen Verständnis der gesellschaftlichen Probleme der Sowjetunion in der ausgehenden Breshnew-Ära. Und er lernte die Menschen in diesem Land zu schätzen. Deshalb war es für ihn keine Strafversetzung, als er Korrespondent der Tageszeitung Volksstimme in Moskau wurde. Er war mitten im Geschehen und war gleichzeitig in der Lage, die Entwicklung theoretisch zu begreifen und zu analysieren.

Zu seinen größten Verdiensten in diesem Zusammenhang gehört es, dass er die Bedeutung der demokratischen Revolte des Herbstes 1993 gegen Jelzin hervorhebt und in einen Zusammenhang mit den Ereignissen des August 1991 stellt.

Bei der Analyse des Niedergangs der Sowjetunion und des raschen Übergangs vom Realsozialismus zum Raubkapitalismus ist eswichtig, dass Pirker sich dabei nicht des einfach scheinenden Musters vom Verrat einzelner Personen bedient. So schreibt er über den Übergang zum Kapitalismus: „Die Stützen in den Eigentumsverhältnissen fanden sich in den deformierten realsozialistischen Produktionsverhältnissen“ (S. 21). Ohne eine derartige Analyse kann man nämlich nicht begreifen, wie aus dem KPdSU-Bezirksparteisekretär von Swerdlowsk und Moskau der angebliche Demokrat und wirkliche Autokrat Jelzin und aus dem 1. Sekretär der KP Kasachstans der noch immer und auf ähnliche Weise wie seinerzeit dort herrschende Präsident Nusurbajew wurde.

Auch die Wandlung eines Chodorkowski vom Komsomolfunktionär zum kapitalistischen Raubritter ist nicht zu erklären, wenn man die gesellschaftlichen Ursachen ausblendet.

Werner Pirker war in der Lage, genau das präzise zu benennen. Und er sieht im Untergang der Sowjetunion nicht das Ende der Geschichte von Klassenkämpfen: „Die Frage der sozialen Demokratie, der Überwindung der Diktatur der Wertpapiere über die lebendige Arbeit, vom Oktober auf radikale Weise aufgeworfen, ist aktuell geblieben. Denn anders wird die drohende Katastrophe nicht bekämpft werden können“. (S.21).

II

Wie das gelingen kann und welche subjektiven und objektiven Hindernisse es dabei gibt, diesem Thema hat sich Werner Pirker in den letzten Jahren mit zunehmender Schärfe gewidmet. Seine Kritik an der Mainstream-Linken in Deutschland und Österreich, die sich den Vorgaben der EU unterwirft und objektiv gesehen und leider nur der Behübschung der herrschenden Zustände dient, war darauf gerichtet, an der Wiederherstellung einer zielgerichteten und massenwirksamen antiimperialistischen und sozialistischen Bewegung zu arbeiten.

Deshalb seine harte und präzise Kritik. Ein Beispiel dafür, das in diesem Band nicht enthalten ist: „Das »Europabewusstsein«, zu dessen Entwicklung Die Linke beizutragen versucht, beruht auf einem Wertesystem, dessen Überlegenheitsanspruch sich in Ordnungskriegen Geltung verschafft. Je angepasster die Linke, desto stärker neigt sich das Protestpotenzial nach rechts“, schrieb er (9.6. 2009). Hier wird die Verantwortung einer Linken angesprochen, die sich nicht mehr traut, in einem fortschrittlichen Sinn inkorrekt zu sein und, die gerade deshalb ganz rechts sehr viel Raum öffnet.

Und weil er die EU als Hauptinstrument der Durchsetzung der Strategie des Imperialismus in Europa und gegenüber den Nationalstaaten begreift, urteilt er hart über die die EU-Linkspartei, in die auch die Führung der Bundes-KPÖ seinerzeit große Hoffnungen gesetzt hatte: „Die ELP als Teil des Parteienpluralismus auf EU-Ebene wird als eine treibende Kraft der europäischen Integration, als die zivilgesellschaftliche Entsprechung des supranationalen Machtgebildes rezipiert, wobei der Charakter dieser Integration als imperialistische Form der Vergesellschaftung, als die vom Monopolkapital betriebene Internationalisierung der Produktivkräfte nicht einmal mehr in Ansätzen reflektiert wird. Eine solche Linke wird die EU nicht verändern – von überwinden ist ohnehin nicht mehr die Rede. Das imperialistische System in Europa hat vielmehr die Linke verändert und weitgehend überwunden.“ Dieses Zitat ist aus seinem Aufsatz „Surrealer Sozialismus“ (S. 183).

Und er betont: „ Die linke EU-Partei ist ein bürokratisches Unterfangen ohne Basisbezug, das nicht auf der Verallgemeinerung von nationalen und grenzüberschreitenden Klassenkampferfahrungen beruht, eine Partei ohne praktischen Wert, die nur sich selbst und den Willen einer übergeordneten Bürokratie zur Voraussetzung hat.“ (S. 185).

Seither sind 10 Jahre vergangen. Die damals verbreiteten Illusionen über die EU-Linkspartei als neue revolutionäre Kraft sind vergessen, aber die Kritik, die Pirker und andere an ihr damals geübt haben, hat ihre Berechtigung nicht verloren. Jeder soll sich die Frage stellen: Haben die optimistischen Aussagen der EU-Linkspartei-Befürworter oder die skeptische Haltung eines Werner Pirker den Test der Zeit bestanden?

Wo hat Werner Pirker aber sozusagen einen Hoffnungsschimmer gesehen? Das waren auf europäischer Ebene massenverbundene und konsequente kommunistische Parteien wie die KP Portugals oder die griechische KP. Und in Österreich hat er sich sehr intensiv mit unserer Arbeit in Graz und der Steiermark auseinandergesetzt und über die „Junge Welt“ auch die fortschrittliche Öffentlichkeit in Deutschland immer wieder darüber informiert. Zwei Zitate, die nicht im Buch enthalten sind, sollen dies zeigen: „Die steirische KPÖ hat sich der neoliberalen Herausforderung gestellt und die verdrängte Einsicht in die Möglichkeiten sozialer Gegenwehr in die politische Sphäre zurückgeholt.“ (11.1. 2007) „Der Erfolg der steirischen Kommunisten ist das Ergebnis mühevoller Kleinarbeit an der Basis, einer konsequenten Interessenspolitik und der sozialen Aufklärung.“ (15.3. 2005). Dem möchte ich nicht viel hinzufügen. Dass wir unseren marxistischen Kompass nicht vergessen haben, war für ihn klar.

III

Werner Pirker ist tot. Was bleibt, das sind seine Arbeiten. Es ist notwendig, dass wir aus dem, was er geschrieben hat, die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.Uns muss es jetzt vor allem darum gehen, herauszufinden, welche Aktionen, Forderungen und Vorschläge die fortschrittlichen Kräfte in unserem Land zusammenführen und zu gemeinsamem Handeln bringen können.

Eine zielgerichtete und massenverbundene Politik kann zu Erfolgen führen, wenn sie ihre Verbindung mit der Welt der Arbeit nicht verliert und wenn sie die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung spricht. Es geht darum, eine wirkliche und wirksame Aktion zu entwickeln, die uns mit den großen Massen der Werktätigen verbindet.

Die gesellschaftliche Entwicklung stellt das auch in Österreich objektiv auf die Tagesordnung. Es kommt darauf an, ob wir diesen Anforderungen auch gerecht werden.