H. Stuhlfaut: Wie die syndikalistische IWW prekäre Starbucks-Arbeiterinnen organisieren

Die syndikalistische IWW organisiert prekäre Starbucks-Arbeiterinnen

Wenn Gewerkschafterinnen und Linke in Deutschland „amerikanische Verhältnsse“ beschwören, dann meinen sie ein Schreckensszenario: keine oder unzureichende Kranken- und Sozialversicherung, willkürliches Heuern und Feuern von Beschäftigten, working poor etc. Niemand weiß heute, ob hier zu Lande tatsächlich solche Verhältnisse oder eher spezifisch deutsche Grausamkeiten drohen. Ganz sicher aber lohnt sich der Blick über den Atlantik, wenn es darum geht, Auswege aus der Krise zu finden. Denn dort regt sich einiges.

 

Starbucks ist die größte Kaffeehaus-Kette der Welt. Laut Wirtschaftswoche hat der Konzern allein in den USA 7.600 und in Übersee 3.100 Filialen. Als Fernziel peilt das Unternehmen je 15.000 Filialen in den USA und im Ausland an. Weltweit werden täglich vier neue Filialen eröffnet, wie die Firmen-PR stolz vermeldet. In diesem Imperium ist eine kleine Gewerkschaft aktiv: die Starbucks Workers Union, eine Mitgliedsorganisation der syndikalistischen Industrial Workers of the World (IWW, auch Wobblie.s genannt).

„Neu“ entstanden in der großen Revolte der 1960er Jahre hatte auch die IWW im Zuge der Neubelebung der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung in den 1990er Jahren durchaus Zulauf bekommen. (1) Momentan sind die ArbeiterInnen von sechs Starbucks-Filialen in New York City sowie einer Filiale in Chicago mehrheitlich in der IWW organisiert. Was die IWW Starbucks Workers Union interessant macht, ist der simple Fakt, dass für Starbucks-Beschäftigte in den USA keine andere Gewerkschaft existiert. Die Arbeitsbedingungen im Unternehmen sind so gestaltet, dass sie die Organisierung der Belegschaft zu einer schwierigen Aufgabe machen, und trotz partieller Organizing-Anstrengungen scheinen Prekarisierung und Flexibilisierung das Instrumentarium traditioneller Gewerkschaften immer noch zu überfordern.

Hippe Jobberinnen, coole Gewerkschaften

Davon kann auch Klaus Schroeter ein Lied singen, der in der Zentrale der DGB-Gewerkschaft Nahrung Gaststätten Genuss (NGG) in Hamburg arbeitet und als Referatsleiter Gastgewerbe für die Systemgastronomie zuständig ist. Starbucks betreibt in Deutschland inzwischen über 50 Filialen, doch wenn man ihn nach der Verankerung der NGG hei Starbucks befragt, kann Schroeter mehr als einzelne Anfragen und Beschwerden von Beschäftigten nicht vermelden. Als Hauptgrund nennt er die Zusammensetzung der Belegschaften in den Filialen. Sie bestehen zum großen Teil aus Studentlnnen und jungen Teilzeitkräften, für die ihre Arbeit nicht der Lebensmittelpunkt ist. Sie sehen für sich weder eine jahrelange Perspektive in diesem Unternehmen, noch sind sie zwingend auf genau diesen Job angewiesen. Im Konfliktfall lassen sie ihn schnell und bereitwillig fallen.

Gewerkschaften wie der NGG fällt es schwer, dieses Milieu anzusprechen. Man kann sich bildlich vorstellen, wie die jungen, dynamischen und oft hippen Baristas (2) mit den Augen rollen würden, wenn Klaus Schroeter nur fünf Minuten Zeit hätte, ihnen von „Manteltarifverträgen“ und „betrieblicher Mitbestimmung“ zu erzählen. Diese fünf Minuten hat Schroeter aber nicht, denn hinter zwei Baristas steht unmittelbar ein „Shift Supervisor“ oder „Assistant Manager“, der mit langen Ohren darüber wacht, dass seine Untergebenen (im Starbucks-Jargon „Partner“ genannt) den richtigen Konversationscode abspulen. Gespräche über Organisierung am Arbeitsplatz gehören definitiv nicht dazu. Schroeter berichtet, dass schon die Fragen in den Einstellungsgesprächen auf einen „heimlichen Lehrplan“ hindeuteten, der gegen gewerkschaftliche Präsenz gerichtet sei.

Eine Besonderheit bei Starbucks ist das Ausmaß an Flexibilisierung, das auf den ersten Blick betriebswirtschaftlich unsinnig wirkt: Ohne irgendeine Form von verbindlichem Wochenarbeitsplan erfahren die Beschäftigten erst zwei Tage im Voraus durch einen Anruf, wann sie eingesetzt werden. Auf den zweiten Blick erschließt sich, dass Starbucks durch diese Anrufpolitik eine bestimme Dressur de Belegschaft verfolgt. Zunächst einmal schließt eine solche Ad-Hoc-Bereitschaf bestimmte Beschäftigte von vornehereit aus: Eltern (erst recht allein erziehende) und andere, die auf genaue Vorausplanung angewiesen sind. Generell werden sich ältere, erfahrene oder auch kämpferische Beschäftigte ein solch willkürliches Verhalten weniger bieten lassen.

Direkte Aktion und Solidarity Unionisms

Darüber hinaus versetzt das System der Rufbereitschaft die ArbeiterInnen in die bedenkliche, psychologische Abhängigkeitsposition: Sie müssen froh sein, vom Chef angerufen zu werden und arbeiten zu dürfen. Zum dritten hat die Unternehmensleitung auf diese Weise ein Mittel an der Hand, um unliebsame Baristas kurz zu halten und andere zu belohnen. Viertens erschwert die Rotation in den Filialen die Herausbildung von informellen und womöglich tendenziell oppositionellen Kernen in der Belegschaft. Und last but not least kommt es bei vielen jungen Leuten durchaus gut an, wenn sie keinem geregelten Wochenrhythmus unterworfen sind.

Vor diesem Hintergrund ist IWW in ihren Organisierungs- und Mobilisierungsversuchen erstaunlich erfolgreich. Sie besitzt etwas, was den meisten Gewerkschaften in Deutschland wie in den USA abgeht: eine gewisse „Coolness“. Was ihr also den Zugang zu eher traditionellen Arbeiterinnenmilieus erschwert, ist offenbar für die Ansprache des „Präkariats“ in New York und Chicago genau die richtige Voraussetzung, zumal viele Wobblies selbst Jobberinnen sind.

Die IWW geht nach einem Konzept vor, das vom Arbeiter-Aktivisten und Rechtsanwalt Staughton Lynd als „Solidarity Unionism“ beschrieben wurde. Für die Arbeit der Starbucks Workers Union bedeutet das vor allem, dass die IWW-Organizerinnen selbst bei Starbucks arbeiten. Darüber hinaus werden Probleme in dem Moment angegangen, in dem sie auftreten. Man versucht, sie direkt zu lösen (und nicht primär über Beschwerdebriefe, Schiedskommissionen und langwierige Gerichtsverfahren). Im Rahmen der gewerkschaftlichen Aktionsorientierung werden auch unkonventionelle Methoden – auch in der Grauzone des geltenden Rechts – erwogen, im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften, die all zu oft die aktionistische Fantasie ihrer Mitglieder in vorauseilendem Gehorsam beschneiden. Die bestehenden Gesetze und Vorschriften (Arbeitsschutz, Hygiene, Antidiskriminierungsgeseize) werden durchaus kreativ genutzt. Ähnlich wie in anderen gewerkschaftlichen Organisierungskampagnen setzt auch die Starbucks Workers Union auf die Aktivierung einer äußeren Unterstützungsbasis durch Community und soziale Bewegungen. Internationale Solidarität und globale Vernetzung spielen für die Gewerkschaftsarbeit eine ebenso zentrale Rolle wie ein egalitärer, schlanker, transparenter und offener Organisationsaufbau.

Im Internet-Magazin Zmag haben die IWW-Organizer Daniel Gross und Joe Tessone die Arbeit der Gewerkschaft am Beispiel einer Aktion am. 4. September 2006 illustriert. Zur Feier des ersten Starbucks Workers Union Locals außerhalb New Yorks brachten die Wobblies eine Leiter in die Starblicks-Filiale am Logan Square in Chicago. Eine Leiter war nämlich genau das, was die Beschäftigten seit Monaten von der Geschäftsführung gefordert hatten. Zu den Aufgaben der Baristas gehört es nämlich auch, die Birnen in der Deckenbeleuchtung zu wechseln, und dafür mussten sie mitunter halsbrecherische Kletterpartien unternehmen. Das Management soll absolut geschockt aus der Wäsche geguckt haben, um anschließend hektisch über die neue Situation zu beraten. In ihrer Weisheit beschieden Personal- und Filialleiterin schließlich, dass Starbucks diese Gewerkschaftsleiter nicht akzeptieren könne und stattdessen eine eigene anschaffen werde. Die Starbucks-Kollegin Monica Karpuk bemerkte zu der Aktion, das wäre die aufregendste Sache, die sie bei Starbucks je gemacht hätte.

Erste Erfolge und Union Busting

Inzwischen können IWW und Starbucks Workers Union in New York und Chicago durchaus bemerkenswerte Erfolge vorweisen. So hat es in den letzten Jahren etliche Lohnerhöhungen gegeben. In den New Yorker Starbucks-Filialen stieg der Stundenlohn in zweieinhalb Jahren Gewerkschaftsaktivität um fast 25% auf 9,63 US-Dollar. In Chicago wurde der Einstiegslohn schon kurz nach dem ersten öffentlichen Auftreten der Gewerkschaft von 7,50 auf 7,80 US-Dollar angehoben. Neben Lohnerhöhungen hat die Starbucks Workers Union in New York und Chicago vor allem mehr garantierte Wochenstunden und die Verbesserung des Arbeitsschutzes durchgesetzt.

Die IWW hat es darüber hinaus in einer gewerkschaftsfeindlichen Umgebung durchgesetzt, als Gewerkschaft anerkannt zu werden, kollektiv zu handeln und als äußeres Zeichen sogar bei der Arbeit einen Wobbly-Button tragen zu dürfen. (Anti-Diskriminierungsgesetze machen es möglich!) Einer wichtigen, materiell schlecht messbaren Forderung der Starbucks-Belegschaften ist man mehrere Schritte näher gekommen. Sie lautet: Respekt.

Wie sehr die Aktivitäten der Wobblies den Starbucks-Geschäftsführungen inzwischen auf die Nerven gehen, zeigen auch erste Repressionen gegen Aktivistinnen. In New York hat Starbucks mittlerweile fünf Wobblies aus fadenscheinigen Gründen entlassen, darunter im August 2006 den Mitbegründer der Starbucks Workers Union, Daniel Gross. Die Gewerkschaft streitet auf verschiedenen Ebenen für Wiedereinstellung. Neben juristischen Schritten – ein Verfahren bei der Schlichtungsbehörde läuft – haben die Wobblies zum weltweiten Boykott von Starbucks und seiner Produkte aufgerufen. Der Slogan lautet: „Union busting is disgusting“ (Wörtlich: Gewerkschaftszerschlagung ist ekelhaft.) In Paris hat vor allem die syndikalistische CNT-F diesen Aufruf aufgegriffen und mit Flugblättern vor Starbucks-Filialen demonstriert. In Manchester haben sich britische Wobblies der Kampagne angeschlossen, in Potsdam, Bonn und Düsseldorf die Anarcho-Syndikalisten der FAU. Bleibt zu hoffen, dass es nicht bei Protesten bleibt. Das Vorbild aus New York und Chicago könnte auch in anderen Städten der Welt funktionieren. Genug Filialen gibt es bekanntlich. Und täglich werden es mehr.

Heiner Stuhlfauth

Anmerkungen:

1) Gegründet wurden die Industrial Workers of the World 1905. In den ersten 20-30 Jahren des 20. Jahrhunderts waren sie in den USA „die rote Gefahr“ schlechthin und wurden von Polizei, Nationalgarde, von Unternehmern bezahlten Paramilitärs und Lynchmobs gnadenlos verfolgt. Neben dieser Repression war es vor allem die Einbindung der US-amerikanischen Arbeiterinnenklasse in Roosevelts New Deal und das Erstarken der APL-010, die zum Niedergang der IWW führten.

2) Als Baristas werden die Arbeiterinnen bezeichnet, die bei Starbucks und anderswo die Espressomaschinen bedienen.

(aus ak 512, Dezember 2006 / http://www.akweb.de/ )