P. Haumer: Betriebsräte – Ordnungsfaktor oder Gegenmacht?

(Dieser Diskussionsbeitrag ist von einem Betriebsrat aus der Metallindustrie verfasst, und ist Ausfluß seiner Erfahrungen. Der Artikel soll ein Anstoß sein die längst fällige Frage,  wie oppositionelle Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit auffgezogen werden soll‘, aus dem Blickwinkel eines Metallbetriebsrates zu beantworten. Eine umfassende Klärung dieses Problems steht noch aus, ist von einem Einzelnen aber nicht zu leisten. Nur wenn die mannigfaltigen Erfahrungen aus den verschiedensten Industrien und Berufen zusammenfließen, sind wirklich arbeitsfähige Richtlinien für revolutionäre Arbeit von klassenbewußten Betriebsräten und Gewerkschaftern zu erstellen. Die Zeit ist eines unser kostbarsten Güter und wir sollten sorgsam mit ihr umgehen. Was wir heute versäumen zu machen, das müssen wir morgen unter ungünstigeren Umständen mühsam nachholen. Darum sollten wir keine Zeit verlieren und uns an die Lösung dieses Problemes machen.)

Betriebliche Oppositionslisten sind vereinzelt immer wieder in Österreich entstanden. Seit 1980 greifen diese auf Kernschichten der Arbeiterschaft über. In letzter Zeit hat es wieder eine Reihe von Wahlen gegeben -Cincinnati Milacron, ÖMV, Immuno, Siemens-Data, Wagner-Jauregg-Krankenhaus in Linz, Klosterneuburger Krankenhaus und zuletzt in einer Reihe von Wiener Spitälern, bei denen oppositionelle Listen beachtliche Erfolge erzielen konnten. Das verstärkte Hervortreten von solchen Listen drückt die wachsende Unzufriedenheit vieler Arbeiterlinnen und Angestel1ten aus. Die alten, eingesessenen Betriebsräte -in den meisten Fällen FSGler, aber auch ÖAABler -müssen zusehends um ihre prob1emlose Wiederwahl zittern.

DIE ‚ALTEN‘ BETRIEBSRÄTE UND DIE BELEGSCHAFTEN

In der ökonomischen Aufstiegsperiode nach dem 2.Weltkrieg haben diese Kollegen viele Betriebsratsperioden hindurch die Interessen der Kollegenschaft wahrgenommen gegenüber den Betriebs- und Unternehmens1eitungen. Sie haben aufgrund der günstigen Bedingungen -Arbeitskraft war Mangelware -im allgemeinen die Wünsche der Kollegenschaft in Bezug auf Lohn- und Arbeitsbedingungen, soweit sie im Betrieb zu regeln sind, für diese zufriedenstellend erfüllt. Die Kollegenschaft war in ihren Wünschen befriedigt und hat sie dann auch wiedergewählt. Die Unternehmen waren auch zufrieden mit der Tätigkeit der Betriebsräte als Puffer zwischen Betriebsleitung und Arbeitern. Von Ausnahmen abgesehen, erfüllten sie die Wünsche, die die Betriebsräte ihnen vortrugen und alles lief seinen ruhigen Gang. Dieser ruhige Gang war die Voraussetzung für das Profitmachen der Unternehmer. Mit den Brosamen, die vom Tisch der ständig wachsenden Unternehmergewinne abfielen, konnten die Betriebsräte und die Gewerkschaften Ruhe und Ordnung im Betrieb aufrechterhalten. Unliebsame „Zwischenfälle“ waren die Ausnahme, und die Beteiligten ging schnell zur Tagesordnung über, die „Opfer“ bekamen finanzielle Entschädigung und blieben allein. Diese ihre Tätigkeit hat die meisten Betriebsräte -vor allem die freigestellten -mehr oder weniger zu Verwaltungsbeamten und Rechtskonsulenten in den Betrieben werden lassen, an denen die technische Entwicklung in der Produktion vorbeigegangen ist. Wenn sie heute wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, müssen sie sehr oft feststellen, daß sie vorausgesetzt, der Arbeitsplatz ist überhaupt noch da – den an sie gestellten Veränderungen dort nicht mehr gewachsen sind. Zu groß sind die inzwischen ein getretenen Veränderungen, ihre berufliche Qualitäten reichen nicht mehr aus. Daher suchen sie im Fal1e ihrer Abwahl oft Unterschlupf im Büro, im Betrieb oder Gewerkschaft.

Jetzt stellt die Kollegenschaft fest, daß alles nicht mehr so klappt wie früher mit der Erfüllung ihrer Wünsche. Aber sie wollen noch nicht wahrhaben, daß es nicht mehr so wie gewohnt geht, weil die konjunkturellen Voraussetzungen andere geworden sind. Daher sehen sie oft in persönlicher Unfähigkeit und in der Tatsache, daß Betriebsräte „zu lange da gesessen haben“, die Ursache. Sie suchen nach neuen Personen, die noch unverbraucht und nicht kompromittiert sind, und aus ihrer Mitte treten die „fortgeschrittensten“ und „klassenbewußtesten“ Kolllegen und Kolleginnen, die „Jungen“, hervor und stellen sich zur Wahl.

DIE ‚JUNGEN‘ -ALTER WEIN IN NEUEN SCHLÄUCHEN?

Neue Leute im Betriebsrat allein bedeuten aber noch keine neue Politik. Bei den neu gewählten Kandidaten gibt es ebenso wie bei den alten die unterschiedlichsten Vorstellungen darüber, was man besser machen könne. Nach den Wünschen der Wähler sollen sie es ja „besser“ machen als die „Alten“, bei den Unternehmern mit größerem Erfolg vorsprechen, als es ihre Vorgänger in den letzten Jahren taten. Scharf reden und mit der Faust auf den Tisch hauen, das macht aber harte Unternehmerherzen nicht mehr weich. Die „Neuen“ stehen vor anderen und weitaus schwierigeren Bedingungen, als sie die „Alten“ zu Beginn ihrer Amtszeit vorfanden. Nicht nur daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen zusehends schlechter werden, haben sie auch noch mit der Feindschaft der „Alten“ und ihrer Anhänger im Betrieb zu rechnen. Das verringert zusätzlich ihre Möglichkeiten, bei der Unternehmensleitung Druck ausüben zu können.

Die Unternehmensleitungen werden die eintretende Aufspaltung der Belegschaft für ihre Interessen nutzen. Teile und herrsche ist ihre Devise. Daraus muß man die Schlußfolgerung ziehen, daß es nicht mehr möglich ist, diese Probleme auf die Dauer ohne einen tiefgreifenden Prozeß der Veränderung des Denkens der Kollegenschaft zu lösen. Dieser Prozeß ist langwierig und darf und kann nicht umgangen werden. „Damit die Massen verstehen, was zu tun ist, dazu bedarf es langer ausdauernder Arbeit.. .“(Marx}. Die Verantwortung der klassenbewußten Kollegen und Kolleginnen -gleichgültig ob und welcher politischer Organisation sie angehören -ist groß. Es bedarf der Zusammenarbeit aller klassenbewußten Kollegen und Kolleginnen, die sich der Aufgabe bewußt sind, die darin besteht, die Unzufriedenheit der Arbeiter in Klassenbewußtsein umzuwandeln, aus der „dumpfen“ Masse eine handelnde und selbstbewußte Klasse zu machen.

Gemeinsam müssen sie den politischen Weg finden, der es ermöglicht, daß die Vorhut der Arbeiterklasse sich politisch formiert und gleichzeitig den Kontakt mit den Massen nicht verliert. In diesem Kampf stehen die klassenbewußten Kollegen und Kolleginnen nicht nur den Unternehmern, sondern auch vielen leitenden Gewerkschaftsführern gegenüber, die sich mit dem Staat und seinem Staatsapparat mehr verbunden fühlen als mit der Arbeiterschaft. Für uns kann es in diesen kommenden Auseinandersetzungen nur eine Stütze geben: das klassenbewußte Denken und Handeln der Massen selbst.

Weiters muß erkannt werden, daß wir erst dann auf dem richtigen Wege sind, wenn wir den Graben, der heute zwischen der kleinen klassenbewußten Vorhut und der großen Masse vorhanden ist, wieder zuschütten können. Die Strategie und ,“Taktik, um diesen Ziel zu zustreben, ist nicht einfach zu finden. Wir müssen aufpassen, daß wir nicht in die von den Bürokraten aufgestellten Fallen (z.B Arbeitsverfassungsgesetz) laufen, mit denen sie ihre Stellung zu festigen und uns vor den Massen herabzusetzen versuchen. All die Probleme, die auf uns zukommen, können nur durch gemeinsame Aussprachen mit den Belegschaften gelöst werden.

Klassenbewußte Betriebsräte müssen von Anfang an die Grenzen aufzeigen, die ihrem Einsatz gezogen sind und offenlegen, wie weit die Kräfte reichen. In dem Argument, „als Betriebsrat komme ich besser an Informationen“, stecken oft Illusionen. Denn mit den Informationen -vorausgesetzt, daß man sie tatsächlich bekommt, und wenn man sie bekommt müssen sie noch lange nicht stimmen -alleine kann man noch keine Politik machen. Es müssen geeignete Mittel und Wege zur Verfügung stehen, damit die Informationen in die Belegschaft gelangen können. Dabei muß man auch die Gefahr sehen, daß man durch die Verbreitung von „Geheim“-Informationen vom übrigen Betriebsrat leicht ins Abseits gedrängt werden kann.

Zu verschiedenen Anlässen wird man daher gezwungen sein einen Kompromiß einzugehen. Und zwar dann, wenn man nach eingehender Überprüfung der Bereitschaft der Belegschaft zum „Einmischen“ in die Betriebspolitik, zu dem Schluss kommt, daß ein Kompromiß das optimale Ergebnis ist, dem Kräfteverhältnis entspricht. Aber es sollte niemals ein Kompromiß als ein Sieg verkauft werden, sondern es sollte der Kollegenschaft stets klar gesagt werden, daß man eine Art

„Waffenstillstand“ eingegangen ist um Kräfte zu sammeln, um bei der nächsten Gelegenheit zu versuchen ein besseres Ergebnis zu erreichen.

Aber die Überlegung, bei organisatorisch besserer und aktiverer Arbeit der Betriebsräte, Maßnahmen und Angriffe des Unternehmens aufhalten zu können, steht auf wackligen Beinen. Die Unternehmer sind bei Strafe des Unterganges gezwungen, ohne Rücksicht auf das Wohlergehen des einzelnen Arbeiters Rationalisierungen durchzuführen. Ihr Spielraum, innerhalb dessen es ihnen möglich ist noch Zugeständnisse zu machen, wird geringer. Schnell ist die Betriebsratsarbeit dadurch blockiert, daß man sich mit allen möglichen Stellungnahmen und Maßnahmen des Unternehmens auseinandersetzen muß und schließlich bei Entlassungen nur noch die Rolle des Prellbocks übernimmt, der nach Sozialkriterien „auswählen“darf und auf sich den Haß der Betroffenen lädt. Hier liegt auch ein wesentlicher Grund, warum und in wie weit der Betriebsrat für den Unternehmer so wichtig wird. Er ist Autorität und Puffer gegenüber der Belegschaft und kann die „notwendigen“ Schritte des Abbaus ihr gegenüber besser vertreten. Hier stellt sich die Frage: Wer nutzt wem? Die Geschäftsleitung den Betriebsrat -zur Durchsetzung ihrer Interessen oder die Kollegenschaft als organisierendes Element bei der Abwehr des Unternehmerangriffes?

Nur Betriebsratsposten zu besetzen ist kein Maßstab für Arbeiterpolitik und schafft keine Basis. Entscheidend ist, wie sie ihre Tätigkeit langfristig einrichten, ob sie dazu dient, die Einsicht der Kollegen in gesellschaftliche Entwicklungen zu fördern und erste Ansätze der eigenen Aktivität der Kollegen zu schützen

und zu verbreitern. Die gemeinsame Aussprache über die vor den Arbeitern und Angestellten liegenden Problemen, die Vorbereitung kollektiven Denkens und Handelns als Voraussetzung zur gemeinsamen Abwehr der Unternehmerangriffe ist wichtigste Aufgabe. Dabei wandeln aktive Betriebsräte auf einem schmalen Grat; allein können sie Schritte des Unternehmers nicht durchkreuzen; versuchen sie, die Kollegen einzubeziehen, stellen sie oft fest, daß diese nur bedingt bereit sind mitzuziehen. Die fortgeschrittensten Kollegen geraten in die Gefahr, sich zu isolieren. Um diese Gefahr zu vermeiden, ist eine möglichst intensive Wechselbeziehung zwischen Belegschaft und Betriebsrat herzustellen.

Auf Wahlerfolgen, die in erster Linie auf Unzufriedenheit großer Teile der Belegschaft zurückzuführen sind, darf nicht eine „bessere“ Stellvertreterpolitik folgen. Die Kollegenschaft will den alten Wein nicht aus neuen Schläuchen trinken. Konsequente Interessensvertretung muß heute heißen, der Belegschaft klarzumachen und einzuprägen, daß die Betriebsräte nur Vollzugsorgane des Willens der Kollegenschafts sein sollten, und daß dieser Wille die unbedingte Bereitschaft beinhalten muß, für ihre eigenen Interessen und die der gesamten Arbeiterklasse in den Kampf einzutreten. Das heißt heute den Kampf um die Hirne und Herzen der Arbeiterschaft aufzunehmen, in ihnen die Herausbildung von Klassenbewußtsein zu fördern, den Zusammenschluß der fortgeschrittensten Kollegen und Kolleginnen zu bewerkstelligen und die Mehrheit für eine revolutionäre, klassenkämpferische und arbeiterdemokratische Betriebs- und Gesellschaftspolitik zu gewinnen.

BETRIEBSRÄTE UND MITBESTIMMUNG

Eine zentrale Frage, über die sich alle Betriebsräte Rechenschaft ablegen sollten, ist ihr Verhältnis zur innerbetrieblichen Mitbestimmung, deren Träger sie nach den Vorstellungen der Gewerkschaften und des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) sein sollten. Die, nach dem ArbVG geregelte Mitbestimmung ist eines der entscheidenden Hindernisse für die Betriebsräte unter der Kollegenschaft die Herausbildung von Klassenbewußtsein zu fördern. Das ArbVG schreibt die Stellvertreterpolitik gesetzlich vor, und verpflichtet die „Stellvertreter der Belegschaft“, die Betriebsräte, stets auf das Wohl des Betriebes – gemeint sind die Profite – als oberstes Gebot ihres HandeIns Rücksicht zu nehmen. Es errichtet weiters zwischen der Belegschaft und deren Betriebsräten durch die Schweigepflicht und die Friedenspflicht ein schier unüberbrückbares Hindernis.

Betriebsräte werden in die Aufsichtsräte der Unternehmen geschickt, um dort umfassender in die Mitverantwortung genommen werden und besser korrumpiert werden zu können. Die Weichen der Betriebspolitik werden nicht in den Aufsichtsräten gestellt, sondern in den Konzernvorständen in Verbindung mit den Hauptaktionären und Banken. Durch den unmittelbaren Kontakt der Hauptaktionäre mit den Unternehmervorständen, ist es bei der Unternehmensstruktur ohnehin ein leichtes, unbequeme Aufsichtsräte zu übergehen. Allenfalls wahrt man im Aufsichtsrat den Banken gegenüber den Anschein von Kompetenz. Doch auch das läßt sich unter der Herrschaft des Finanzkapitals leicht anders gestalten. Die Erkenntnis über

die Rolle des Aufsichtsrates hat bei den Mitbestimmungsträgern sehr schnell dazu geführt, daß beim länger dauernden fürstlichen Bankett und Barbesuchen, nach kurzer Aufsichtsratssitzung, wenigsten in ‚fortgeschrittener Stimmung‘ einige Informationen zu erhalten wären. Es gibt kaum einen Aufsichtsrat, wo auch nur zur Bilanzsitzung den Mitbestimmungsträgern Einblick in den dafür notwendigen Wirtschaftsprüferbericht gegeben wird. Man liest die Bilanz fast eher in den Tageszeitungen, als daß sie den Aufsichtsräten in der Bilanzsitzung zugestellt werden. Solange daher das Geschäftsgeheimnis unangetastet bleibt, ist die Informationspflicht ein hohles Wort, unüberprüfbar und unkontrollierbar!

Die Mitbestimmung verschleiert den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, und die Aufgabe von Betriebsräten müßte sein, diesen Schleier lüften zu helfen. Solange aber diese Mitbestimmung nicht ersetzt werden kann durch Gegenmachtorgane der Belegschaften, die die Mitbestimmung von unten organisieren als ersten Schritt hin zur Arbeiterkontrolle, sollten die Betriebsräte ohne Illusionen in die durch das ArbVG geregelten Mitbestimmungsgremien hineingehen, um dadurch konsequent den wahren Charakter dieser Mitbestimmung vor der Kollegenschaft aufzuzeigen und zur Uberwindung der Illusionen in sozialpartnerschaftliches Handeln beizutragen. Das ist aber wiederum nur dann möglich, wenn eben Wege gefunden werden, in die Belegschaft alle Informationen und Erfahrungen der Betriebsräte innerhalb der Mitbestimmungsgremien hinein zu tragen, und das ArbVG zu umgehen.

Es scheint wenig sinnvoll zu sein, z.B. nicht in den Aufsichtsrat zu gehen, wenn die Belegschaft noch Illusionen in diese Mitbestimmungsmöglichkeit hat. Im Laufe einer Auseinandersetzung im Betrieb kann daraus ein vehementer Vorwurf der Kollegen an die Betriebsräte werden, indem diesen vorgeworfen werden kann, nicht wirklich alle Möglichkeiten des Widerstandes ausgenützt zu haben. Anstatt das aus der Auseinandersetzung, die auch im Aufsichtsrat mit aller gebotenen Vorsicht ihren Ausdruck finden müßte, eine Hebung des Klassenbewußtsein durch Überwindung sozialpartnerschaftlicher Illusionen herausgeholt wird, könnte eine Kluft zwischen Belegschaft und Betriebsräte sich hervortun, die verbunden wäre mit einer Stärkung der Illusionen in die Sozialpartnerschaft. („Mit einen besseren Betriebsrat, der auch im Aufsichtsrat auf den Tisch haut wären wir aus dem …Schneider.“)

Aus einer abstrakt richtigen Position – daß klassenbewußte Betriebsräte nichts in einem Aufsichtsrat zu suchen haben – kann, wenn sie zur falschen Zeit setzt wird, ein sektiererisches und schädigendes Verhalten gegenüber der Mehrheit der Belegschaft werden. Klassenbewußte Betriebsräte sollten immer einen Schritt vor der Belegschaft sein, aber sie sollten nicht in den Wolken schweben. Die Handlungen der Betriebsräte sollten vom Gros ihrer Belegschaften auch nach vollziehbar sein!

EINIGE SCHLUSSFOLGERUNGEN

1) Betriebsräte sind weder Ordnungsfaktor noch Gegenmacht an sich, sondern die Art und Weise ihre Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit entscheidet darüber. In dem Ausmaß, indem sie sich zum Stellvertreter der Belegschaft machen oder auch machen lassen, indem Ausmaß besteht die Gefahr, daß sie zum Ordnungsfaktor, zum Handlanger des Unternehmers werden. Hingegen, wenn sie sich auf das klassenbewußte Denken und Handeln der Kollegenschaft stützen, danach streben dieses entwickeln und organisieren zu helfen, können sie zu einem Teil der betrieblichen Gegenmacht der Arbeiterschaft werden.

2) Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein. Die Entwicklung von Klassenbewußtsein und Gegenmacht kann nur in diese Richtung gehen. Die Betriebsräte müssen sich letztendlich in den Dienst dieser Zielrichtung stellen, die aber nicht nur ein Bekenntnis zur proletarischen Revolution beinhaltet, sondern auch der Schlüssel ist, unter den gegebenen veränderten Bedingungen durch die kapitalistische Weltwirtschaftskrise, die unmittelbaren Interessen der werktätigen Massen zu vertreten und zu befriedigen. Das heißt, die Interessensvertretung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.

3) Durch sozialpartnerschaftliches Verhandeln ist immer weniger für die Kollegenschaft herauszuholen. Nur wenn neben der Faust des Betriebsrates auch die geballte Faust der Belegschaft auf den Tisch des Unternehmers knallt, sind eventuell noch Verbesserungen herauszuholen. In den meisten Fällen handelt es sich aber bei den betrieblichen Konflikten nicht mehr um Versuche die Lage der Belegschaften zu verbessern, sondern Angriffe der Unternehmer auf den Lebensstandard der Arbeiterschaft abzuwehren. Die Unternehmer gehen dabei geplant und gezielt vor, wo hingegen die Betriebsräte leider nur allzu oft isoliert, auf den kleinen Bereich ihres Betriebes beschränkt bleiben. Der Zusammenschluß und die Vereinheitlichung der Betriebsräte und Belegschaften -zuerst auf regionaler, dann auf nationaler Ebene -stellt daher eine der dringendsten gegenwärtigen Aufgaben dar.

4) Leider wird in der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie, die die Organisierung des Zusammenschlusses der Betriebsräte und Belegschaften zur Aufgabe hätte, die Stimme des einfachen Mitgliedes erst dann vernommen, wenn es bereits Betriebsrat bzw. Jugendvertrauensmann ist. Dadurch sind die untersten Instanzen die Betriebsräte, die aber nur alle drei Jahre von ihren Belegschaften gewählt werden. Dies hat weitreichende Folgen, denn dadurch begibt sich die Gewerkschaft freiwillig in das Gefängnis des ArbVG, das sie aufgrund ihrer sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung ja auch heftig verteidigen. Von daher wird dann auch Klassenbewußtsein und konsequenter Klassenkampf als Berdohung betrachtet und bekämpft.

5) Einer Ausrichtung auf das klassenbewußte Denken und Handeln stehen daher die Gewerkschaftsapparatschiks äußerst feindlich gegenüber, und um ihre Positionen unangreifbar zu machen, haben sie ein bürokratisches Regime in der Organisation errichtet. Oppositionelle und klassenbewußte Betriebsräte werden auf Schritt und Tritt von diesem Bürokratismus gehemmt und unter Druck gesetzt. Auf Betriebsrätekonferenzen und Ortsgruppensitzungen -die viel zu selten stattfinden – tritt die meistens gut organisierte Bürokratie den vereinzelten oppositionellen Betriebsräten energisch entgegen. Nur wenn die oppositionellen Betriebsräte sich ebenfalls zusammenschließen – ungeachtet ihrer politischen Herkunft und Zugehö.rigkeit – haben sie tatsächlich eine Chance den Einfluß der gewerkschaftsschädigenden Bürokratie zurückzudränken, die Zersplitterung der Belegschaften, die auch die ihre ist, aufzuheben, und die Angriffe des Kapitals erfolgreich abzuwehren.

6) Der Zusammenschluß erfolgt jedoch nicht über Nacht, sondern nur als Ergebnis eines Diskussionsprozesses. Den hingegen gilt es bereits heute in Gang zu setzen. Dieser Diskussionsartikel soll der Initiierung einer solchen Diskussion dienen. Darüber hinaus wäre die Bildung einer überfraktionellen Betriebs- und Gewerkschaftszeitung anzustreben, die der kollektive Organisator dieser Diskussion und

kollektiver Propagandist ihrer Ergebnisse sein sollte. Diese Zeitung soll die zersplitterten oppositionellen Betriebsräte, Kollegen und Kolleginnen zusammenführen und ihnen auch eine Hilfe bei ihrer eigenen Betriebsarbeit sein.

Wien, am 4.Mai 1986

Peter Haumer