Bernhard Redl: Das Streikrecht steht in Frage + Antwort von Stefan Steindl

 Stefan Steindl:

Liebe KollegInnen,

 betreffend: Bernhard Redl: Das Streikrecht steht in Frage

 So vage sind die Verfassungsbestimmungen nicht. Das Koalitionsgesetz von 1870 sagt ( http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001676 ):

 „§ 2. Verabredungen von Arbeitgebern (Gewerbsleuten, Dienstgebern, Leitern von Fabriks-, Bergbau-, Hüttenwerks-, landwirthschaftlichen oder anderen Arbeitsunternehmungen), welche bezwecken, mittelst Einstellung des Betriebes oder Entlassung von Arbeitern diesen eine Lohnverringerung oder überhaupt ungünstigere Arbeitsbedingungen aufzuerlegen; – sowie Verabredungen von Arbeitnehmern (Gesellen, Gehilfen, Bediensteten, oder sonstigen Arbeitern um Lohn), welche bezwecken, mittelst gemeinschaftlicher Einstellung der Arbeit von den Arbeitgebern höheren Lohn oder überhaupt günstigere Arbeitsbedingungen zu erzwingen; – endlich alle Vereinbarungen zur Unterstützung derjenigen, welche bei den erwähnten Verabredungen ausharren, oder zur Benachtheiligung derjenigen, welche sich davon lossagten, haben keine rechtliche Wirkung.

 § 3. Wer, um das Zustandekommen, die Verbreitung oder die zwangsweise Durchführung einer der in dem §. 2 bezeichneten Verabredungen zu bewirken, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer an der Ausführung ihres freien Entschlusses, Arbeit zu geben oder zu nehmen, durch Mittel der Einschüchterung oder Gewalt hindert oder zu hindern versucht, ist, sofern seine Handlung nicht unter eine strengere Bestimmung des Strafgesetzbuches fällt, von dem Gerichte mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten wahlweise mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.“

 Bedeutet: Verabredungen von ArbeitnehmerInnen zwecks gemeinschaftlicher Einstellung der Arbeit haben keine rechtliche Wirkungen, können also nicht bestraft werden. Mehr noch, § 3 sagt: Wer solch eine Verabredung verhindert macht sich selbst dadurch strafbar. Über Artikel 12 des Staatsgrundgesetzes 1867 ist das verfassungsrechtlich eindeutig abgesichert: „Artikel 12. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt.“

Es gilt auch das Neutralitätsgebot und die staatliche Anerkennung der Kampfparität: Aussperrung und Arbeitsverweigerung müssen als Mitteln zugelassen werden.

Das geht soweit, dass es Leiharbeitsfirmen verboten ist, Arbeitskräfte für bestreikte oder von Aussperrung betroffene Betriebe zu entsenden (§ 9 AÜG). Es darf nicht einmal eine Arbeitserlaubnis für solche Betriebe ausgestellt werden (§ 10 AuslBG). Zivildienstleistende müssen einen anderen Betrieb zugewiesen werden, wenn ein Betrieb bestreikt wird oder von Aussperrung betroffen ist (§ 18 ZDG). Und eine Beschäftigung ist für Arbeitslose dann nicht zumutbar wenn der Betrieb bestreikt wird oder von Aussperrung bedroht ist (§ 9. AlVG).

 Der Vergleich mit den blockierten Baustellen ist somit unzulässig, weil in Österreich klar durch ein verfassungsrechtlich gedecktes Gesetz die Verabredung zu einen Streik erlaubt ist (KoalitionsG 1870). Dazu gibt es auch schon etliche Rechtsurteile.

Was natürlich nicht sein darf, dass Streikbrecher oder anderen Personen von der Arbeit oder Zugang zum Betrieb abgehalten werden. Dann sieht man bei den Fotos immer wieder, wie sich Bosse durch einfach dastehende ArbeiterInnen „durchkämpfen“ müssen, sich dünn machen müssen, um vorbei zu kommen. Also Fabriksbesetzungen wären rechtswidrig.

 Es ist gut, dass es in Österreich diese vagen Bestimmungen gibt, einerseits ist die Verabredung zur Arbeitsniederlegung erlaubt, andererseits sind die Gesetze doch so vage, dass ein Verbot bzw. eine zivilrechtliche Klage durch Gericht keine Aussicht auf einen Erfolg hätte.

 lg

Stefan

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STEFAN STEINDL

Betriebsrat

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Bernhard Redl:

Der Arbeitskonflikt bei der KBA könnte den sozialpartnerschaftlichen Konsens der Zweiten Republik sprengen. (Zur aktuellen Entwickung siehe die Nachbemerkung.)

 Es ist eine politische Bombe. Noch ist sie nicht hochgegangen. Doch sie tickt schon lange — seit der Zeit, als sich die Arbeiterbewegung noch in der Monarchie das Streikrecht erkämpfte. Denn dieses Streikrecht ist in Österreich so gut wie gar nicht rechtlich codifiziert.

 Als die Arbeiterbewegung so stark war, daß das Kapital froh sein mußte, wenn es nur mittels Arbeitsniederlegung und dem Blockieren von Streikbrechern bekämpft wurde, akzeptierten Unternehmertum und Kapitalparteien dieses informelle Streikrecht. Nach der Zeit des Faschismus wollte man auch nicht daran rühren und nach der großen Streikbewegung von 1950 etablierte sich die Sozialpartnerschaft.

Streiks sollten in Hinkunft verhindert werden — darin waren sich Sozialpartner und die Partner der großen Koalitionen einig. Es gab ja auch im Wirtschaftswunder genug zu verteilen — die Streikdrohung blieb als nur theoretisches Kampfmittel der Gewerkschaften im Raum.

Ein formelles Streikrecht brauchte niemand und selbst wenn es zu Streiks kam, wollte es niemand. Denn der heute rund hundertjährige Rechtsusus war beiden Seiten recht. Weder wollte die Kapitalseite ein eindeutiges Recht auf Streik noch wollten die Gewerkschaften sich Bedingungen diktieren lassen, unter welchen Umständen ein Streik rechtmäßig sei.

 Rudimentär gibt es ein gesetztes Streikrecht, daß sich aber hauptsächlich aus vagen Verfassungsbestimmungen, ebensolchen der Menschenrechtskonvention, einigen Nebenbemerkungen in ein paar Gesetzen sowie Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofs als auch einem EuGH-Urteil von 2007 ableitet. Das ist zwar alles eindeutig — aber nur nach der Lesart des ÖGB. Die Wirtschaftskammer besteht darauf, daß es weder ein gesetztes noch ein richterliches Recht auf Streik in Österreich gibt — und formal ist auch diese Lesart vertretbar.

 Bislang war das alles allerdings graue Theorie. Bis vor wenigen Tagen.

Galt es bislang als österreichischer Konsens, daß Streik legal sei, solange es sich um einen Tarifkonflikt oder ähnlichen Arbeitskampf handelt, und Streikende weder arbeitsrechtlich noch zivilrechtlich noch strafrechtlich belangt werden können, ist das jetzt möglicherweise alles anders.

 Zivilklagen denkbar…

 Schuld ist ein deutscher Konzern, der den österreichischen Konsens nicht zu akzeptieren bereit ist. Die Streikenden bei der KBA sind nun damit konfrontiert, daß die „Konzernmutter“ des Druckmaschinenherstellers, die deutsche Koenig & Bauer, ganz andere Ansichten über das Streikrecht hat. In einer unverhüllten Drohung des Vorstands der KBA heißt es, daß „Streik oder sonstige Formen des Arbeitskampfes“ nicht toleriert werden könnten. Die Geschäftsleitung versteigt sich sogar zu der Aussage: „Derartige — nach österreichischem Recht unzulässige — Kampfmaßnahmen werden hiermit ausdrücklich untersagt.“ Eine Firma, die meint, man müsse sie um Erlaubnis fragen, ob man streiken darf — das hat man hierzulande überhaupt noch nicht gehört. Doch nicht nur das, sondern man meint bei der KBA auch, daß ein Streik eine fristlose Entlassung inclusive eines Verlustes der Abfertigung rechtfertigen würde. Und sogar zivilrechtlich wolle man gegen die angeblich „sehr geehrten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ vorgehen: „Darüber hinaus wäre der Vorstand aus rechtlichen Gründen gezwungen, Sie für sämtliche Schäden, die durch eine Kampfmaßnahme verursacht werden (insb. durch Liefer- und Produktionsausfälle), gerichtlich in Anspruch zu nehmen, wofür sie mit ihrem gesamten Vermögen haften.“

 … und gar nicht so absurd

 Das ist natürlich der Überhammer. Ist es denkbar, daß so eine Klage möglich ist oder überhaupt durchgehen könnte? Es erscheint absurd, es gibt aber in der österreichischen Rechtsgeschichte eine Analogie, die einem zu denken geben müßte. Solange die Umweltbewegung stark war, war es ein absolutes No-Go, das Blockieren von Baustellen oder Industrieanlanagen anders als Verwaltungsübertretungen zu ahnden. Als aber die Umweltbewegung begann sich zu institutionalisieren und damit aktionistisch in ihrer Mobilisierungskraft nachließ, kam ein Bauherr plötzlich auf die Idee, zivilrechtlich gegen Blockierer vorzugehen — Stehzeiten von Baumaschinen und ähnliches wurden plötzlich verrechnet und es kam zu Millionenklagen — die dann auch prinzipiell vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. 1994 führte dieser aus: „Das verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsrecht findet dort seine Schranken, wo durch die Versammlung in die Privatrechtssphäre Dritter eingegriffen wird. Die dem Dritten zustehenden privaten Rechtsbehelfe können somit grundsätzlich nicht unter Berufung auf das verfassungsmäßig gewährleistete Versammlungsrecht gemindert oder sogar aufgehoben werden. … Von einer Überordnung des Versammlungsrechtes gegenüber dem Eigentumsrecht kann somit nicht gesprochen werden.“ (OGH 3Ob501/94)

 Aber was hat das mit dem Streikrecht zu tun? Tatsächlich leitet ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) aus dem Recht auf Versammlungsfreiheit (Art. 11 EMRK) ein prinzipielles Streikrecht ab — was ein beliebtes Rechtsargument der Gewerkschaft ist. Doch das steht auf tönernen Füssen und könnte mit obiger OGH-Rechtssprechung ausgehebelt werden — vor allem in Fällen, auf den das erwähnte EGMR-Urteil nicht anwendbar erscheint.

 Die Analogie ist auch dadurch zu rechtfertigen, daß man sich lange Zeit auf den Rechtsusus, daß Zivilklagen bei Baustellenblockaden nicht üblich sind, verlassen und sie als Gewohnheitsrecht angesehen hat — ähnlich ist es bei den zentralen Punkten des österreichischen Streikgewohnheitsrechts. Sicher gibt es da bessere Grundrechtsargumente als bei Umweltaktionen. Auch könnte man Artikel

28 der Europäischen Grundrechtscharta (EGC) ins Treffen führen. Dort heißt es, Arbeitnehmer-Organisationen hätten das Recht, „bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks“ zu ergreifen. Nur ist nach wie vor weder die unmittelbare Anwendbarkeit der EGC klar noch ist dies unbedingt ein Schutz vor Kündigung und Zivilklagen — damit ließe sich wahrscheinlich lediglich eine strafrechtliche Klage abwenden.

 Politik gefordert

 Das geschriebene und ungeschriebene Arbeitsrecht fußt auf einer langen Geschichte von politischen Kämpfen. In einer Zeit, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad und auch die Streikfähigkeit immer geringer wird, ist der spärliche Rest an Arbeiterbewegung, der noch vorhanden ist, auf den Goodwill des Kapitals angewiesen. Man muß heute wohl wirklich über ein gesetzliches Streikrecht nachdenken. Wie das allerdings unter den derzeitigen Umständen aussehen würde, kann man sich ausmalen.

 Vielleicht kann man diesmal auch noch ein wenig am Zünder dieser

arbeits- und demokratiepolitischen Bombe herumdrehen. Wahrscheinlich wird sich die Gewerkschaft von diesen Drohungen — und den im Klagsfalle möglicherweise daraus resultierenden Höchstgerichtsurteilen — einschüchtern lassen und den Beschäftigten bei KBA einreden, sie sollten sich auf einen miesen Deal einlassen.

Wenn das aber durchgeht, wird demnächst der nächste Konzern den bisherigen österreichischen Konsens in Frage stellen.

 Über kurz oder lang wird man daher wohl über eine politische Lösung diskutieren müssen. Die Zeit des sozialpartnerschaftlichen „Mir wern kann Richter brauchen“ scheint auf alle Fälle abzulaufen.

 *Bernhard Redl* (10.2.2014)

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 Nachbemerkung:

 Nach Redaktionsschluß wurde bekannt, daß der KBA-Streik beendet ist — mit einem, wie zu erwarten war, lausigen Ergebnis: Statt 460 werden nur 385 Stellen von insgesamt etwa 700 gestrichen. Nach wie vor wird befürchtet, daß dies nur der erste Schritt zur völligen Schließung aller Standorte in Österreich ist. Die Strategie der Drohungen scheint aufgegangen zu sein, die Rechtsunsicherheit besteht jedoch weiterhin.