Anton Pelinka: Christliche Arbeiterbewegung und Austrofaschismus

Die Christliche Arbeiterbewegung in Österreich stützte sich auf zwei Arten von Organisationen. Neben die in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts gegründeten Christlichen Arbeitervereine traten am Beginn des 20. Jahrhunderts die Christlichen Gewerkschaften. Gemeinsame Jugendverbände, gemeinsame Presseorgane,

Die Christliche Arbeiterbewegung war Teil des christlichsozial-konservativen Lagers. Sowohl Arbeitervereine als auch Gewerkschaften waren damit der Christlichsozialen Partei verbunden. Arbeitervereine und Gewerkschaften akzeptierten von Anfang an diese Zugehörigkeit und damit die Führungsrolle der Parteiführung der Christlichsozialen. Kunschak, Spalowsky und andere Repräsentanten der Christlichen Arbeiterbewegung waren auch führende Vertreter der Christlichsozialen Partei. Die Christlichsoziale Arbeiterbewegung war eine Vorfeldorganisation der Christlichsozialen Partei. (2)
Die Christliche Arbeiterbewegung erfüllte für das christlichsozial-konservative Lager vor allem die Aufgabe, den Anspruch glaubhaft zu machen, dieses Lager wäre eine Gemeinschaft, die Interessen und Klassen übergreifend vereinigen könnte. Die Christliche Arbeiterbewegung sollte für das Lager das vorwegnehmen, was die Katholische Soziallehre als Lösung der „sozialen Frage“ propagierte: die „Entproletarisierung des Proletariats“, die Aufhebung des Klassengegensatzes durch Klassenintegration. (3)
Als Arbeiterbewegung waren die Arbeitervereine und die Gewerkschaften des christlichsozial-konservativen Lagers freilich in einer eindeutigen Minderheitsposition gegenüber der Sozialdemokratie und den dieser Partei eng verbundenen Freien Gewerkschaften. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei hatte von Anfang an die Christliche Arbeiterbewegung zu einer verhältnismäßig kleinen Minderheitsströmung innerhalb der organisierten Arbeiterschaft gemacht.
Am Beginn der 1. Republik war die Bedeutung der Christlichen Arbeiterbewegung nur in einigen Sektoren und Regionen mehr als das Gewicht einer unbedeutenden Gruppierung: Generell war die Christliche Arbeiterbewegung im Westen der Republik relativ stärker als im Osten; und ganz allgemein war das Gewicht der Arbeitervereine und der Christlichen Gewerkschaften in den nicht industriellen Berufsgruppen stärker. Bei den Landarbeitern und bei den Hausgehilfinnen, bei den öffentlich Bediensteten und bei den Arbeitnehmern in kleinen Gewerbebetrieben lag die relative Stärke der Christlichen Arbeiterbewegung. (4) In industriellen Großbetrieben dominierten ganz eindeutig hingegen die Sozialdemokratie und die Freien Gewerkschaften.
Die Entwicklung der 1. Republik ermöglichte jedoch eine Stärkung der Christlichen Arbeiterbewegung. Die Mitgliederzahl der Christlichen Gewerkschaften stieg innerhalb von 15 Jahren um mehr als das Fünffache. Am Ende der Republik besaßen die Christlichen Gewerkschaften eine offenkundig immer stärker werdende Position, während die Mitgliederzahlen der Freien Gewerkschaften schon rückläufig waren. (5)
(…)
Diese relative und absolute Stärkung der Christlichen Arbeiterbewegung am Ende der Republik war jedenfalls auch Ausdruck der verschobenen Machtverhältnisse. Die Christlichsoziale Partei als Regierungspartei konnte in vielen Bereichen eine die Christlichen Gewerkschaften begünstigende Personalpolitik betreiben – die „Umpolitisierung“ des Bundesheeres durch den christlichsozialen Heeresminister Vaugoin ist dafür ein wichtiger Beleg. (7) Oberdies wirkte sich die ab 1929 voll einsetzende Massenarbeitslosigkeit gegen die Freien Gewerkschaften aus, da die Mitgliedschaft bei einer sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaft immer mehr als Nachteil empfunden werden mußte – und die Christlichen Gewerkschaften boten sich als eine gewerkschaftliche Alternative an, die, ohne „gelb“ zu sein (wie etwa die von der Heimwehr begünstigten „Unabhängigen“ Gewerkschaften‘ ‚), dennoch ein harmonisches Verhältnis mit Arbeitgebern und Regierung zu garantieren schien.
Am Ende der Republik war jedenfalls die Christliche Arbeiterbewegung Teil des Regierungslagers. In einer doppelten Minderheitsposition war sie einerseits in einer strategischen Schlüsselrolle – mußte doch die von der Regierung und der Christlichsozialen Partei angestrebte Schwächung der Sozialdemokratie sich zugunsten vor allem der Christlichen Arbeiterbewegung auswirken. Andererseits war die Christliche Arbeiterbewegung als Minderheit im christlichsozial-konservativen Lager, das mehrheitlich von bäuerlichen und bürgerlichen Interessen bestimmt war, und als Minderheit innerhalb der mehrheitlich sozialdemokratisch ausgerichteten Arbeiterbewegung einem ständigen Zerreißprozeß ausgesetzt.
Minderheit im eigenen Lager, Minderheit in der eigenen Bewegung: In diesem Spannungsfeld befand sich die Christliche Arbeiterbewegung, als die Führung der Regierung und der Partei, eben des Lagers, dem sich die Christliche Arbeiterbewegung zugehörig fühlte, bewußt daranging, Parlamentarismus und Demokratie schrittweise zu beseitigen.
Die Christliche Arbeiterbewegung und das Ende der Republik
Die Christliche Arbeiterbewegung war innerhalb des christlichsozial-konservativen Lagers ganz bestimmt keine Kraft, die den Weg zur Diktatur vorantreiben wollte. Vielmehr befand sie sich in einem heiklen Spannungsverhältnis zum Heimatschutz, dessen offen faschistische und antidemokratische Ausrichtung auch von den Organen der Christlichen Arbeiterbewegung kritisiert wurde. (8) Von allen Teilorganisationen des Lagers war die Christliche Arbeiterbewegung sicherlich die am wenigsten vom Faschismus infizierte, fühlte sie sich sicherlich am stärksten der Demokratie schlechthin verpflichtet. (9)
Dennoch erlag die Christliche Arbeiterbewegung den Einflüssen und Tendenzen, die an die Stelle der demokratischen Republik einen „autoritären Ständestaat“ setzen wollten. Die Christliche Arbeiterbewegung folgte zögernd, aber eben doch der Regierung Dolifuß auf dem Weg zu Diktatur.
Für die Haltung der Christlichen Arbeiterbewegung zwischen März 1933 und Februar 1934 war die Politik gegenüber den Arbeiterkammern signifikant. Die Regierung Dollfuß wollte die längst überfällige Wahl in die Kammern für Arbeiter und Angestellte verhindern. Am 21. Dezember 1933 setzte die Bundesregierung auf dem Verordnungsweg für die Arbeiterkammer Verwaltungskommissionen ein, die direkt dem Bundesminister für Soziale Verwaltung unterstellt waren und die die gewählten Einrichtungen in den Kammern ersetzten sollten. An die Stelle demokratisch gewählter Organe traten Regierungsvertreter. Auf diese Weise sollte das demokratisch begründete Übergewicht der Freien Gewerkschaften in den Arbeiterkammern ins Gegenteil verkehrt werden. (10)
Als die Freien Gewerkschaften es ablehnten, das Angebot des Sozialministers Schmitz anzunehmen und eine Minderheitsposition in den Verwaltungskommissionen zu akzeptieren, wurden sie von den Christlichen Gewerkschaften deshalb kräftig kritisiert. Die Freien Gewerkschaften hatten mit ihrem Nein Anfang 1934 nur klargestellt, daß sie einer solchen Vorgangsweise nicht den Schein von demokratischer Legitimität verleihen wollten. Die Christliche Arbeiterbewegung kritisierte nicht nur diese Haltung der Freien Gewerkschaften, sie akzeptierte auch die vom Bundesminister für Soziale Verwaltung verliehene Mehrheitsposition. Staud, Sekretär der Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften, wurde Vorsitzender der mit Abstand wichtigsten Arbeiterkammer – der Kammer für Wien und Niederösterreich. Die 11 von der Regierung besetzten Mandate in der Verwaltungskommission dieser Kammer teilten sich 6 Vertreter der Christlichen Gewerkschaften mit 3 Repräsentanten der „Unabhängigen“ und 2 Repräsentanten der Deutschnationalen Gewerkschaften. (11)
Am Vorabend des Bürgerkrieges und der offenen Diktatur hatte die Christliche Arbeiterbewegung aus den Händen der Regierung eine Funktion übernommen, die nach allen nur denkbaren demokratischen Maßstäben nicht ihr, sondern der Sozialdemokratie und den Freien Gewerkschaften zugestanden wäre.
Am 9. Februar 1934 hielt Kunschak, langjähriger Obmann der Christlichen Arbeitervereine und führender Politiker innerhalb der Christlichsozialen Partei, im Wiener Gemeinderat seine historische Rede: „Gebe Gott, daß sich die Zerrissenheit des Geistes und der Seele von unserem Volk und seinen Führern bald hebe, ehe Volk und Land an Gräbern steht und weint.'“ (12)
Diese Zwiespältigkeit kennzeichnete die gesamte Einstellung der Christlichen Arbeiterbewegung. Einerseits versuchte sie, wie Kunschak dies ausdrückte, den Bürgerkrieg zu vermeiden, Kompromisse auch mit der Sozialdemokratie herbeizuführen; den Heimwehrflügel des eigenen Lagers zu bremsen. Andererseits war sie bereit, Nutzen aus dem Weg in die Diktatur zu ziehen, Positionen zu übernehmen, die mit den Mitteln des offenen Verfassungsbruches der Sozialdemokratie weggenommen worden waren.
Als demokratisches Gewissender Christlichsozialen Parteiund des christlich-konservativen Lagers war die Christliche Arbeiterbewegung immer in Versuchung, letztlich doch loyal zur Politik der Führung – auch der Führung durch Bundeskanzler Dollfuß – zu stehen; und sei es nur, um durch die Teilnahme an dieser Politik Ärgeres zu verhindern und demokratische Ansprüche aufrecht zu erhalten.
Die Christliche Arbeiterbewegung im „Autoritären Ständestaat“
Die Christliche Arbeiterbewegung gehörte zu den Siegern des Bürgerkrieges vom Februar 1934. Der Freiheitsbund hatte auf der Seite der Regierungsgruppen gekämpft, gemeinsam mit den Einheiten der Heimwehren. Die Christliche Arbeiterbewegung konnte daher auch einen Platz im nun offen und uneingeschränkt diktatorischen System beanspruchen, das mit der Verfassung vom 1. Mai 1934 zum „autoritären Ständestaat“ wurde.
Die Christlichen Gewerkschaften lösten sich, nach dem Verbot der Freien Gewerkschaften, selbst auf. (13) Sie übernahmen jedoch gleichzeitig die führende Rolle im durch Verordnung der Regierung am 2. März 1934 geschaffenen „Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten“. Diese Einheitsgewerkschaft sollte mit dem Spannungsverhältnis der Richtungsgewerkschaften Schluß machen – gleichzeitig jedoch wurde dieses Spannungsverhältnis zu einem wohl unüberbrückbaren Gegensatz verschärft, weil die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften ihre gewaltsame Zurückdrängung nicht akzeptieren konnten und wollten.
Der Vorstand des Gewerkschaftsbundes wurde vom Bundesminister für Soziale Verwaltung bestellt. Der Präsident (Staud) und sechs weitere der insgesamt zwölf Vorstandsmitglieder kamen aus den Reihen der Christlichen Gewerkschaften. Drei Vorstandsmitglieder waren ehemalige „Unabhängige“, also Repräsentanten der Gewerkschaften des Heimatschutzes. Ein Vertreter der Deutschnationalen und ein ehemaliger Funktionär der Freien Gewerkschaften komplettierten den Vorstand. (14)
Der regierungsabhängige Gewerkschaftsbund war somit von der Christlichen Arbeiterbewegung dominiert. Dennoch war der Gewerkschaftsbund nicht einfach deckungsgleich mit den Christlichen Gewerkschaften. Nicht nur die Mitwirkung der kleinen, anderen Gruppierungen des Regierungslagers, vor allem die Positionen der „Unabhängigen“, verhinderte eine vollständige Identität. Der starke Anstieg des Mitgliederstandes des Gewerkschaftsbundes und des „Berufsverbandes“ Industrie und Bergbau waren auch und vor allem das Ergebnis eines verstärkten Beitrittswillens der Mitglieder der früheren Freien Gewerkschaften. Industrie und Bergbau, traditionell eben nicht von den Christlichen Gewerkschaften, sondern von den Freien Gewerkschaften geprägt, wurden dennoch zum wichtigsten „Berufsverband“ des Gewerkschaftsbundes.
(…)
.Doch die bloße Existenz des Gewerkschaftsbundes sicherte der ChristIichen Arbeiterbewegung eine wesentliche Position innerhalb des Austrofaschismus. Deshalb. mußten Staud, Kunschak und die anderen Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung die Politik des Heimatschutzes als direkte Bedrohung empfinden, die im Gewerkschaftsbund nur ein Übergangsstadium auf dem Weg zum perfekten Korporatismus italienischen Zuschnitts sah. Der erste Sozialminister des Ständestaates, Neustädter-Stürmer, führender Vertreter des Heimatschutzes, gleichzeitig unmittelbarer Vorgesetzter des regierungsabhängigen Gewerkschaftsbundes, provozierte wegen eben dieser Politik einen offenen Konflikt mit Kunschak und Staud. Die Ablösung Neustädter-Stürmers bedeutete auch einen Erfolg der Christlichen Arbeiterbewegung im Machtkampf innerhalb des Systems. (16) Der neue Sozialminister, Dobretsberger, stand der Christlichen Arbeiterbewegung äußerst freundlich gegenüber.
Die Christliche Arbeiterbewegung beherrschte, neben dem Gewerkschaftsbund, auch die direkt politisch gedachte, zweite Vertretung der Arbeitnehmer innerhalb des Ständestaates – die Soziale Arbeitsgemeinschaft (SAG). Am 31. März 1935 durch einen „Bundesbefehl“ des Bundesführers der Vaterländischen Front, Starhemberg, errichtet, stand die SAG von Anfang bis kurz vor dem Ende unter der Führung Großauers. Großauer; zunächst auch noch Staatssekretär im Bundesministerium für Soziale Verwaltung, kam aus den Reihen der Christlichen Gewerkschaften. Als „Bundesleiter“ der SAG wurde er in den letzten Tagen des Ständestaates, im Zuge der Regierungsumbildung vom 15. und 16. Februar 1938, von Hans Rott abgelöst, der ebenfalls aus der Christlichen Arbeiterbewegung kam. (18)
Auch die Leitung der Organisation der SAG in den einzelnen Bundesländern lag in den Händen der Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung. Freilich wurde die SAG stärker noch als der Gewerkschaftsbund gegenüber der illegalen Linksopposition geöffnet, beziehungsweise von den (illegalen) Freien Gewerkschaften und auch von den Kommunisten als Instrument möglicher Veränderungen innerhalb des Systems genutzt. (19) Die SAG war jedenfalls in den letzten Monaten des „autoritären Ständestaates“ der Boden, der am ehesten für Kontakte zwischen der Christlichen Arbeiterbewegung, beziehungsweise dem Regierungslager und der Linksopposition geeignet schien.
Die Aufgabe des Gewerkschaftsbundes im „autoritären Ständestaat“ war – offiziell – die Wahrnehmung sozialer (nicht politischer) Interessen der Arbeitnehmer. Die Aufgabe der SAG war die politische Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Rahmen der Einrichtungen des Ständestaates, vor allem im Rahmen der Vaterländischen Front. Neben diesen beiden Instrumenten besaß die Christliche Arbeiterbewegung jedoch auch noch andere Möglichkeiten, im Ständestaat Politik zu machen, sich mit dem Ständestaat zu identifizieren. Mit Großauer als Staatssekretär im Sozialministerium (1934 -1935), mit Rott in derselben Funktion (1936 -1938), der in den letzten Wochen des Ständestaates auch Minister ohne Portefeuille wurde, war die Christliche Arbeiterbewegung auch in den Regierungen Dollfuß und Schuschnigg vertreten (20) – allerdings verhältnismäßig bescheiden, gleichsam als kleiner und schwacher Koalitionspartner der stärkeren Gruppierungen. Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung waren auch in andere Institutionen des Ständestaates und der Vaterländischen Front eingebaut. Der Christlichen Arbeiterbewegung als voll integrierter Bestandteil des Systems kam dabei die Aufgabe zu, das soziale Gewissen und die sozialpolitischen Versprechungen des Ständestaates glaubhaft zu machen. Gleichzeitig griff die Christliche Arbeiterbewegung jene Tendenzen innerhalb des Regierungslagers an, die – offen und uneingeschränkt faschistisch – jeder Arbeiterbewegung, auch einer regierungsabhängigen, die Existenzberechtigung im korporativen Staat absprechen wollten. (21) Die christliche Arbeiterbewegung wurde, in ihren teilweise offenen, teilweise verstärkten Auseinandersetzungen vor allem mit dem Heimatschutz, auch zu einer Art inneren Opposition -sie stand innerhalb des Systems für mehr soziale Gerechtigkeit, auch für „ständische Demokratie“ im Sinne einer Verbindung von (nichtparlamentarischer) Demokratie mit dem Grundgedanken eines ständischen Staa tswesens.
Die Grenze dieser inneren Opposition war die Grenze des Systems selbst. Die Christliche Arbeiterbewegung opponierte im System gegen bestimmte Tendenzen des Systems. Sie verweigerte sich jedoch allen Richtungen, die eine Opposition zum System vertraten.
Die Christliche Arbeiterbewegung und die Opposition zum System
Die Christliche Arbeiterbewegung hatte am Beginn der Ära des Austrofaschismus neue Organisationsformen angenommen. Die Arbeitervereine wandelten sich schon bald nach den Kämpfen des Februar 1934 in nun offiziell „unpolitische“ Vereine, die im „Bund katholischer Arbeiter Österreichs“ zusammengefaßt waren. (22) Die Christlichen Gewerkschaften waren im Gewerkschaftsbund aufgegangen. Mit diesem Wandel der Organisationsformen war auch ein Wandel der Beziehungen zur früher übermächtigen Konkurrenz innerhalb der Arbeiterbewegung eingetreten: Die Sozialdemokratie und die Freien Gewerkschaften waren nun im Untergrund, sie bekämpften aus der Illegalität heraus das System, in dem die Christliche Arbeiterbewegung Juniorpartner war.
Die Christliche Arbeiterbewegung versuchte zumeist, die teilweise exilierte Führung der Sozialdemokratie von deren Gefolgschaft zu trennen und die sozialdemokratischen Massen für sich und damit für den Ständestaat zu gewinnen. Die Sozialdemokraten wurden zur Mitarbeit eingeladen – freilich unter der Voraussetzung, daß sie ihre früheren Positionen als „Irrtum“ einbekannten und sich der Führung der Christlichen Arbeiterbewegung im
Gewerkschaftsbund und in der SAG unterstellten.
Die Christliche Arbeiterbewegung betrieb eine Politik der Öffnung und der Integration gegenüber der Linksopposition – freilich als Einladung zur Eingliederung in den Austrofaschismus. Für diese Politik waren die Vertrauensmännerwahlen Ende 1936 typisch. Dieser erste und einzige Schritt in Richtung Demokratisierung der betrieblichen Vertretungen – die Vertrauensmänner hatten ähnliche Kompetenzen wie die Betriebsräte, freilich in geringerem Umfang – war von der Christlichen Arbeiterbewegung und vom Gewerkschaftsbund gewünscht und betrieben worden. Gleichzeitig hatten die zumeist aus der Christlichen Arbeiterbewegung kommenden Gewerkschaftsfunktionäre die Regimetreue der Kandidaten zu überprüfen jeder Wahlvorschlag mußte von der Gewerkschaft und der Vaterländischen Front überprüft werden. Damit sollte sichergestellt werden, daß die durch die Wahlen angestrebte Beteiligung sozialdemokratischer Arbeiter und Angestellte nichts an der Ausrichtung der regierungsoffiziellen Arbeitervertretung zu ändern vermochte. (23)
Die Christliche Arbeiterbewegung hatte gegenüber der illegalen Linksopposition ihr Monopol zu verteidigen. Jede Aussöhnung mit der Linken, etwa zur Rettung der Unabhängigkeit Österreichs, mußte das Monopol der Christlichen Arbeiterbewegung brechen; mußte der Sozialdemokratie den demokratisch begründeten Führungsanspruch auf die Gewerkschaftsbewegung zurückgeben. Deshalb war es nicht die Christliche Arbeiterbewegung, sondern die von ihr teils versteckt, teils offen bekämpfte „Aktion Winter“, von der die wichtigsten Impulse zur Versöhnung mit der Sozialdemokratie ausgingen. Impulse, die freilich erst zu spät zu Kontakten führten, die der österreichischen Unabhängigkeit hätten nützlich sein können. (24)
Die „Politik der Bekehrung“ gegenüber der Sozialdemokratie hatte eine Aussöhnung mit der nach wie vor existenten illegalen freien Gewerkschaftsorganisation und mit den Revolutionären Sozialisten unmöglich gemacht. Dennoch betonte die Christliche Arbeiterbewegung immer wieder, daß der eigentliche Feind des „autoritären Ständestaates“ nicht links, sondern rechts stünde. (25) Die Kontaktschwierigkeiten gegenüber der Linken hinderten Kunschak, Staud und die anderen Repräsentanten der Christlichen Arbeiterbewegung nicht, den eigentlichen Gegner und die eigentliche Gefahr des Ständestaates und Österreichs rechts zu sehen. Der Nationalsozialismus war trotz allem das größere Übel – auch für die Christliche Arbeiterbewegung, die sich vom Ständestaat in den Dienst hatte nehmen lassen.
Diese eindeutige Frontstellung äußerte sich in einer Polemik gegen den Nationalsozialismus, auch in einer Polemik gegen jedes Gleichgewichtsdenken innerhalb des Ständestaates: Die Christliche Arbeiterbewegung wollte keinesfalls die Sozialdemokratie mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt sehen. Bei aller Gegnerschaft zur sozialistischen Arbeiterbewegung waren deren Anhänger doch mögliche Verbündete. Die Sozialdemokraten galt es für den berufsständischen Gedanken zu gewinnen; die Nationalsozialisten sollten uneingeschränkt bekämpft werden.
Die eindeutige Grundstellung gegenüber dem Nationalsozialismus wurde freilich durch die geheimen Kontakte zwischen dem deutschen Gesandten, von Papen, und Staud überschattet. Die deutsche Gesandtschaft ließ zumindest bis zum Juli-Abkommen von 1936 dem Freiheitsbund wesentliche finanzielle Zuwendungen zukommen; Staud bot sich von Papen als möglicher Bündnispartner gegen den proösterreichischen (und proitalienischen) Flügel des Heimatschutzes um Starhemberg an. (26)
Die Hintergründe dieser geheimen Kontakte sind nicht voll ausgeleuchtet. Auffallend ist, daß die der Christlichen Arbeiterbewegung nahestehende Geschichtsschreibung diese durch offizielle Dokumente belegten Kontakte entweder negiert oder einfach leugnet. (27) Auffallend ist, daß Stauds Verbindung zur deutschen Gesandtschaft dem Bundeskanzler ebenso bekannt war wie die Subventionierung des Freiheitsbundes aus deutschen Geldmitteln. (28) Viele Anzeichen sprechen dafür, daß die delikate Beziehung zwischen dem Präsidenten des Gewerkschaftsbundes und dem deutschen Gesandten mit dem Abschluß des Juliabkommens an Bedeutung verloren hat. Im Jahr 1937 und in den ersten, entscheidenden Wochen des Jahres 1938 waren die Repräsentanten der Christlichen Arbeiterbewegung jedenfalls innerhalb des Regierungslagers eindeutig gegen ein weitergehendes Nachgeben gegenüber dem deutschen und nationalsozialistischen Druck. Die Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung hatten dies auch nach dem 11. März 1938 zu büßen: Sie gehörten zu den ersten Opfern des nationalsozialistischen Terrors. (29)
Die Christliche Arbeiterbewegung als loyale Opposition
Das Verhalten der Christlichen Arbeiterbewegung zwischen 1934 und 1938 kann nur im Zusammenhang mit der Geschichte und dem Selbstverständnis dieser Bewegung erklärt werden. Die Christliche Arbeiterbewegung war immer ein Bestandteil des christlichsozial-konservativen Lagers. Sie definierte sich immer auch als Teil der Kirche, sie vertrat eine aus der kirchlichen Sozial lehre abgeleitete gesellschaftspolitische Auffassung. Eingebettet in diese Tradition konnte sie sich gegenüber dem „autoritären Ständestaat“ nicht anders als grundsätzlich loyal verhalten – auch die Katholische Kirche, und zwar sowohl der Vatikan als auch die österreichischen Bischöfe, stützten das Regime.
Dennoch gab es Katholiken, die auf größere, kritischere Distanz zum Austrofaschismus gingen, als dies die Repräsentanten der Christlichen Arbeiterbewegung taten. Dazu zählte nicht nur die kleine Gruppe religiöser Sozialisten, sondern auch – zunächst 1933 und 1934, dann wieder ab 1936 Ernst Karl Winter. (30) Daß die Christliche Arbeiterbewegung zu einer solchen Distanz nicht fähig war, lag auch an ihrem Konkurrenzverhältnis zur sozialistischen Arbeiterbewegung. Der Antisozialismus, der Antimarxismus war immer auch eine zentrale Motivation für das Handeln der Christlichen Arbeiterbewegung. Da die Christlichen Gewerkschaften die entscheidenden Funktionen der offiziellen, für die Vertretung der Arbeiterinteressen geschaffenen Einrichtungen des Ständestaates übernahmen, mußte jede Aussöhnung mit der Sozialdemokratie eben diese Position gefährden. Die Christliche Arbeiterbewegung konnte gar nicht, ohne ihre eigene Stellung prinzipiell zu gefährden, für die volle Aussöhnung zwischen Regierungslager und Sozialdemokratie sein.
Der Antisozialismus in Form des Antimarxismus war bei der Christlichen Arbeiterbewegung immer auch mit antisemitischen Motiven durchmischt. In allen ihren programmatischen Äußerungen – insbesondere auch im Linzer Programm der christlichen Arbeiter Österreichs 1923 – waren Antimarxismus und Antikapitalismus durch den Antisemitismus verknüpft. Die marxistische Form des Sozialismus und die liberale Form des Kapitalismus waren für die Theoretiker der Christlichen Arbeiterbewegung gleichermaßen Produkt des internationalen Judentums, dessen Einfluß zu bekämpfen war.
Der Antisemitismus war keineswegs bloß religiös motiviert – offen rassistische Argumente wurden ebenfalls verwendet. So hieß es im Linzer Programm (31):
„Für gesunden Fortschritt auf kulturellem, politischem und wirtschaftlichem Gebiete ist es von wesentlicher Bedeutung, daß die Führer der Arbeiterschaft in Abstammung und Denkart dem bodenständigen christlichen Volke angehören und daß der zersetzende Einfluß des Judentums aus dem Geistes- und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes verdrängt werde.“
Der Antisemitismus lieferte auch die offizielle Begründung für die Zuwendungen, die die deutsche Gesandtschaft zumindest bis 1936 der Christlichen Arbeiterbewegung zukommen ließ. In einem vertraulichen Bericht von Papens an Hitler vom 12. Mai 1936 wurde von Stauds Ablehnung einer näheren Bindung des Freiheitsbundes an tschechische Interessen berichtet. Weiters hieß es in diesem Bericht (32): „Daraus ergibt sich für uns ferner die Notwendigkeit, diese Bewegung wie bisher finanziell zu unterstützen, und zwar im wesentlichen mit Bezug auf die Weiterführung ihres Kampfes gegen das Judentum. Ich halte für erforderlich einen Betrag von etwa 100.000,- RM, der fallweise in Schillingen zur Verfügung zu stellen wäre, und bitte um dahingehende Bewilligung. Unser Verhältnis zum Freiheitsbunde, insbesondere zu seinem Führer Staud, ist bereits so intim, daß ich gefragt worden bin, welche Persönlichkeiten bei einer Einführung von Ministern aus der nationalen Opposition in das Kabinett seitens der deutschen Regierung gewünscht würden.“
Der Antisemitismus diente sogar als Brückenschlag zu der expansiven Politik des sonst radikal abgelehnten Nationalsozialismus. Der Antisemitismus half mit, eine klare Bündnispolitik mit der linken gegen den Nationalsozialismus zu verhindern.
Dennoch blieb die Christliche Arbeiterbewegung eine Arbeiterbewegung – sie setzte sich innerhalb der Systemgrenzen für die sozialen Interessen der Arbeitnehmer ein; sie wandte sich insbesondere gegen den vor allem unmittelbar nach den Februarkämpfen einsetzenden Abbau der sozialen Sicherheit; sie bekämpfte alle Strömungen des Regierungslagers, die der Arbeiterschaft noch mehr Rechte nehmen wollte. (33) Die Systemgrenzen waren freilich eng gezogen; die Wirksamkeit der defensiven Sozialpolitik der Christlichen Arbeiterbewegung war dementsprechend gering.
Daß es die Christliche Arbeiterbewegung als Arbeiterbewegung auch im „autoritären Ständestaat“ gab, ist ein Indikator für die Qualität dieses Systems. In den anderen faschistischen Systemen ist die politische Autonomie einer christlichen Arbeiterbewegung nicht bekannt; die relative Autonomie der Christlichen Arbeiterbewegung in Österreich belegt den bloß eingeschränkt, den unvollendet faschistischen Charakter des „autoritären Ständestaates“.

Anmerkungen
(1) Anton Pelinka, Stand oder Klasse? Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 – 1938,Wien1972,S.21-34.
(2) Zur Frühgeschichte der Christlichsozialen Partei siehe Reinhold Knoll, Zur Tradition der christlichsozialen Partei. Ihre Früh- und Entwicklungsgeschichte bis zu den Reichsratwahlen 1907, Wien 1973″
John W. Boyer, Political Radicalism in Late Imperial Vienna. Origins of the Christian Social Movement 1848 -1897, Chicago 1981.
(3) Vgl. dazu etwa Oswald v. Nell-Breuning, Soziallehre der Kirche. Erläuterungen der lehramtlichen Dokumente, Wien 1977.
(4) Fritz Klenner, Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwartsprobleme, Band 2, Wien 1953, S. 1019 -1073.
(5) Klenner,a.a.O.,S.1097f.
(6) Pelinka,a.a.O.,S.35.
(7) Ludwig Jedlicka, Ein Heer im Schatten der Parteien, Graz 1955.
(8) Gustav Blenk, 1918 -1934, in: Die Christlichen Gewerkschaften in Österreich, Wien 1975, S.155f.
(9) Pelinka, a.a.O., S. 183 -202.
(10) Pelinka, a.a.O., S. 52 -54.
(11) Klenner,a.a.O.,S.1009.
(12) Zit. nach Gustav Blenk, Leopold Kunschak und seine Zeit, Wien 1966, S. 181.
(13) Franz Hemala, Die Gewerkschaften im Wandel der Zeit, Wien 1937, S. 27.
(14) Pelinka, a.a.O., S. 96 f.
(15) Pelinka,a.a.O.,S.105.
(16) Pelinka, a.a_O., S. 81 -85.
(17) Christi Kluwick, 1934 -1945, in: Die Christlichen Gewerkschaften, a.a.O., S. 245.
 (18) Pelinka,a.a.0.,S.119-127.
(19) josef Dobretsbe rger , Tonbandinterview, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands Wien, aufgenommen 1970. Dazu auch Otto Leichter, tjsterreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund, Wien 1963. josef Hindels, tjsterreichs Gewerkschaften im Widerstand 1934 -1945, Wien 1976.
(20) Pelinka, a.a.O., S. 73 -94.
(21) Vgl. dazu auch Ludwig Reichhold, Opposition gegen den autoritären Staat. Christlicher Antifaschismus 1934 -1938, Wien 1964.
(22) Leopold Kunschak, Die Arbeiterschaft im autoritären Kurs, in: jahrbuch der christlichen Arbeiterschaft tjsterreichs, Wien 1937.
(23) Hindels, a.a.O., S. 121 -138. (24) Pelinka,a.a.0.,S.129-141. (25) Rede Kunschaks vom 9. Februar 1934, zit. nach: Christlichsoziale“Arbeiterzeitt:,.,;;, 1.7. Februar 1934, S. 2.
(26) Otto Leichter, Zwischen zwei Diktaturen, Wien 1968, S. 250 -257.
(27) Vgl. dazu Kluwick, a.a.O., sowie die Diskussionen während der 18. Internationalen Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung in Linz. Willibald I. Holzer, Die 18. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung in Linz vom 14. bis 18. September 1982, in: I nternationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 2{1983, insbes. S. 237 -240.
(28) Privatbrief Schuschniggs an den Autor vom 2. juli 1970. (29) Vgl. dazu Kluwick, a.a.O., S. 251 -254.
(30) Hindels, a.a.O., S. 89 f.
(31) Das Linzer Programm der christlichen Arbeiter tjsterreichs, erörtert von Dr. Kar! Lugmayer, Wien 1924, S. 10.
(32) Geheimbericht und vertrauliche Briefe Papens an Hitler, zit. nach: Der Hochverratsprozeß gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Die gericht
lichen Protokolle, Wien 1947, S. 404 f.
(33) Vgl. dazu allgemein Reichhold, a.a.O., sowie Pelinka, a.a.O., S. 245 -248.