St.Lindner, Attac Deutschland (Mai 2012): Die Lage in Griechenland und die Entdemokratisierung in der EU

Die Lage in Griechenland und die Entdemokratisierung in der EU

Geht es nach der Stadt Frankfurt, ist Demokratie entbehrlich.
Lautstarker Protest gegen menschenverachtende Politik waere einfach
verboten. Egal ob ein Konzert von Konstantin Wecker, eine Mahnwache
der Ordensleute fuer den Frieden, eine Diskussion besorgter Menschen
ueber die Krise, eine internationale Grossdemonstration oder das
Besetzen von Strassen und Plaetzen nach dem Vorbild von Occupy
Wallstreet – nichts davon duerfte stattfinden. Noch ist es zwar
wahrscheinlich moeglich, diese Rechte vor Gericht zu erstreiten, das
sollte aber nicht darueber hinwegtaeuschen, dass der damit verbundene
Demokratieabbau derzeit ein weltweites Phaenomen ist.

Als am 3. Mai die Europaeische Zentralbank im spanischen Barcelona
tagte, setzte die spanische Regierung kurzerhand das Schengen-Abkommen
ausser Kraft. Dutzenden Menschen wurde die Einreise nach Spanien
verweigert und 8.000 Polizisten machten aus Barcelona „eine Art
Schaufenster fuer Uniformen, Waffen, Helikopter und Polizeiwagen“ wie
die FTD aus El Pais zitiert 1) Dabei hatte die spanische Bewegung auf
Grund der zeitlichen Naehe zum 12. Mai nicht einmal groessere Aktionen
geplant. Telepolis berichtete vor kurzem, dass die spanische Regierung
die Strafgesetze so verschaerfen will, dass Aufrufe im Internet oder
anderen Medien zu Protesten, die „ernsthaft den oeffentlichen Frieden
stoeren“ koennten, wie es auch Blockupy vorgeworfen wird, als Bildung
einer kriminellen Vereinigung gewertet werden koennten. „Dann drohen
Haftstrafen von mindestens zwei Jahren, um sofort Untersuchungshaft
verhaengen zu koennen. Verhindert werden soll damit auch, dass die
Strafen zur Bewaehrung ausgesetzt werden.“ 2)

Kein wahres Interesse fuer Syriza

Gleichzeitig findet eine massive Verunglimpfungs-Kampagne gegen das
linke Parteienbuendnis SYRIZA statt, das bei den Wahlen in
Griechenland seine Stimmen vervierfacht hat. Mit mehr als 16% wurde es
zweitstaerkste Kraft knapp hinter der konservativen Nea Dimokratia,
deren absolute Stimmenzahl sich halbierte. Obwohl SYRIZA wiederholt
erklaert hat, Griechenland in der Eurozone halten zu wollen, wird die
Partei in fast allen Artikeln als antieuropaeisch bezeichnet. Keine
Kritik hoert man hingegen, wo wirklich antieuropaeische Toene zu
hoeren sind, naemlich bei den zahlreichen Drohungen deutscher
Politiker wie z.B. EZB-Mitglied Joerg Asmussen, Bundesfinanzminister
Wolfgang Schaeuble oder Aussenminister Guido Westerwelle, Griechenland
gegen seinen Willen aus dem Euro zu schmeissen, sollte dort auch nur
eine Minute ernsthaft daran gedacht werden, gemaess dem Willen der
Waehlerinnen und Waehler auf einer Neuverhandlung des von der Troika
aus EZB, EU-Kommission und IWF diktierten Memorandums zu bestehen.3)

Fuer welche Inhalte SYRIZA wirklich steht, hat bisher auch wenig
Aufmerksamkeit gefunden. Kein einziges namhaftes deutsches Medium —
linke Tageszeitungen wie das Neue Deutschland und die Junge Welt
eingeschlossen — scheinen sich bisher fuer die fuenf Punkte zu
interessieren, die der Vorsitzende von SYRIZA, Alexis Tsipras, nach
der Wahl zu seiner Grundlage fuer Gespraeche mit anderen Parteien
erklaert hat.4)

Fuenf Bedingungen der Syriza

Die ersten beiden Punkte bestehen darin, ab sofort keine weiteren
Massnahmen mehr umzusetzen, die zu weiterer Verarmung fuehren wuerden,
wie z.B. das Kuerzen von Renten oder Loehnen und keine fundamentalen
Rechte von Beschaeftigten mehr zu schleifen, wie z.B. das Recht auf
kollektive Tarifverhandlungen.

Ausserdem fordert SYRIZA die Erneuerung des politischen Systems.
Explizit erwaehnt wird dabei, dass es zukuenftig moeglich sein soll,
korrupte Minister vor Gericht zu stellen und eine Aenderung des
Wahlrechts. Dass die staerkste Partei automatisch 50 der 300
Parlamentssitze extra erhaelt, ist wohl einzigartig in Europa. Deshalb
kommt die mit nur etwas mehr als zwei Prozent Vorsprung gewaehlte Nea
Dimocratia mit 18,85% der Stimmen auch auf 108 Sitze, waehrend auf das
mit 16,78% an zweiter Stelle gelandete SYRIZA-Buendnis nur 52 Sitze
entfallen.5) Die Regelung soll die Vorherrschaft der
Memorandums-Parteien Nea Dimocracia und PASOK zementieren, die
Griechenland seit Jahrzehnten wie einen Erbhof regieren.

An vierter Stelle wird die oeffentliche Kontrolle der Banken gefordert
und die Veroeffentlichung einer Untersuchung, die BlackRock kuerzlich
zum Zustand des griechischen Bankensektors durchgefuehrt hat. Diese
Untersuchung wurde von der griechischen Zentralbank beauftragt. Sie
ist wichtige Berechnungsgrundlage fuer die Staatshilfen, die die
griechischen Grossbanken gerade erhalten. Die Mittel dafuer stammen
aus den Krediten, die verbuergt von europaeischen SteuerzahlerInnen
und zu Lasten der griechischen Regierung vom EFSF aufgenommen werden.
Von den 130 Mrd. Euro, die die griechische Regierung laut zweitem
Memorandum 6) noch erhalten soll, sind bis zu 50 Mrd. Euro fuer die
griechischen Grossbanken reserviert. Davon wurden 25 Mrd. Euro bereits
kurz vor der Wahl ausgezahlt, der Rest sollte eigentlich kurz danach
folgen. Echtes Mitspracherecht soll die Regierung dafuer bei den
Banken aber nicht erhalten. Denn das Memorandum schreibt auch die
Verabschiedung eines Gesetzes vor, das fuer den Fall, dass der Staat
im Gegenzug fuer seine Zahlungen Aktien erhalten sollte, deren
Stimmrechte beschneidet. Das Bankensystem soll auf jeden Fall privat
bleiben.

Deshalb ist im Memorandum auch geregelt, dass der Staat, je nach Hoehe
seiner Anteile, diese nach spaetestens drei oder fuenf Jahren wieder
verkaufen muss. Ob er dabei dann ein gutes oder schlechtes Geschaeft
macht, ist der Troika egal. Schliesslich geht es ja auch „nur“ um eine
Summe, die in etwa den Einnahmen eines kompletten griechisches
Staatshaushalts entspricht und sollte dabei etwas schief gehen, gibt
es ja auch noch die Buergschaften der anderen Eurostaaten und des IWF.

Wer ist eigentlich BlackRock?

Laut einem Artikel im Handelsblatt vom Juni letzten Jahres ist das mit
einem verwalteten Vermoegen von 3,65 Billionen Dollar der mittlerweile
groesste Vermoegensverwalter der Welt. 7) Zum Vergleich: Das
Bruttoinlandsprodukt von Deutschland betrug 2011 gerade einmal 3,28
Billionen Dollar. Da den von BlackRock verwalteten Fonds auch
signifikante Teile aller 30 im deutschen Aktienindex DAX notierten
Firmen gehoeren, bezeichnet das Blatt den Finanzkonzern auch als den
„heimlichen Herrn des Dax“. Die Deutsche Bank gibt zum Beispiel in
ihrem letzten Jahresbericht an, dass Ende 2011 5,14% ihres Kapitals
von BlackRock gehalten werden 8). Bei der Commerzbank sollen es 3,07%
gewesen sein. Auch in Griechenland ist BlackRock einer der groessten
auslaendischen Investoren, wie IPREO fuer 2010 berichtet. Allein
BlackRock Fund Advisor soll in diesem Jahr in Griechenland mit mehr
als 150 Mrd. Dollar investiert gewesen sein. 9)

Die New York Times berichtete in einem Artikel, unter welch
konspirativen Umstaenden das Gutachten ueber das griechische
Bankensystem zu Stande kam.10) Demnach tarnte BlackRock das Buero, das
es fuer seinen griechischen Auftrag nutzte, als Solarfirma. Wie dabei
mit Interessenkonflikten umgegangen wurde, die sicher zahlreich
vorhanden sind, wenn der groesste Vermoegensverwalter der Welt die
Kreditportfolios zahlreicher Grossbanken durchforstet, bleibt hingegen
im Dunkeln. Und dabei war der Auftrag in Griechenland, fuer den
BlackRock 17 Mio. Dollar kassiert haben soll, bei weitem nicht der
einzige seiner Art. Neben den USA war BlackRock in derartiger Mission
auch schon in Irland aktiv. Dort soll es die Zahlengrundlage fuer das
Rettungspaket der irischen Banken geliefert haben, wegen dem sich dann
auch Irland dem Diktat der Troika beugen musste. Die spanischen
Tageszeitung El Mundo berichtete vor kurzem, dass schon ueber ein
weiteren Auftrag in Spanien verhandelt wird.11)

Dieses Vorgehen wirft auch die Frage auf, in welchem Zustand sich die
europaeische Bankenaufsicht befindet. Wuerde die naemlich
funktionieren, muesste sie eigentlich selbst wissen, wie es um die
Bankensystem der Krisenstaaten bestellt ist. Auftraege im
zweistelligen Millionenbereich an einen Finanzkonzern wie BlackRock
waeren dann ueberfluessig.

Der letzte Punkt aus dem „Fuenf-Punkte-Programm“ der Syriza besteht
schliesslich in der Forderung nach einem Schuldenaudit. Eine
internationale Expertenkommission soll in einem transparenten und
oeffentlichen Verfahren klaeren, wie es zu dem griechischen
Schuldenberg gekommen ist. Bis dahin soll ein Moratorium gelten,
waehrend dessen keine weiteren Tilgungen und Zinszahlungen mehr
geleistet werden. Was dann mit den Schulden passiert, waere abhaengig
vom Ausgang der Untersuchung. Schulden, die illegal, illegitim, auf
verwerfliche Art und Weise zu Stande gekommen oder einfach nicht
tragfaehig sind, muessten gestrichen werden. Dass eine derartige
Schuldenstreichung nicht, wie beim kuerzlich erfolgten
Schuldenschnitt, voellig intrnsparent, sondern in einem oeffentlichen
und transparenten Verfahren erfolgt, liegt auch im Interesse der
Menschen im Rest der Eurozone. Die buergen naemlich mittlerweile
gemeinsam mit den Anteilseignern des IWF zu etwa Dreiviertel fuer den
bei der griechischen Regierung aufgelaufenen Schuldenberg. Sollte es
zu einem weiteren Schuldenschnitt kommen, was sehr wahrscheinlich ist,
waeren auch die EFSF-Kredite betroffen und die zugesagten
Buergschaften faellig.

Ein Schuldenaudit koennte dazu beitragen, herauszufinden, wie gross
der Schaden ist, der Griechenland durch Steuerhinterziehung und
Korruption entstand. Koennten die aus kriminellen Machenschaften
erwachsenen Profite eingetrieben werden, waere das auch ein Beitrag
dazu, die Schuldenquote wieder schneller auf ein tragfaehiges Niveau
zu senken. Verbunden waere damit auch, dass die Strukturen aufgedeckt
und zerschlagen werden wuerden, die fuer die derzeitige Lage
mitverantwortlich sind. Ob das wohl der Grund ist, warum man in
Deutschland so wenig darueber hoert?

Die Liste der deutschen Konzerne, die in Griechenland in
Bestechungsskandale verwickelt sind, ist lang. Ganz oben auf der Liste
steht der Konzern Siemens, welcher im letzten Jahrzehnt in
Griechenland 100 Mio. Euro an Schmiergeldern verteilt haben soll. Ein
Untersuchungsausschuss des griechischen Parlaments schaetzte den dabei
entstandenen Schaden auf bis zu 2 Mrd. Euro.12)

Im Maerz einigte sich der Konzern mit der griechischen Regierung auf
eine Zahlung von 270 Mio. Euro. Im Gegenzug erklaerte die griechische
Regierung Siemens wieder zum sauberen Konzern und stellte alle
Ermittlungen ein.13)

Waehrend dessen droht der Ausverkauf Griechenlands immer mehr an Fahrt
aufzunehmen. Erst kuerzlich wurden wieder weitere Anteile an wichtigen
Infrastruktureinrichtungen auf den Privatisierungsfonds Hellenic
Republic Asset Development Fond uebertragen, dessen einziger Zweck
darin besteht, nach Vorbild der deutschen Treuhand seine Besitztuemer
zu privatisieren. Dabei laesst er sich unter anderem von der Deutschen
Bank und der bundeseigenenAussenwirtschafts-Foerderagentur Germany
Trade and Invest (GTAI)15 beraten. Er hat, neben vielen anderen
Einrichtungen, schon seit laengerem die Haefen und Wasserwerke von
Athen und

Thessaloniki im Angebot.14)

Auch hier gibt es einen strikten Zeitplan der Troika, bis wann was
verkauft sein muss. Noch zieren sich die meisten potentiellen Kaeufer,
weil sie glauben, dass die Preise noch weiter fallen. Auch weitere 25%
des Athener Flughafens stehen zum Verkauf. Dem Essener Baukonzern
HochTief hat seine Beteiligung an diesem Flughafen in den letzten
Jahren deutlich zweistellige Renditen eingebracht. 2010 ergab die
ausgeschuettete Dividende sogar eine Kapitalrendite von ueber 50%.15)

(Stephan Lindner, Attac Deutschland)

 

Quelle:
http://www.linke.cc/joomla/index.php?option=com_content&id=2453
Naehere Infos zu Blockupy Frankfurt unter http://blockupy -frankfurt.org/

Fussnoten:
http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/anleihen-devisen/70031131.html
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36875/1.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/regierungschaos-schaeuble-stellt-griechenland-vor-die-wahl-euro-a-832281.html
4  Redglobe hat die Rede von Alexis Tsipras, in der er diese Punkte verkuendete, ins deutsche uebersetzt:
http://www.redglobe.de/europa/griechenland/5171-erklaerung-des-syriza-fraktionsvorsitzenden-alexis-tsiprassyriza-am-8-mai-20125http://www.griechenland-blog.gr/2012/ergebnis-der-parlamentswahlen-2012-in-griechenland/7860/
6  Eine englische Fassung des letzten Memorandums findet sich unter
http://www.minfin.gr/contentapi/f/binaryChannel/minfin/datastore/d1/d9/7c/d1d97cb60bad8706a2cabbf83e5ae9fb7f3ab369/application/pdf/MOU+_+MEFP+13+march+2012%5B1%5D.pdf 7   http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken/blackrock-die-heimlichen-herren-des-dax/4150978.html
8   http://www.db.com/ir/en/content/shareholder_structure.htm
9   http://www.ipreoink.com/media/k2/attachments/International_Investment_in_Greece_Apr_2010.pdf Seite 3
10 http://dealbook.nytimes.com/2012/03/19/in-greek-crisis-a-little-known-adviser-with-outsize-influence/
11 http://www.elmundo.e s/elmundo/2012/05/06/economia/1336293227.html
12 http://www.platow.de/griechische-regierung-schliesst-vergleich-mit-siemens/2881010.html
13 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/griechisches-parlament-segnet-vergleich-mit-unternehmen-ab-siemens-sagt-sorry-fuer-die-korruption-1.1327795
14 http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite2_1_09/05/2012_441401
15 http://blog.attac.de/?p=999