A&O: Notiz aus Florenz (Firenze 10+10)

Siehe dazu auch unten!

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Das sozialforumsgeleitete Treffen  in der Fortezza del Basso in Florenz war insofern interessant, als Begegnungen  mit radikalen Gruppen aus etlichen Ländern möglich waren, etwa Basisinitiativen aus Griechenland, die mit der Errichtung von gesellschaftsverändernden Armenküchen, die aber auch als organisatorische Keimzellen für ein anderes Gesellschaftssystem verstanden werden, beschäftigt sind, und es waren die neuen kräftigen Massenbewegungen Italiens zur Hand: darunter NoTAV, aber auch deren neue internationale Partner, die „französische Version von No-TAV“, nämlich die AktivistInnen von NotreDamedesLandes, die gegen den Bau eines Riesenflughafens nordwestlich von Nantes kämpfen (der Name Notre-Dame-des-Landes ist der einer der vier unmittelbar betroffenen Gemeinden), man traf die italienischen AktivistInnen des Kampfes gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft und zahlreiche andere Gruppen.. Man sucht nach einem neuen politischen Subjekt, das sind die neuen Bewegungs-Subjekte.

 Die Veranstalter wählen aus.

Mit heuchlerischer Objektivität hat man jedoch alle Parteien, auch wenn es antagonistische (bzw. neue antikapitalistische) Parteien sind, ausgeladen. Vielleicht gerade deswegen, weil man die antagonistischen Parteien nicht dabei haben will. Sie konnten nicht reden, auch wenn sie etwas zu sagen gehabt hätten.

Nahorganisationen von Parteien jedoch, etwa die CGIL, haben sehr wohl das Geschehen geprägt –  und man kann wahrlich nicht sagen, daß die CGIL kein Naheverhältnis zur PD („Demokratischen Partei“, Partito Democratico) hätte. Die CGIL kann man als sozialdemokratische Gewerkschaft bezeichnen, und die PD, die ja auch die Regierung Monti unterstützt und ermöglicht hat, als sozialdemokratische Partei – derlei Dominanzen haben wesentlich zur Sozialdemokratisierung dieser Sozialforums-Bewegung beigetragen.

 Das Tandem.

Wenn man nun die revisionistische EU-Linke, die postkommunistische Europa-Linke als in der Substanz sozialdemokratisch bezeichnen will (1), wäre dann dieses Post-Sozialforum nicht bloß ein Rekrutierungsversuch, ein Regenerierungsversuch eines Amalgams von sozialdemokratisierten Postkommunisten und camouflierten Sozialdemokraten? Sollte man da am besten nicht hingehen? Das haben denn auch viele getan – nämlich nicht hinzugehen.

Aber das war falsch! Denn man mußte unterscheiden zwischen dem Postsozialforum als ideologisches Terrain, das einen politischen Rahmen schon vorab abgesteckt hatte, und dem Event als Forum, das Begegnungen, Erfahrungen, Ausblicke in die Zukunft bot. Vielleicht nolens volens, vielleicht um sich damit zu schmücken.

 Proletariat und Prekariat.

Was den Sektor der Lohnabhängigen betrifft, so war von den unabhängigen Gewerkschaften sowohl auf dem Kongreß wie beim europäischen Streik am 17. 11. in erster Linie die Cobas  präsent : auf der Demo in Florenz fanden sich immerhin ein paar tausend zusammen , in Rom ein Vielfaches; die immer noch ein wenig vom Ruhm ihrer Vergangenheit zehrende CGIL hatte auf Grund des Apparats, des Zugehörigkeitsmoments, des Gewohnheitsmoments zwar wesentlich mehr Leute auf die Straße gebracht als die Cobas, aber wurde von allen Seiten scharf kritisiert, auch von ihren eigenen oppositionellen Kräften, die in einer Oppositionsplattform (Rete 28 Aprile) zusammengefaßt sind, und auch die nach wie vor der CGIL-angehörige Metallarbeitergewerkschaft FIOM steht kritisch zur Gesamtpolitik der CGIL, kann, wenn man so will, zur CGIL-Linken gerechnet werden, bzw. kann , über die CGIL hinaus, zur gesamtgesellschaftlichen Gewerkschaftslinken gezählt werden.

Hauptkritikpunkte der innerinstitutionellen  Linken: die breite Mobilisierung bestehe nur in einem mechanischen Nachvollziehen der ohnehin widerwillig erteilten EGB-Mobilisierungs-Order, und die Gewerkschaft sei ja diskreditiert wegen ihres mangelnden Einsatzes gegen die Zerschlagung des Kündigungsschutzes (2).

Von den linken Gewerkschaftlern in der CGIL und ganz besonders den Basisgewerkschaften wird der EGB abgelehnt, während die CGIL sich ganz „organisch“ an ihn anlehnt (zuerst lehnte sie sich an Moskau an, jetzt an Brüssel), die unverbindlichen Losungen des EGB werden natürlich vom aktiven, dem unabhängigen, dem sich immer stärker gegen die Gelben richtenden Teil der breiten Gewerkschaftsbewegung angegriffen.

Die neue radikale Koalition von Basisgewerkschaften USB (3) lehnte die Teilnahme am „europäischen Streiktag“ vollkommen ab (eben wegen des EGB; sie vertritt auch eine sehr starke, für Italien neue, Anti-EU-Linie), die USB nahm auch am Post-Sozialforum nicht teil (in erster Linie wegen CGIL).

So geht die Kritik von den linken Oppositionen im Apparat bis zur „Neuen Linken“ der Gewerkschaftsbewegung außerhalb des Apparates  – welch letztere zum Teil ein Ersatz für eine nicht existierende (Bewegungs-)Partei ist (oder etwas Parteiähnliches oder eine Partei gänzlich Neuen Typs) und sich gerade deswegen umso mehr mit allgemeinpolitischen Fragen befaßt.

Während die USB sich verweigerte, nahm hinggen die 1992 entstandene, sich gleichfalls als konsequent partei-, regierungs- wie unternehmerunabhängig verstehende Basisgewerkschaft CUB (Confederazione Unitaria di Base) an dem Treffen in der Festung teil, auch mit einem umfangreichen Bücherstand.  Wie die Cobas, so war auch sie am 17. 11. auf der Straße präsent.

Das mobilisierte und mobilisierende Element des Ausbildungssektors, StudentInnen und in erster Linie SchülerInnen (!)  gewinnt in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung, wie man an den Massenkundgebungen der letzten Monate sieht. Als Scharnier der prekarisierten Intellektuellen („Wissensarbeiter“), des alternativen Bereichs und andererseits der proletarischen Lohnabhängigen bieten sich eher die Cobas an  – wohingegen die USB eng mit den neuen Schulden-audit-Bewegungen (No debito) kooperiert. USB hat, im Gegensatz zur AIK, kräftige Betriebsstandorte, etwa Taranto.

Neben No debito gibt es eine softere Version (Rivolta il debito, Weisen wir die Schuld zurück!), die, ganz besonders in kleinen Städten, mit der CGIL zusammenarbeitet, wenn letztere dort Mobilisierungskapazitäten hat – doch es waren immerhin 100 Städte, in denen die CGIL für den 17. 11. mobilisiert hat (die Cobas in 20 Städten). Rivolta il Debito hatte eine eigene mit etwa 40 Leuten bestückte Gesprächsrunde  auf dem Forum.

Die CGIL ist mitverantwortlich für die partielle Zerschlagung des Kündigungsschutzes (Art. 18), weil sie sich weitergehenden und stärkeren Mobilisierungen, die die Basisgewerkschaften lange gefordert haben, etwa einem Generalstreik, verweigert haben.

Der Aufruf zum 17. 11. seitens der CGIL hatte ein bißchen etwas von einer Pflichtübung an sich (nur 4 Stunden waren dekretiert, im Gegensatz zum ganztägigen Generalstreik der Cobas), aber im Schlepptau der CGIL waren das Proletariat und die Pensionisten massenweise auf der Straße. Sie haben aber, wie erwähnt,  eine scharfe interne Opposition – deren Anträge von den Betonköpfen der Führung, die leider die Mehrheit haben,  regelmäßig abgeschmettert werden.

 Der antagonistische Pol.

Eines der interessantesten Phänomene der derzeitigen Politik von unten ist die gemeinsame Mobilisierung von No Debito, USB, kommunistischen und linken Parteien (Alba, Rifondazione, PCL, PdCI, vielleicht kann man noch SEL erwähnen) zusammen mit den „territorialen“, also regionalen projektbezogenen Massenbewegungen wie zum Beispiel dem Netzwerk gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft oder No dal Molin (der Bewegung gegen die Erweiterung des US-Stützpunktes in Vicenza).  Nichts von Alba, Rifondazione, PCL, PdCI konnte sich auf dem Revisionistenforum präsentieren.

Das steht im Widerspruch zu ihrer realen Bedeutung und zu ihrer Verbindung mit den Bewegungen. Die genannten Kräfte sind alle immerhin gemeinsam Promotoren und Träger einer neuen Volksabstimmung, die die Zerschlagung des Arbeitnehmerschutzes rückgängig machen will, und solche Volksabstimmungen mit bindendem Charakter hatten in Italien immer eine große mobilisierende Funktion, waren immer Ausdruck von Massenbewegungen und stärkten vorhandene Massenbewegungen.

Diesem Referendum hat sich die PD verwehrt, dazu sagt sie Njet. Hat damit offen Ja gesagt zur Zerschlagung des in den Siebzigerjahren erkämpften, sehr strengen Kündigungssschutzes und zur partiellen Zerschlagung des Statuto dei Lavoratori (Arbeitsgesetzes).

Daher (und nicht nur deswegen) werden in Italien solche Parteien wie die PD grundsätzlich von vergleichbaren Mobilisierungen der Basis und der Bewegungen ferngehalten, aber auch Rifondazione , die immerhin für die Fortsetzung des Afghanistankrieges verantwortlich zeichnete und dadurch politisch beinahe unterging, war lange Zeit in der Basis-Linken persona non grata.

Jetzt schließen die PD-affinen Revisionisten, die Zivilisten  die antikapitalistischen Parteien aus (4)

Schon gar nicht hat man marxistische Parteien aus der Türkei (die in der Türkei alle verboten sind und die um ihr Leben kämpfen) auf dieser Veranstaltung gesehen – wiewohl, erfreuerlicherweise, AktivistInnen der kurdischen nationalen Befreiungsbewegung auf dem Forum aktiv und sichtbar waren (5).

 Aufmerksamkeit für Griechenland.

„Griechenland“ ist im italienischen Bewußtsein präsent, zumindest partiell. Kurz nach Abschluß des Kongresses fand in Florenz vor dem griechischen Konsulat eine spezifische, gegen die Goldene Morgenröte gerichtete Kundgebung statt, war allerdings zum großen Teil bestritten von einer gewissen Subkultur, die unglückliche Hunde an der Leine mit sich in der Gegend herumschleift und dumpf brüllende Musik anhört. Das Phänomen gibt´s auch dort. Man sagt auch dort „post-autonom“ und immer noch: „alternativ“..

Spezialisierung in Faschismus kann zu Eindimensionalität verkommen, ist andererseits derzeit ungemein wichtig, da überlebenswichtig. Die Antifaschisten sind die unentbehrlichen Idioten einer Gesamtbewegung.

Und schon zeichnet sich eine Stärkung der internationalen Strukturen des Faschismus ab. In Pordenone und anderen Städten waren kurz zuvor auf Veranstaltungen der faschistischen Schlägerbande Forza Nuova tatsächlich auch Kameraden der Goldenen Morgenröte eingeladen – Verbindungen und Kontakte wie zur Zeit der Junta!

 Faschismus und Sozialdemokratie.

Die Aufmerksamkeit gegenüber der Goldenen Morgenröte wurde besonders dadurch gestärkt, als in den letzten Tagen und Wochen vor dem Kongreß zahlreiche Überfälle der faschistischen Jugendorganisation Blocco Studentesco auf römische Gymnasien stattfanden.  Es geht uns wie den Griechen, wurden da vielen klar.

Die dadurch hervorgerufene Mobilisierung verstärkt aber  auch das Fachidiotentum  in Antifaschismus, das über Antifaschismus nicht hinauszugehen vermag (besonders in dem versumpft antiautoritär-alternativen Milieu; das nicht zu verwechseln ist mit der sehr klaren und bewußten FAI-Linie rund um die Umanità Nuova, die eine sehr aktive, junge Redaktion hat); anderseits zeigt das römische Beispiel, dem bald andere folgen werden, daß mit dem Faschismus nicht zu spaßen ist, daß man ihn nicht unterschätzen soll, daß man sich mit ihm beschäftigen muß –  aber in einem weiten wirtschaftspolitischen, antiimperialistischen  und antikapitalistischen Rahmen. Also muß die bürgerliche Gesamtpolitik angegriffen werden. Und nicht nur deren faschistische Formationen.

Gleichermaßen ist denn auch die „Sozialdemokratie“ eine reelle Gefahr, auch eine reelle physische Gefahr.

Die PD führt sich auf wie die brutalste Ordnungspartei. Ein Beispiel: Studenten, die in Neapel von der Polizei zusammengeschlagen worden waren (einem wurden dabei zwei Zähne ausgeschlagen!), protestierten vor kurzem bei einer Veranstaltung mit dem PD-Chef Bersani und baten die Versammelten um Unterstützung gegen die Übergriffe der Polizei.

Um Hilfe!

Was war die Reaktion der PD? Die Studenten wurden von deren Ordnern ebenfalls niedergeschlagen und aus dem Saal gejagt.

Das ist das Erbe der PC!

Einer der übelsten Koordinatoren der Schlägerbrigaden der PCI,  die in den Siebzigerjahren gegen die außerparlamentarische kommunistische Massenbewegung eingesetzt wurden, hatte in der vergangenen, abgetretenen PD-Kommunalregierung von Florenz eine Spitzenposition, einen Schlüsselposten, hat sich aber in Korruptionsfälle verstrickt, kam vor Gericht, und die Anarchisten , die einiges  zur Aufklärung beigetragen haben, bzw. diese Figur angegriffen haben, bekommen es jetzt zu spüren – seitens der Polizei, die ein besonderes Auge auf sie geworfen hat.

Nicht nur die Mafia übt Rache!

 Wie geht´s im sozialdemokratisch verwalteten Florenz zu?

Das PD-Florenz ist eine politische Tabula rasa. Der PD-Bürgermeister (dessen Aufgabe seit neuestem darin besteht, auch noch die PD zu spalten) hat die Nachtautobusse abgeschafft, will den Jugendlichen, nach dem Vorbild der Lega und der römischen Faschisten (siehe der römische faschistische Bürgermeister Alemanno!), das Sitzen auf den Stufen der Gebäude dieser überkommerzialisierten Stadt verbieten (Sitzbänke gibt es fast nirgends mehr), baut sozial ab und räumt wo er kann, besonders die centri sociali sind ihm ein Dorn im Auge – ein Law und Order Mann der Rechten (der rechten PD). Mit einem Wort: ein Sozialdemokrat.

Man muß übrigens daran erinnern, daß bereits die „Sozialistische“ Partei unter Craxi in den Achtzigerjahren eine solche Politik der klinischen Hygiene, etwa des versuchten Verbots, in der Öffentlichkeit Proviant zu essen, initiiert hat.

Die Verarmung schreitet voran, arme Leute aus der Bevölkerung besetzen Häuser (auch hier in Florenz, ein sehr großes Gebäude ist von vielen armen Leuten aus Florenz und ImmigrantInnen besetzt) , außerdem gibt es ein großes centro sociale mit sehr vielen Aktivitäten, das von Räumung bedroht ist. Betriebe  schließen, das Sozialsystem klappt hinten und vorn nicht, es ist eine große Wut in der Luft, die Jugendarbeitslosigkeit schnellt in die Höhe, und alle reden davon, daß es so werden wird wie in Griechenland, man hört immer, daß „wir Griechenland schon sehr nahe sind.“ Das eröffnet die Aussicht, daß die Mobilisierungen  zunehmen werden, der Organisationsgrad ebenfalls.

 Übernationale Bedeutung der italienischen Proteste und politischen Innovationen.

Das aber ist geostrategisch von großer Bedeutung. Denn wenn ein „kleines“ Land wie Griechenland rebelliert, mag das nicht so sehr in die Waagschale fallen, bei Italien ist es schon anders – einem Kernland der NATO und EU, mit wesentlich mehr Einwohnern als Spanien, Portugal und Griechenland. Die Kumulierung/Potenzierung  starker antagonistischer Proteste sowohl in Griechenland als auch in Italien, zusammen mit denen in den etwas „weiter weg“  gelegenen Ländern Spanien und Portugal, könnte das europäische Imperium und die europäische Finanzpolitik destabilisieren und in die Defensive drängen.

        Die EU tritt auf die Bühne.

Zurück zum Post-Sozialforum. Die Leitung, die Moderation war in sensiblen Fällen brutal und autoritär. Einem älteren Genossen aus Wales, der sich kritisch gegenüber der EU äußerte und kritisch gegenüber der Politik des Sozialforums hinsichtlich EU, wurde von der Österreich-Attac-Frau Stricker, die die Moderation der entsprechenden Teilversammlung über hatte, einfach die Rede abgeschnitten.

Da paßt ihnen was nicht! Leo Gabriel saß mit einem Pokerface dabei und rührte sich nicht.

Hingegen traten auf demselben Meeting geschniegelte, glatte, eiskalte  Aktivisten der Europäischen Föderalisten auf und erhoben die Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa!  Deren lang andauerndes Gequatsche wurde nicht unterbrochen.

Und das verächtliche Publikum in diesem gathering – das übrigens die Bezeichnung „Demokratie“ trug –   fand das offensichtlich ganz vernünftig, denn es rührte sich kein Protest gegen die in der derzeitigen Situation wahrlich alles andere als notwendigen „Vereinigten Staaten von Europa“ – kurz zuvor waren die Leute noch mit einem  schreckenerregenden Bericht von den Auswirkungen der EU-Diktatur und der EU-Dekrete  auf die verarmten Massen Griechenlands konfrontiert worden (6).

Der Vorschlag der Föderalisten, die Verarmungsdiktatur auch noch zu einem organisatorischen Absolutum zu machen, war diesem Theaterpublikum keine kritische Überlegung, keinen Protest wert. Aber was sind das für Veranstalter, die solche Leute einladen?

Ein Sozialforum, auf dem, mit der Akzeptanz von Counter-Kräften aus Österreich, eine europäische Diktatur propagiert wird, ist nur ein ungut riechender Leichnam!

 Die Führung boykottiert die Basis.

Ein (die Arbeit aller Gruppen zusammenfassendes) Schlußdokument wurde mit allen Tricks verhindert. Man hätte sich doch erwartet, daß das Selbstverständnis des politischen Ereignisses zu einer Art Wortgestalt finden müßte. Mit der unglaublichsten Hinterhältigkeit wurde das verhindert.

Die themenbezogenen Arbeitsgruppen wurden von der Leitung zerschlagen und es wurde dekretiert, daß man sich – für die endgültige Beschlußfassung .- nach Ländern, bzw. Sprachen zusammenzusetzen habe. Damit wurden die bisherigen Diskussionszusammenhänge zerschnitten.

 Attac Deutschland und Attac Frankreich.

Es wurde mit den infamsten  Mitteln operiert. Ein Attac-Aktivist aus Deutschland etwa schlich sich in die englischsprachige Arbeitsgruppe, in der er gar nichts zu suchen hatte, wie ein Parteiemissär ein und versuchte die Diskussion abzuwürgen, bzw. vom Thema abzulenken, ganz offensichtlich um kritischere Resultate zu verhindern.

Das Neutralisieren von Diskussionen, Bewegungen können sie. Das haben sie schon in Heiligendamm geübt.

Attac Frankreich war da ein bißchen anders. Susan George von Attac Frankreich kritisierte auf einer Vollversammlung mit beißender Ironie die simplifizierende und gleichmacherische  Forderung der Organisatoren nach einem – in deren Sinn! – für alle verbindlichen Schlußdokument, (das war zuerst die Intention der Veranstalter, nämlich eine geglättete Schlußfassung ohne allzuviel Diskussion;  dann schwenkten sie erst um auf eine Nullfassung und torpedierten die Diskussion) und meinte  angesichts  dieser Bemühung, von oben Einheit schaffen zu wollen, das Allerbeste wäre, die Konferenz würde, sinngemäß zusammengefaßt, in viele kleine einander wie üblich bekämpfende Initiativen und Vorschläge zerfallen – wie es doch für Linke charakteristisch ist!  Sollte man nicht bei dieser alten, bewährten Praxis bleiben? Das wäre das Ehrlichste, meinte Susan George mit feinem Sarkasmus.

Sowas wird nicht goutiert. Darauf beleidigte ein belgischer Gewerkschaftler die französische Attac-Aktivistin, schrie sie an und nannte sie „Madame Lagarde“!

Stellte sie also dem Oberhaupt einer genozidären Organisation gleich!

Sie, nicht faul, konterte, mußte aber erst ein wenig Luft schnappen nach dem aggressiven Wortschwall des Funktionärs:  „Wären Sie aber bei mir, beim Internationalen Währungsfonds, angestellt, wäre ich jetzt genötigt zu sagen: Vous êtes licencié!“ (Sie sind entlassen)

Und hatte die Hälfte des Publikums auf ihrer Seite.

So weit unter die Gürtellinie ging dieses Kollateraltreffen des Europäischen Gewerkschaftsbundes – auf dem, mangels weiterer eigener Perspektiven, der 17. 11. im Sinne des EGB eifrig propagiert wurde.

Was der EGB in der Substanz ist, sieht man am ÖGB, der in Wien zu einem lächerlichen Sirtaki-Tanzen aufrief, statt zu mobilisieren.

Diese verantwortungslose Skurrilität zeigte, wie sehr das Organ des Hundstorfer schon am Hund ist.

 Unterschiede in Niveau und gutem Willen

Eine kurze Abschlußcharakterisierung des events. Die Abschlußberichte der einzelnen Themenarbeitsgruppen (die im Gegensatz zum verhinderten Generalbericht vorgetragen werden konnten) differierten in Qualität und Inhalt von einander enorm. So hat die schon erwähnte Gruppierung „Demokratie“ einen Bericht vorgelegt, der absolut inhaltsarm war und nichts aussagte, extrem kurz und blaß. Berichterstatter war ein Aktivist der Pariser Ligue des Droits de l´Homme, von der ich eine bessere Meinung hatte. Mit der Frau Stricker bildete er ein eingeübtes Gespann.

Diese schlechte Arbeit stand in krassem Gegensatz zum ausgefeilten Bericht derjenigen Gruppe, die sich mit den Mobilisierungen im Mittelmeerraum beschäftigte und auch mit dem kommenden Weltsozialforum in Tunis, das wahrscheinlich als euro-mediterranes, euro-afrikanisches eine sehr große Bedeutung haben wird und zurecht den Leuten ans Herz gelegt wurde.

Der Abschlußbericht  dieser Gruppe war fein formuliert und inhaltsreich, klar und gegliedert. Bezüglich der wichtigen Termine, die auf dem Treffen propagiert bzw. beschlossen wurden, darunter eines in Athen – das für Europa doch sehr bedeutend sein wird, mit Syriza als Hauptakteur – verweise ich auf die Mainstreamberichte, die alle Termine, die auf dem Treffen propagiert wurden, schon aufgelistet haben.

Wenn man politisch orientieren will, muß man die Widersprüche ins Auge fassen.

Eine Bewegung bewegt sich nur weiter, wenn sie sich selbst den Spiegel vorhält.

 

(1)

Diese scharfe Kennzeichnung übte allerdings bereits die große außerparlamentarische Massenbewegung Italiens der Siebzigerjahre, allen voran Lotta Continua, anhand der PCI – und hatten sie nicht recht? Ging es nicht schon damals, für die meisten unerkennbar – in Richtung Sozialdemokratie? Also in Richtung hündischer Kapitaltreue, in Richtung Entpolitisierung, in Richtung Spekulation und Organisierte Kriminalität?

Also in Richtung derjenigen kriminellen Energie, die sich sowohl in den postkommunistischen, sich nunmehr sozialistisch nennenden Parteien, wie der Ungarischen Sozialistischen Partei, den sich noch kommunistisch nennenden Parteien wie der KPÖ (mit dem kriminellen Geflecht um Josefine Steindling  und Martin Schlaff) und den seit jeher unverändert sich sozialdemokratisch nennenden Parteien wie der SPÖ voll entfaltet hat – besonders der SPÖ, deren Graue Eminenz ein Vorbestrafter ist, deren Kanzler systematisch zu international agierenden Großkapitalisten  mutieren und die in der Salzburg-Affäre bis auf Weiteres  ihren organisierten kriminellen Höhepunkt fand.

Finden wir auf der Fortezza del Basso ein sozialdemokratisch-postkommunistisches Tandem , so ist dieses Tandem in zahlreichen Ländern ja einer der Hauptakteure der Organisierten Kriminalität.

(2)

FIOM ist links von der Gesamt-CGIL, in der aber der Pensionistenverband, die stärkste Organisation in der CGIL, wiederum ziemlich  links ist. Die FIOM hingegen hat kürzlich durch die Eliminierung linker Kräfte aus ihrer Führung wieder eine kleine Rechtswende eingeschlagen, ist aber nach wie vor zusammen mit den „neuen politischen Subjekten“ auf der Straße präsent – was man von der CGIL nicht sagenkann.

3) Die USB (Unione Sindacale di Base, Gewerkschaftlicher Basisverband) ist ein Zusammenschluß aus SdL (Sindacato dei Lavoratori) Intercategoriale, von Teilen der CUB (s. o.) und anderer Kräfte, entstanden 2010. Sie hat sich zu einem zentralen politischen  Akteur entwickelt.

Vgl. dazu: AuO: Italien solidarisch mit Griechenland, Indymedia Deutschland,  20. 2. 2012, http://de.indymedia.org/2012/02/325186.shtml

und: AuO: Wein und Widerstand! Die radikale Linke stürmt die Mailänder Börse, Linke Zeitung, 9. 9. 2011

http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=11751&Itemid=1

Wie üblich kürzte die akin sensible Stellen weg – weil sie kein Verständnis für libertäre Imponderabilien hat:

AuO: Mailänder Börse gestürmt, akin, 14. 9. 2011, http://akin.mediaweb.at/2011/19/19milano.htm

(4) Wenn sich die indignados gegen die Parteien, insbesondere die staatserhaltenden CCOO und UGT gewehrt haben und sie von der Mobilisierung  auf der Puerta del Sol und den anderen acampadas ausgeschlossen haben, so hat das dort eine ganz andere Bedeutung. Die gelben Gewerkschaften, deren Basis auch bei den Generalstreiks doch ein gewisses Gewicht hat, hatten kurz vor dem Beginn der indignados-Bewegung dem Aufstocken des Pensionsalters zugestimmt, im Einklang mit der neoliberalen Politik von PSOE und PP – die natürlich auch nicht im entferntesten erwünscht waren. Da zeigte sich die angepaßte Fratze dieser Gewerkschaften. Aber die baskische LAB unterstützte die indignados und hatte deren Sympathie, und natürlich haben CNT (aber auch die moderatere linkslibertäre CGT!) bei den Basismobilisierungen besonders der Generalstreiks eine zentrale und für die Bewegung willkommene Rolle. Man kann also nicht generell sagen: Weg mit den Gewerkschaften! Auch in Spanien nicht. Man muß unterscheiden zwischen radikalen Gewerkschaften und Regime-Gewerkschaften.

In Österreich propagierte das nunmehr dahingegangene Sozialforum zu Beginn seiner Existenz die totale Parteienunabhängigkeit .- sehr radikal! Und was ergab sich dann? Der rechteste monolithischste Gewerkschaftsbund Europas, der mit der konsequentesten Abwiegelungsstrategie, der ÖGB nämlich, der mehr als eng mit der österreichischen Sozialdemokratie verzahnt ist, trat auf den Foren dieses Forums auf und bewirkte, daß Viele sich grundsätzlich vom Austrian Social Forum fernhielten.

Dort, ebenso wie in Deutschland, ist keine Diskussion über den grundlegenden Unterschied zwischen gelben Gewerkschaften und neuen Basisgewerkschaften zu finden, zwischen Subjekt und Nachäffung. Diese Tendenz, die radikal unabhängiger und auch horizontal organisierter Gewerkschaften, ist aber die Zukunft Europas, und man muß von Italien und der Opposition der dortigen Basisgewerkschaften gegen die gelb gewordene CGIL und ihre reaktionären, mit ihr in einem Zwangsbündnis zusammengeschlossenen beiden Partner jeweils christlicher und sozialdemokratischer Provenienz lernen, man muß von der Herausbildung eines unabhängigen Blocks lernen  – wenn es denn keine Basisgewerkschaftsbewegung allgemeinpolitischen Kalibers im eigenen Land gibt. Da muß man eben von Anderen lernen. Wer heute nur von „Gewerkschaft“ an sich spricht, hat nichts verstanden.

Das Beispiel der italienischen USB, aber auch der  CUB und natürlich seit langem der Cobas – die alle seit jeher ein allgemeinpolitisches Mandat vertreten haben und, neben der Vorantreibung der Arbeits- und Lohnkämpfe, immer gegen die imperialistischen Kriege mobilisiert haben –  zeigt, daß die Deutschen zuerst ihre wichtigste Hauptaufgabe machen müssen, nämlich das Recht der Gewerkschaften, auch in allgemeinpolitischen Fragen ihre Stimme erheben zu dürfen, erst einmal zu erkämpfen. Der vordemokratische Mißstand muß beseitigt werden.

In Europa ist es übrigens kaum bekannt, außer in Fachkreisen (und natürlich der CGIL), daß in Deutschland den Gewerkschaften per Gesetz ein solcher Maulkorb aufgezwungen wird.

(5) 5Stelle wird von den genannten Kräften der gauche de la gauche abgelehnt, sie sind auch nicht fähig zu mobilisieren, außer wenn ihr Guru auftritt. Die Forconi sind derzeit tot. Alles was nicht durch und durch internationalistisch ist, entpuppt sich später immer als wertlos.

Mit einer leicht hämischen Freude erfüllt mich die Tatsache, daß das Movimento Popolare di Liberazione, dem der langjährige Partner der AIK, die ehemalige Direzione 17 angehört, die mit ihr gemeinsam das Campo Antiimperialista organisiert, auch mit einer Veranstaltung auf dem Kongreß vertreten war.

Was sagt man dazu? Die ärgsten Gegner der zivilistischen Ordner der Linken haben sich in deren Großversammlung eingeschlichen! Nun, Zeichen für deren Großmut? Ich freu mich fürs Campo – dem gegenüber ich seit jeher immer skeptisch gewesen bin. Wieviel voluntaristischen Unsinn hat es schon verbraten. Das gute Campo! Im Sommer noch setzte es auf die Forconi – von denen es bereits damals bekannt war, daß sie von Faschisten und Mafiosi unterwandert waren. Nun, die Faschisten wurden ja dann auch hinausgeschmissen, und der Forconi-Führer erklärte auf dem Campo in Assisi, hier in Sizilien gäbe gar keine Mafia, die Mafia sei in Rom! Kennen wir.  Man kann nur hoffen, daß die Befreiungsbewegung nicht, faute de mieux, eines Tages auf die 5Stelle setzen wird.

(6) Ein Bericht über eine bemerkenswerte Initiative aus Griechenland, deren Auftreten man der guten Organisierung des Großtreffens zu verdanken hat, folgt demnächst.

(7) Es ist unmöglich, die Fülle der internationalen Treffen und Präsenzen auch nur zusammenzufassen. Es muß etwa darauf hingewiesen werden, daß die stark bestückte Delegation der dänischen Socialistisk UngdomsFront (Sozialistischen Jugendfront), der mit der Enhedslisten (Einheitsliste, auch die Rot-Grünen genannt) eng kooperierenden Jugendorganisation, die sich aber nicht als die Jugendorganisation der Partei versteht und sich von ihr nicht bestimmen lassen  will, eine große Bereicherung darstellte: insofern als sie, wie die Enhedslisten selbst, radikal gegen das Projekt EU ist (wie die DKP, die Dänische Kommunistische Partei und alle Basis- und radikalen Organisationen des Landes), und darüber hinaus plädieren sie, wie auch die Enhedslisten (EL), für die Abschaffung des Privateigentums!

Das ist noch nicht alles. EL ist für den Austritt aus der NATO, für den Austritt Dänemarks aus der EU und für die Auflösung der EU, und als solche ist sie wohl eines der radikalsten  Mitglieder der Europäischen Linkspartei.

Nun, daß es sowas in der EU-Linkspartei gibt, darauf fällt nicht so schnell der Fokus der im allgemeinen die Großversammlung rühmenden und das Kleine  nicht wahrnehmenden Mainstream-BerichterstatterInnen. Das Seltene, Wertvolle wird selten berichtet, das schon Bekannte wurde ein wenig ausgeweidet. Dadurch daß das Großereignis nicht in seiner ganzen Diversität gezeigt wird, wird ein verfälschtes Bild vermittelt.

Der Slogan „Ein anderes Europa!“ wird in der proeuropäischen Reformistenlinken praktisch als Synonym für „Für eine andere EU!“ verwendet. Damit sollen die Leute indoktriniert werden. Die propagierte EU-Akzeptanz trifft aber nicht die Wirklichkeit der politischen Landschaft, wie sie auf dem Kongreß vorhanden war.

Logisch ist in diesem Zusammenhang auch, daß von selbsternannten routinierten Moderatoren der genannten englischsprachigen Gruppierung, die über das Abschlußdokument zu befinden hatte, einem Kader der Socialistisk UngdomsFront die Rede verweigert wurde.

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Angela Klein, 7.10.2012: Auf nach Florenz! Neuer Anlauf für eine europäische Koordination des Widerstandes.

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