akin: Proteste gegen den Bologna-Prozess / Worum geht es?

Von: “akin” < akin.buero@gmx.at >
 
Betreff: Proteste gegen den Bologna-Prozess /
Worum geht es?
Datum: Dienstag, 9. März 2010 23:49
 
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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Maerz 2010; 21:35
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Uni brennt/Termine:
 
> Proteste gegen den Bologna-Prozess
 
11.03.: 15:00, Internationale Demonstration, Westbahnhof Wien
 
12. – 14.03: Gegengipfel, Campus Universitaet Wien
 
Sitzblockaden: Kurzfristige Infos unter: Info-Telefon: +43 681
20225319, WAP-Ticker: wap.bolognaburns.org, Radio Orange 94.0,
Twitter: #blockbologna
 
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> Worum geht es?
 
Aus dem Aufruf zu den Aktionen:
 
Vom 11. bis 12. Maerz sind BildungsministerInnen aus 46 Staaten zur
10-Jahre-Jubilaeumskonferenz des Bologna-Prozesses nach Wien und
Budapest geladen. Angesichts der Zustaende an den Universitaeten und
im gesamten Bildungsbereich sehen wir jedoch keinen Grund zu feiern.
Die breiten Proteste fuer freie Bildung haben deutlich gemacht, dass
es hier um weit mehr als die Interessen von Studierenden geht.
 
Diejenigen, die die Wirtschaftskrise nicht verursacht haben, sollen
fuer sie zahlen. Die gesamtgesellschaftlichen Missstaende machen es
erforderlich, dass wir fuer unsere Forderungen und Interessen
gemeinsam eintreten muessen. Wir rufen zur Unterstuetzung der
internationalen Demonstration und des organisierten Gegengipfels auf!
Angesichts der im Vergleich zu den USA sinkenden Anteile der EU am
Weltmarktwachstum wurde 1997 in Lissabon eine Strategie beschlossen,
die die EU bis 2010 zum wettbewerbsfaehigsten Raum der Welt machen
sollte. Das Papier, das sich wie ein neoliberales Lehrbuch liest,
bedeutete praktisch eine Eskalation der Angriffe auf den Sozialstaat,
einen rasanten Ausverkauf oeffentlichen Eigentums, und die
Nivellierung und Angleichung von Sozialstandards und Lohnniveaus nach
unten unter dem Druck der Standortlogik. Im Sinne der Herstellung der
Wettbewerbsfaehigkeit wurden Lohnabschluesse unter der Inflationsrate
und damit Reallohnverluste abverlangt, die Steuerlast wurde weiter
massiv von der ArbeitgeberInnen- auf die ArbeitnehmerInnenseite
umgeschichtet, und Arbeitsrecht sowie soziale Rechte mussten
informellen und prekarisierten Arbeits- und Lebensverhaeltnissen
weichen.
 
Ein zentraler Bestandteil der Lissabon-Strategie ist das “Kapital
Wissen” und die “Wissensgesellschaft”. Diese wird zu einer tragenden
Saeule der Wettbewerbsfaehigkeit und zur strategischen Ressource.
Damit das moeglich ist, muss Wissen von einem oeffentlichen Gut in ein
privates, handelbares Gut umdefiniert werden. Aber Wissen als
oeffentliches Gut stellt auch ein soziales Recht auf Wissen und
Bildung dar, sein Nutzen geht weit ueber den einer oekonomischen
Verwertbarkeit hinaus und drueckt sich auch in philosophischen,
soziologischen und politischen Fragestellungen aus.
 
Wird die Produktion und Reproduktion von Wissen – wie im Rahmen der
Lissabonstrategie und der nachfolgenden Strategiepapiere
(Bolognareform,…) – entsprechend Modellen aus der Privatwirtschaft
(Universitaetsrat als Aufsichtsrat) und exklusiv
(Zugangsbeschraenkungen), sowie nur fuer zahlungskraeftige Kundschaft
(Studiengebuehren) organisiert, geht dieser gesellschaftliche Anspruch
von Wissen und Bildung verloren. Nunmehr wird “Employability” und
“Verwertbarkeit” zum alleinigen Zweck der Taetigkeit der
Beschaeftigten im “Wissensbetrieb”. “Outputkriterien” und
“Benchmarking” machen die Erfuellung dieses Zwecks quantifizierbar und
erzeugen gemeinsam mit Mangelfinanzierung eine strikte Unterordnung
von Qualitaet und Reflexion unter die Effizienz und den kurzfristigen
Nutzen fuer die Profite der Finanziers der “Bildungseinrichtungen”.
 
 
Die Bolognareform ist der programmatische Ausdruck des Ziels der
Zerschlagung der oeffentlichen Bildung und deren Teilung in eine
“Ausbildung” fuer die breite Masse (minimalisierte
Bachelorstudiengaenge vergleichbar mit Fachhochschulen) und einer
Elitenreproduktion im Master aber v.a. im PhD. Ein dreigliedriges
(Bachelor – Master – PhD) Universitaetssystem ersetzt das ehemals
zweigliedrige (Diplom – Doktorat) und ermoeglicht durch
Zugangsbeschraenkungen und Gebuehreneinhebung zusaetzliche Selektion.
Interdisziplinaritaet und Mobilitaet wird durch den Ersatz der
Wahlfaecher durch inadaequate Module und verschulte Studienplaene, die
mehr “Stundenplaenen” gleichen, entgegen den anders lautenden
Beteuerungen der LobbyistInnen dieser Reform verunmoeglicht. Hinzu
kommt der Abbau von Mitbestimmung und Demokratie an den
Universitaeten, die im Sinne der Effizienz als hinderlich betrachtet
werden. Diese Entdemokratisierung drueckt sich in Oesterreich im
Universitaetsgesetz 2002, ihrer Novelle 2009 und in der
OeH-Wahlrechtsreform 2004 aus. Auch die Bemuehungen zur Herstellung
von Geschlechtergerechtigkeit erfahren einen harten Rueckschlag. Nach
der Einfuehrung der Studiengebuehren ging der Anteil der
Doktoratstudentinnen zurueck, und das in einer Situation wo keine
einzige oesterreichische Universitaet von einer Rektorin gefuehrt
wird.
 
Wir sehen den Bildungsabbau als Teil eines weit reichenden allgemeinen
Sozialabbaus. ArbeitnehmerInnen aus dem Gesundheits- und
Sozialbereichs werden mit einer Lohnerhoehung von 0,9 Prozent
abgespeist, dabei liegen dort die Loehne und Gehaelter schon jetzt um
fast 20 Prozent unter dem Durchschnittseinkommen aller Beschaeftigten.
Unter dem Motto “in Zeiten der Krise muesse jeder kuerzer treten”
moechte Finanzminister Proell nun nach den vergangenen Sparprogrammen
weitere 6 Mrd. einsparen und praesentierte kuerzlich ein
“Stabiltaetsprogramm”, in dem weitere Kuerzungen der Sozialausgaben
genannt werden. Angesichts der Milliardenunterstuetzung fuer Banken,
die nach wie vor Rekorddividenden ausschuetten (Erste Bank) bzw. durch
kriminelle Machenschaften Spareinlagen vernichteten (Hypo – es gilt
die Unschuldsvermutung) ist das Argument der “Sachzwaenge”, mit
welchem behauptet wird, es gaebe weder Geld fuer die Finanzierung der
oeffentlichen Bildung, noch fuer Pensionen und Sozialleistlungen,
blanker Zynismus. Zynisch ist auch, dass die
WissenschaftsministerInnen von 46 Staaten, in denen der Bolognaprozess
umgesetzt wurde, am 11. und 12. Maerz zur 10-Jahre-Jubilaeumskonferenz
des Bolognareform nach Wien und Budapest laden, um eben diese
Verhaeltnisse zu feiern. Der Gipfel wird dabei unter anderem deshalb
in Oesterreich ausgerichtet, weil Oesterreich als Musterland in der
Umsetzung der Bologna-Reform gilt.
(Aussendung bolognaburns.org/gek.)
 
Links:
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