Karl Fischbacher, 5.7.2013: Grundlegende Gedanken zur „Zweiten Revolution“ in Ägypten nach dem Militärputsch

Die „Zweite Revolution“ in Ägypten hat mit dem Militärputsch und den Sturz Mursis einen zwiespältigen Sieg errungen. Es waren wohl keine taktischen Überlegungen, als die jugendlichen demokratischen Massen, die liberalen progressiven Mittelschichten, Nasserist_innen u.a. in der Nacht auf den vierten Juli 2013 den Militärputsch gegen Mursi und Militärchef Abd al-Fattah al-Sisi bejubelten, sondern eine Renaissance von Massenillusionen in die Militärs der „25.Januar“-Revolution nach dem Sturz Mubraks am 11.Februar 2011. Abd al-Fattah al-Sisis Militär hatte natürlich mit dem Clash zwischen säkularen und islamistischen Massen seine privilegierten politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen in Ägypten gefährdet gesehen.

Mursis und der Moslembrüder knapper Wahlsieg vor einem Jahre leitete allerdings eine demokratisch und wirtschaftlich katastrophale Phase in Ägypten ein. Mit der Einführung einer islamischen Verfassung, dem systematischen Einsickern islamischer Leute in den Verwaltungs- und Justizapparat, der de facto-Ausschaltung des Obersten Gerichtes öffnete sich den islamistischen Radikalen Tür und Tor für ihre patriarchalisch-chauvinistische Repression im ägyptischen Alltag gegen alle persönlichen und sexuellen Freiheiten.

Den Bruch von Millionen moslemischen Menschen in den Armenvierteln und –regionen Ägyptens mit den Moslembrüdern, in denen diese 2012 starke Wahlmehrheiten erhielten, erfolgte in diesem Jahr durch die katastrophale Wirtschaftspolitik, die die Armut des Landes stark verbreitete, die mit der Depression Ägyptens der 1930er-Jahre verglichen wurde. Das brachte die Millionen Mursi-Gegner_innen im Juni auf den Tahirplatz und trieb sie zu den Straßenkämpfen gegen die treue Basis der Moslembrüder.

Schon nach dem Wahlsieg Mursis 2012 stellte sich die grundlegende Frage, ob sein „wahlarithmetischer“ Sieg gegen(!) die Revolution der städtischen progressiven Jugend, der demokratisch gesinnten Mittelschichten und der kämpferischen Textil- und Chemiearbeiter_innenklasse, die den Sturz Mubaraks errungen hatten, über Politik, Verfassung und Macht in Ägypten autoritär bestimmen kann? Sie waren die Träger_innen des Sturzes der Diktatur Mubaraks und wohl auch nun wieder des Widerstandes gegen die islamische „Demokratur“!

Einen demokratischen und revolutionären Ausweg aus der heutigen Pattsituation kann es meiner Meinung nach nur geben, wenn es den revolutionären Kräften gelingt, alle Illusionen in die Militärs aufzugeben und eine Strategie zu verfolgen, das Gros der verarmten moslemischen Massen und der einfachen Soldaten von den Moslermbrüdern bzw. von der Militärhierarchie in das revolutionäre demokratische Lager herüber zu ziehen. Breite gläubige verarmte Massen haben sich im Juni von den Moselbrüdern politisch verabschiedet, im Militär sind die einfachen Soldaten unbezahlte Arbeitssklaven in den Wirtschaftsbetrieben der Generalität …

Eine Verfassung in Ägypten tut Not, die aufbaut auf den Errungenschaften der „25.Januar“-Revolution von Demokratie, religiöser Freiheit und(!) sozialer Zuwendung zur lohnarbeitenden und verarmten Bevölkerung in Stadt und Land – angefangen mit einer Reichtums-Umverteilung von den Reichen Ägyptens für den Aufbau von industrieller Produktion und Landwirtschaft Ägyptens

Wien, 5.7.2013

ka*fi